„Harter Tag“Wie die Menschen im Schleidener Tal den Flut-Jahrestag erlebten

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Schleiden Jahrestag Flut

Dem Jahrestag der Flut wurde im Schleidener Tal still gedacht.

Schleiden – Um kurz nach halb neun herrscht in der Bäckerei Friedrichs Betrieb. Ein Mann bestellt Brot, eine Frau mehrere belegte Brötchen. Alice Friederichs steht hinter der neuen, einladenden Theke und bedient lächelnd die Kunden. Es ist genau ein Jahr her, dass die Flut auch ihre Bäckerei zerstörte. „Das ist ein ganz komisches Gefühl“, beschreibt sie ihre Gemütslage an diesem 14. Juli. „Wenn wir uns heute Abend Bilder anschauen, wie es hier war, dann kommen einem bestimmt die Tränen“, sagt sie mit belegter Stimme. Dann wendet sie sich dem nächsten Kunden zu.

Nicht dran denken, nicht drüber reden, ablenken – dass sei auch der Wunsch einiger am „Runden Tisch Gedenken“ der Stadt Schleiden gewesen, berichtet wenig später Bürgermeister Ingo Pfennings vor dem Schleidener Rathaus. Dieses Gremium, bestehend aus Betroffenen, Angehörigen von Verstorbenen, den beiden Pfarrern und Vertretern der Stadt, habe die Aufgabe gehabt, über die Frage zu entscheiden: Wie gehen wir mit dem Jahrestag um?

Jahrestag der Flut in Schleiden ohne große Feier

Schnell habe er gemerkt, dass dies eine sehr emotionale Frage war, berichtet Pfennings: „Von ,Ich will gar nichts machen’ bis hin zu ,Lasst uns eine große Party feiern’ war alles dabei.“ Schließlich habe man sich auf einen Tag des stillen Erinnerns geeinigt. Ohne viel Auflebens, ohne Politikprominenz, ohne Tamtam. Die Stadt habe dazu vier Orte in Oberhausen, Schleiden, Olef und Gemünd ausgewählt und dort einen Kranz und Kerzen aufgestellt. „Um einfach einen zeremoniellen Rahmen zu bieten.“

Pfennings rückt sich die Krawatte zurecht. Trotz sommerlicher Temperaturen, ist er im schwarzen Anzug gekommen, genauso wie Landrat Markus Ramers. Gemeinsam wollen sie die vier Gedenkorte besuchen. Auch die Pfarrer Philipp Cuck und Dirk Voos fahren mit, Erik Schumacher ist im Urlaub. Ebenso dabei sind der Leiter der Psychosozialen Unterstützung, Frank C. Waldschmidt, und Landtagsabgeordneter Ralf Nolten sowie weitere Politiker.

Nachbarin in den Fluten in Oberhausen gestorben

Der erste Gedenkort ist der Zöllerplatz in Oberhausen. Auf einem Stuhl sitzt Heinrich Gau, in der Hand ein Foto von seiner Nachbarin. Erika van Höseln ist in der Nacht der Katastrophe gestorben. „Wir sind im Haus geblieben und haben die Nachbarin, die auf der anderen Seite wohnte, gerettet“, erzählt Gau, der mit seiner Frau Gisela Schneider zu der Gedenkveranstaltung gekommen ist. Doch Erika van Höseln sei im Keller gewesen und habe im Dunkeln die Treppe nicht mehr gefunden, berichtet er mit immer wieder brechender Stimme. „Es ist schlimm.“

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Ein Foto von Erika van Hoesel-Liesenberg stellten Nachbarn in Oberhausen auf.

Die zwei Nachbarhäuser mussten abgerissen werden, ihres konnte stehenbleiben. Nichts hätten sie mehr gehabt, so Gau. Die Menschen, bei denen sie in Blankenheim in einer Ferienwohnung untergekommen seien, seien mit ihnen in ein Spendenlager gefahren, damit sie überhaupt etwas zum Anziehen hatten. „Wir waren glücklich, als wir wieder nach Hause konnten, doch manchmal kommt die Erinnerung zurück“, sagt seine Frau. „Es holt mich immer wieder ein“, bestätigt er.

Neben den beiden sind noch knapp 20 weitere Menschen gekommen. Pfennings spricht ein paar Worte, danach folgen Gebete von den beiden Pfarrern. Die Menschen stehen schweigend vor dem Kranz, eine Frau seufzt, einer anderen läuft eine Träne über die Wange.

Die kleine Gedenkfeier wird untermalt vom Rauchen des Verkehrs und Baustellenlärm. Ausgerechnet an diesem Tag wird die neue Brücke An der Ley eingesetzt. Er habe den Gedenkort kurzfristig nicht mehr verschieben wollen, so Pfennings. Deshalb stehe man nun auf einer Baustelle. Aber Baugeräusche im Hintergrund, sei man im Schleidener Tal ja inzwischen gewohnt.

Halbes Jahr nach Flut alleine in Straße gewohnt

Wiederaufbau – darüber freut sich auch Familie Krahe. „Wir waren über ein halbes Jahr lang die einzigen, die in der Straße gewohnt haben“, berichtet Ute Krahe. Alle anderen Nachbarn mussten nach der Flut ausziehen. „Das war schon unheimlich.“ Sie seien deshalb froh über jeden, der zurückkomme. Doch nicht jeder hat die Kraft dazu.

Wenig später ist der kleine Gedenk-Konvoi an der evangelischen Kirche in Schleiden eingetroffen. Hier befindet sich ein weiterer Gedenkort. Eine Handvoll Leute ist gekommen, schweigend stehen sie vor dem Gotteshaus, in dessen Innern die Folgen der Flut noch deutlich sichtbar sind: Schlammspuren an den Wänden, herausgerissene Fliesen, nur der Altar steht noch.

Markus Ramers und Ingo Pfennings tragen Trauerkranz

Gemeinsam trugen Markus Ramers (l.) und Ingo Pfennings den Gedenkkranz zur evangelischen Kirche in Schleiden.

Ein paar Meter weiter in der Fußgängerzone herrscht an diesem Vormittag reges Treiben. Es ist Markttag. Am Stand von Obst Zimmermann aus Bornheim sortiert Sabine Jungnickel die Auslage: Johannisbeeren, Heidelbeeren, Stachelbeeren. Jungnickel würde jetzt vermutlich lieber Blumen arrangieren. Bis zur Flut führte sie einen Blumenladen in Gemünd. „Da stand über einen Meter das Wasser drin“, berichtet sie. Der Wiederaufbau laufe leider nur schleppend. Sie ist froh über den Aushilfsjob am Marktstand, sonst wäre sie noch verrückt geworden, sagt sie.

Sabine Jungnickel

Marktstand statt Blumenladen: Für Sabine Jungnickel ist der 14. Juli ein schwieriger Tag.

Der erste Jahrestag der Flut sei an diesem Vormittag auf dem Markt kein Thema. „Ich denke, dass man nicht immer drüber sprechen kann“, sagt Jungnickel. Auch ohne darüber zu reden, lasse einen das Datum nicht kalt. „Mir ging es gestern schon den ganzen Tag schlecht. Je näher der 14. rückte, umso hilfloser fühlte man sich.“

Frau in Olef hat ihr Zuhause verloren

Ein Stück flussaufwärts steht eine Plattform mit Bänken direkt an der Olef. Sie hat die Flut überstanden. Ein Mann sitzt auf einer Bank und raucht, auf dem Handy liest er Nachrichten über die Flut. „Ist ein harter Tag heute“, sagt er und schaut aufs Wasser. Der Fluss plätschert an diesem Tag vor sich hin, ein paar Enten schwimmen umher und suchen nach Futter. Kaum zu glauben, was dieses friedliche Flüsschen vor einem Jahr hier angerichtet hat.

Der Gedenk-Konvoi ist derweil in Olef an der katholischen Kirche angelangt, auch hier übertönt der Baustellenlärm immer wieder die Worte des Bürgermeisters. Der Wiederaufbau geht weiter, auch am Jahrestag. Etwa 15 Menschen sind zum stillen Gedenken gekommen. Eine Frau kann ihre Tränen nicht zurückhalten. „Ich habe kein Zuhause mehr“, schluchzt sie.

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„Ich hatte ehrlich gedacht, es wird für Olef noch schlimmer!“ Ingo Pfennings richtete an allen Gedenkorten ein paar Worte an die Anwesenden.

Fast zwei Jahre habe sie in Olef gewohnt, habe sich wohlgefühlt, doch jetzt leide sie sehr. In dem Ort, in dem sie untergekommen sei, fühle sie sich nicht wohl, doch die alte Wohnung sei noch nicht wieder fertig. Und selbst wenn, sie habe so viel in ihre jetzige Unterkunft investieren müssen, dass sie kaum wieder dort rauskönne. Mit der Fluthilfe und den Versicherungen sei es auch schwierig. Ihr Versicherungsvertreter sei nicht zu erreichen, dabei bekomme sie da noch Geld. Als Frank C. Waldschmidt das hört, schaltet er sich sofort ein und stellt einen Kontakt zum Hilfszentrum Schleidener Tal her. Sie versprechen, zu helfen und tätig zu werden.

Die letzte Station des kleinen Gedenkzuges ist die katholische Kirche in Gemünd. Etwa 30 Menschen haben sich hier versammelt. „Ich glaube, das war das richtige Format, das zwingt niemanden zu irgendetwas“, sagt Bürgermeister Pfennings nach dem öffentlichen Teil. Alle hätten nun einen Ort, an dem sie erinnern und trauern könnten, zu dem sie gehen können, wann sie wollen. „Jeder muss anders damit umgehen, es gibt kein auf alle passendes Szenario“, sagt er. Es seien mehr Menschen zu den kleinen Gedenkveranstaltungen gekommen, als er gedacht habe. Er wisse auch von einigen privaten Zusammenkünfte von Nachbarn und Helfern.

Ingo Pfennings zündet Kerze in Gemünd an

Eine Kerze zündete Bürgermeister Ingo Pfennings an allen Gedenkorten an.

„Ich fand es sehr würdevoll und angemessen“, lobt Landrat Ramers die Gedenkfeiern. Er habe die Gelegenheit genossen, individuell mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. „Die Erinnerung an die ersten Tage, die Bilder, die man im Kopf hat, kommen hoch, wenn ich an solchen Orten bin“, sagt er. Er deutete auf die Ampelkreuzung in Gemünd. Er freue sich über die guten Fortschritte, sehe aber auch Menschen, die noch nicht wieder zu Hause seien und Schwierigkeiten hätten.

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Zum Schluss geht Ramers noch einmal durch die Dreiborner Straße. Auch hier herrscht an diesem Donnerstag reges Treiben. Die Tische vor dem renovierten Eiscafé sind fast alle besetzt, in den geöffneten Läden stöbern Kunden, aus der Baustelle in der Metzgerei Heck tönt laute Musik. En Gedenktag ohne viel Auflebens, ohne Polit-Prominenz und ohne Tamtam – das ist gelungen. Still aber ist dieser 14. Juli im Schleidener Tal nicht. An allen Orten vibriert das Leben.

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