Autobahnen in Köln und LeverkusenNRW-Verkehrsminister stemmt sich gegen Ausbau von A1 und A3

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Eine Luftaufnahme zeigt das kleeblattförmige Autobahnkreuz Leverkusen. Autos und Lkw fahren über die A1 und A3.

Das Autobahnkreuz Leverkusen mit der A3 und der darunterliegenden A1.

NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) stellt die geplanten Ausbauprojekte auf der A1 und A3 in Köln und Leverkusen im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ grundsätzlich infrage.

Eigentlich sollen das Leverkusener Autobahnkreuz und die A3 Richtung Norden auf Kölner Stadtgebiet ausgebaut werden. Doch diese Planung hinterfragt NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Wir planen gerade für Verkehrsmengen, bei denen wir den Klimaschutz vergessen können“, sagt der Grünen-Politiker.

Es könne stattdessen nur noch um die Beseitigung von Engpässen gehen. Die A3 sei schon dreispurig. „Eine oder zwei weitere Spuren würden irrsinnige Summen verschlingen“, sagt Krischer.

Oliver Krischer: „Wir haben vereinbart, dass Bestanderhalt vor Neubau geht“

Krischer fordert Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) auf, die im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP vereinbarte Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplans 2030 endlich in Angriff zu nehmen. „Wir haben vereinbart, dass Bestanderhalt vor Neubau geht.“ NRW übernimmt im Januar den Vorsitz der Verkehrsministerkonferenz, bei der sich die Bundesländer in regelmäßigen Abständen mit dem Bund austauschen.

Nach Angaben Krischers müssen in den kommenden zehn Jahren von den 13.000 Autobahnbrücken in Deutschland rund 4.000 saniert oder erneuert werden. „Was wir in Lüdenscheid mit der Sperrung der Rahmede-Talbrücke auf der Sauerlandlinie erleben, darf nicht noch einmal passieren. Da bleibt für Neubauprojekte wenig Geld übrig.“ Die Brücke der A45 im Sauerland ist seit Dezember 2021 dauerhaft gesperrt.

Der Bundesverkehrswegeplan, in dem der Ausbau in Leverkusen in der höchsten Kategorie eingestuft ist, bestehe zu zwei Dritteln aus „Wünsch-Dir-was-Projekten“, die in den nächsten Jahren keinerlei Chancen auf Realisierung hätten, sagt Krischer. Das liege nicht nur am fehlenden Geld, sondern auch am Mangel an Bauingenieuren.

Krischer geht fest davon aus, dass das Deutschlandticket am 1. April wie geplant an den Start geht. Das werde zu einer radikalen Bereinigung der unübersichtlichen Tariflandschaft führen. „Verbundtarife, die teuer als 49 Euro sind, wird man nicht mehr verkaufen können. Deshalb werden wir uns natürlich ansehen, wo es innerhalb der Verbünde Synergieeffekte gibt. Am Ende müssen wir mehr Mittel in zusätzliche Verkehrsleistungen stecken können“, sagte Krischer.

Lesen Sie hier das komplette Interview mit Oliver Krischer im Wortlaut:

Herr Krischer, an den ersten grünen Verkehrsminister von NRW sind hohe Erwartungen geknüpft. Sie müssen die Mobilitätswende vorantreiben. Und das kurz nach der Corona-Pandemie und mitten in der Energiekrise.

Natürlich leidet der öffentliche Verkehr besonders unter der Krise. Die Energiekosten steigen, die Personalkosten werden in absehbarer Zeit folgen. Das ist die Ausgabenseite. Die Zeiten der üppigen öffentlichen Haushalte ist auch absehbar vorbei. Eigentlich wollten wir das Angebot an Bahnen und Bussen ausweiten. Jetzt müssen wir erst mal sehen, dass uns nichts wegbricht. Das hat allererste Priorität. Dafür hat die Landesregierung erst am Freitag weitere 200 Millionen Euro für die Verkehrsunternehmen als Ausgleich für die gestiegenen Energiekosten beschlossen.

NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer breitet im Gespräch die Hände aus.

NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer im Gespräch.

Den ersten Zahn haben Sie den Kölnern schon gezogen. Die neue Rheinbrücke im Süden wird es nicht geben, oder?

Über neue Autobahnbrücken über den Rhein entscheidet der Bundesverkehrsminister und der Deutsche Bundestag. Ich sage nur, dass ich angesichts der riesigen Herausforderungen im Hinblick auf die Erhaltung der Verkehrsinfrastruktur – gerade auch der bestehenden Rheinbrücken - und der in Berlin im Etat für Verkehr zu Verfügung gestellten personellen und finanziellen Mittel deutliche Zweifel habe, ob sich solche Neubauprojekte noch realisieren lassen.

Volker Wissing sieht das anders. Die neue Rheinbrücke steht auf seiner Liste ganz oben.

Wir müssen uns nur die nackten Zahlen angucken. Von den 13.000 Autobahnbrücken in Deutschland müssen in den nächsten zehn Jahren 4000 saniert oder neu gebaut werden, also 400 pro Jahr. 2022 hat der Bund 174 geschafft, also weniger als die Hälfte. Wenn wir das Ziel erreichen wollen, bleibt für Neubauprojekte wenig übrig oder der Verkehrsetat steigt sprunghaft. Und woher kommen die Fachleute, die all das bauen? Und wir wollen ja vor allem auch noch die Eisenbahn komplett sanieren und ausbauen. Wir brauchen ein Sanierungsprogramm für diese Brücken. Bestandserhalt geht vor Neubau. Das sehe ich aber bei Herrn Wissing nicht. Der Bundesverkehrswegeplan 2030 besteht zu zwei Dritteln aus Wünsch-Dir-was-Projekten. Weil wir uns Jahrzehnte lang nur auf den Neubau fokussiert haben, haben wir doch jetzt die Probleme wie die mit der Rahmede-Brücke. Was wir in Lüdenscheid mit der Sperrung dieser Brücke auf der Sauerlandlinie erleben, darf nicht noch einmal passieren. Dadurch droht eine ganze Region abgehängt zu werden.

Von welchen Projekten müssen wir uns verabschieden?

Zum Beispiel von den Ausbauprojekten an der A3 Richtung Norden von Köln aus. Die würden mit weiteren Fahrspuren irrsinnige Summen verschlingen. Die A3 ist schon dreispurig. Da habe ich gewisse Zweifel, ob das Sinn macht. Wir planen gerade den Ausbau von Autobahnkreuzen wie in Leverkusen oder im Ruhrgebiet für Verkehrsmengen, bei denen wir den Klimaschutz vergessen können, wenn das so kommt. Das sind doch vor dem Hintergrund der Verkehrswende keine zukunftsfähigen Planungen mehr. Es muss doch vor allem um Engpassbeseitigung gehen.

Eine Luftaufnahme zeigt Bauarbeiten am Autobahnkreuz Leverkusen-West.

Das Autobahnkreuz Leverkusen-West wird im Zuge des Neubaus der Rheinbrücken ebenfalls saniert.

Was wird aus der geplanten A1-Megastelze in Leverkusen? Sie haben im Oktober gesagt: „Mit mir kommt das nicht infrage.“

Das habe ich so nicht gesagt, weil ich als Landesverkehrsminister gar nicht zuständig bin. Ich werde mich bestimmt nicht auf der Stelze festkleben (lacht). Ich kann aber die Kritik, die aus Leverkusen kommt, sehr gut nachvollziehen und teile sie. Wir müssen uns doch nur anschauen, wie lange das alles dauert. Die Rheinbrücke wird mit beiden Teilen erst 2027 fertig. Danach soll das Leverkusener Kreuz folgen. Wir müssen davon ausgehen, dass die Stelze in ihrer jetzigen Form noch viele Jahre Bestand haben wird. Ich habe gewisse Zweifel, ob Autobahn-Planungen in dieser Dimension – auch angesichts des Klimaschutzes und der anderen Herausforderungen in der Verkehrspolitik - noch in die Zeit passen. Das gilt nicht nur für Köln.

Muss der Bund die Planungen nicht den neuen Parametern der Mobilitätswende in der Energiekrise anpassen?

Natürlich. Wir haben im Koalitionsvertrag der Ampel in Berlin vereinbart, dass der Bundesverkehrswegeplan nach diesen Kriterien überarbeitet wird. Das ist bisher nicht passiert. Er passt weder zu den Klimaschutzzielen, noch sehe ich die personellen und finanziellen Kapazitäten, um neben der Erhaltung der Infrastruktur auch noch die ganzen Neubaupläne zu realisieren. Wir müssen damit aufhören, den Menschen vorzugaukeln, dass alles gebaut werden kann, was in diesem Plan steht. Das ist doch irre. Es gibt den vordringlichen Bedarf mit und ohne Sternchen und man führt immer weitere Spitzenkategorien ein. Damit muss Schluss sein.

Weniger Geld, aber große Ausbaupläne für die Straße. Was wird aus dem vereinbarten Ziel, der Schiene bei der Mobilitätswende den Vorrang einzuräumen?

Da wird es noch verrückter. In jedem Koalitionsvertrag steht, dass mehr Güter von der Straße auf die Schiene sollen. Fakt ist im Bund: Es geht immer noch zu viel Geld und Personal in den Straßenneu- und -ausbau und zu wenig in die Erhaltung. Und es fließt immer noch insgesamt deutlich mehr Geld in die Straße als in die Schiene.

Die Landesregierung will bis 2030 das Angebot auf der Schiene um 60 Prozent erhöhen. Ist das nicht auch völlig unrealistisch?

Das Deutschlandticket wird die Bahn ab April viel attraktiver machen, weil die Verbundgrenzen wegfallen und die Preise deutlich sinken.

Mag sein, dass die Nachfrage steigt. Aber was ist mit dem Angebot? Noch mehr Züge können in NRW auf der maroden Infrastruktur doch kaum fahren.

Deshalb müssen wir die Mittel, die wir haben, vor allem in den öffentlichen Verkehr stecken. Wir können uns gern über die Zahl streiten, ob das am Ende 50 oder 70 Prozent werden. Wir haben eine klare Entscheidung getroffen. Das meiste Geld wird in den Ausbau der Schiene und des Radverkehrs fließen. Das 49-Euro-Ticket wird die Nachfrage auch in Gegenden erhöhen, wo sie jetzt noch gering ist. Dann werden die Menschen völlig zu Recht von uns erwarten, dass es auf dem Land Schnellbuslinien gibt, die sie zu den Umsteigepunkten an den Bahnhöfen bringen. Aber wir dürfen auch nicht herunterspielen, dass es auf der Schiene wegen der vielen Baustellen noch über Jahre erhebliche Probleme geben wird. Wir bügeln gerade die Versäumnisse der Vergangenheit aus und trotzdem müssen wir die Verkehrswende hinkriegen.

Was erwarten Sie konkret vom Deutschlandticket?

Eine relevante Steigerung der Fahrgastzahlen. Beim 9-Euro-Ticket gab es die prozentual größten Steigerungsraten gerade auf dem Land. Das Angebot des Deutschlandtickets wird Nachfrage schaffen. Nicht nur bei den Freizeitverkehren. In den Ballungsgebieten werden wir uns anstrengen und die Angebote verstärken müssen. Klar ist aber auch: Wenn niemand dieses Ticket kauft, wenn uns der Verkehrsverbund Rhein-Sieg am Ende sagt, „wir haben nicht mehr Abos als vorher, nur deutlich weniger Geld in der Tasche“, ist es gescheitert. Aber die ersten Signale stimmen mich optimistisch. Bei uns fragen Firmen an, die das Ticket für ihre gesamte Mitarbeiterschaft kaufen wollen.

Die Verkehrsverbünde sprechen vom „Mauerfall des öffentlichen Nahverkehrs“.

Das stimmt. Wie sich die Zahlen und das Nutzerverhalten verändern werden, kann niemand seriös vorhersagen. Ich bin da auch sehr zurückhaltend. Ich war am Anfang ein großer Skeptiker des 9-Euro-Tickets. Ich habe geglaubt, das wird niemals funktionieren und die Menschen vom ÖPNV abschrecken. Aber das Gegenteil ist eingetreten.

Wenn es nur noch ein Ticket gibt, das 80 Prozent aller Fahrten abdeckt, wozu brauchen wir dann noch die Verkehrsverbünde?

Durch das Deutschlandticket wird der Wildwuchs an Tarifen implodieren. Verbundtarife, die teurer als 49 Euro sind, wird man nicht mehr verkaufen können. Deshalb werden wir uns natürlich ansehen, wo es innerhalb der Verbünde Synergieeffekte gibt. Am Ende müssen wir mehr Mittel in zusätzliche Verkehrsleistungen stecken können. Die Debatte, ob wir die Verbünde noch brauchen, interessiert die Menschen derzeit einen feuchten Kehricht. Die wollen, dass der Zug pünktlich und günstig fährt.

Wie lange wird man den Preis von 49 Euro halten können?

Bei einer zweistelligen Inflationsrate wird das nicht ewig der Fall sein können. Aber auch das ist am Ende eine Frage, wie die Nutzer das Ticket annehmen. Je mehr es sind, desto geringer ist der Zuschussbedarf. Bei einem 69-Euro-Ticket wäre er mit drei Milliarden Euro pro Jahr genauso hoch gewesen. Das haben uns die Fachleute gesagt. Weil das dann deutlich weniger Menschen gekauft hätten.

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