Leichlinger SinneswaldKünstler machen sich Sorgen um die Würde

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Multi-Kulti: Rabea Welters auf Zaunlatten gemalte Menschen haben, so unterschiedlich sie sind, ihre eigene Würde.

Multi-Kulti: Rabea Welters auf Zaunlatten gemalte Menschen haben, so unterschiedlich sie sind, ihre eigene Würde.

Leichlingen – Die Würde des Menschen ist nicht unantastbar. Im Skulpturenpark Sinneswald ist zu sehen, zu spüren und mit Händen zu greifen, dass Paragraf 1 des Grundgesetzes täglich mit Füßen getreten wird. 86 Künstlerinnen und Künstler haben für die Jahres-Ausstellung zum Thema „Würde“, die ab diesem Wochenende geöffnet ist, Plastiken, Installationen und Keramiken gefertigt, Bilder, Fahnen und Objekte in Bäume gehängt, die Folter, Vertreibung, Unterdrückung, Gewalt, sexuelle Übergriffe und Diskriminierung kritisieren.

„Bündel“ aus Flüchtlingen: Bettina Ballendat hat Minifigürchen in Boote aus mit Wachs gefüllten Shampoo-Deckeln in den See gesetzt.

„Bündel“ aus Flüchtlingen: Bettina Ballendat hat Minifigürchen in Boote aus mit Wachs gefüllten Shampoo-Deckeln in den See gesetzt.

Im idyllischen Murbachtal schockt Gregor Olbertz mit einem schwarzen Folterkreuz, vor dessen verspiegelten Balken man selbst am Pranger steht. Birgit Reinhardts von Gummihandschuhen begrapschter Torso im Wald schreit: Stop! Gisela Thiemanns dreieckige Litfaßsäule ist mit Zetteln und Bildern vom KZ über „I can’t breathe“ bis Maria 2.0 beklebt.

Der „Würdenträger“ von Ute Jansen-Dietz, der unter der Last seines Amtes zum „Bürdenträger“ wird.

Der „Würdenträger“ von Ute Jansen-Dietz, der unter der Last seines Amtes zum „Bürdenträger“ wird.

Nicht nur Menschen, auch Tiere, Pflanzen, Werte und Umwelt, so zeigt es die neue Schau, werden alltäglich ihrer Würde beraubt, misshandelt und ausgegrenzt. Vom Embryo, den Klaus Fuisting in Glas konserviert hat, bis zu Hochbetagten aus dem Seniorenheim, die der VHS-Fotokursus von Peter Thönes auf einer riesigen Bilderwand porträtiert hat.

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Bildhauer Theo Hüntemann setzt dem Würdenträger die Krone auf.

Bildhauer Theo Hüntemann setzt dem Würdenträger die Krone auf.

Dennoch wird der Spaziergang durch das Freilichtmuseum keineswegs zum Horrorkabinett. Denn die Kreativen haben sich dem Thema auch mit Witz genähert, machen aus der Würde Wortspiele und Konjunktive.

Es gibt auch Schweinepriester

Marie Fenske hat ihrem modrigen Holzkopf namens „Hochwürden“ frech eine Bischofsmütze aufgesetzt. Siegfried Dietz hat Wilhelm Buschs „Der dicke Sack“ modelliert, Angelika Keller „Schweinepriester“. Wolfgang Sendermann sucht auf Fahndungsfotos nach der verlorenen Würde. Günter Blanck behauptet mit seinem rostigen Marterpfahl aus alten Werkzeugen „Die Würde des Handwerks ist unantastbar“. Und im Kunstleistungskurs haben sich Leichlinger Gymnasiasten ausgedacht, was sie nach der Corona-Pandemie gerne endlich mal wieder machen „würden“: Am Waldhang gehen ihre weißen Figuren shoppen und kicken, zum Friseur und umarmen sich.

Die Sinneswald-Betreiber Wicze Braun und Wolfgang Brudes am Titel der Ausstellung von Edda und Rainer Kristuf.

Die Sinneswald-Betreiber Wicze Braun und Wolfgang Brudes am Titel der Ausstellung von Edda und Rainer Kristuf.

Eine Augenweide ist wie in jeder Sinneswald-Ausstellung erneut der See, wo ein bunter Gefühlskompass im Wind weht, Dirk Balkes gehörnte Mufflon-Figur die Blicke auf sich zieht, Boris von Reibnitz einen mit Fahrradschläuchen aufgepumpten Kopf ans Ufer gestellt und Bettina Ballendat 300 kleine Boote aus Shampoo-Deckeln voller Figürchen ins Wasser gelassen hat – die sich bei näherem Hinsehen als verzweifelte Kreuzfahrt von Flüchtlingen entpuppen. Zu den eindrucksvollsten Arbeiten gehört auch der zum Bürdenträger mutierende Würdenträger aus Keramik von Ute Jansen-Dietz.

Das „Mufflon“ von Dirk Balke blickt am See auf die Skulptur von Rita Lü.

Das „Mufflon“ von Dirk Balke blickt am See auf die Skulptur von Rita Lü.

Da die Corona-Pandemie den Sinneswald-Betreibern Wicze Braun und Wolfgang Brudes das übliche Eröffnungs-Fest verdorben hat, hat Dierk Kowalke einen halbstündigen Film mit Auftritten des Jungen Theaters Leverkusen gemacht. Musiker Finn Schuy spielt darin am Klavier sein von ihm komponiertes „Lied von der Würde“.

Der Eintritt ist frei

Die Ausstellung im Leichlinger Skulpturenpark Sinneswald ist ab sofort bis zum Jahresende täglich bis zur Dämmerung geöffnet. Der Eintritt ist frei, es wird um Spenden zur Erhaltung der Anlage gebeten. Dafür steht ein Danke-Stein am Wehr. Festes Schuhwerk ist empfehlenswert. Hunde sind nicht erlaubt.

Coronaschutz: Es besteht keine Pflicht zum ständigen Tragen von Schutz-Masken. Um die Einhaltung der Hygiene- und Abstands-Auflagen wird aber gebeten. Besucher werden gebeten, sich anzumelden: per Mail an info@SinnesWald.de oder mit dem Formular am Haupteingang.

Anfahrt: Der Sinneswald befindet sich an der Spinnerei Braun + Brudes, Wietsche 1 (Navigations-Eingabe: Am Murbach 18). Die Parksituation ist, auch wegen einer Kanalbaustelle, beengt. Autofahrer sollten daher bereits am Sport- und Jugendzentrum Balker Aue an der Oskar-Erbslöh-Straße parken (Fußweg von dort etwa zwölf Minuten).

Statt einer Eröffnungsfeier gibt es einen Film mit Grußworten:

https://www.youtube.com/watch?v=QIeiEsEZCeg

Was kleine und große Gäste auch erfreut: Die beliebte XXL-Baumschaukel am Steilhang – 2020 gesperrt – ist wieder in Betrieb, diesmal mit griffbereiten Desinfektions-Spendern.

www.sinneswald.de

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