Digitales Lernen zu HauseWie sozial schwächere Schüler außen vor bleiben

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Lena Horst hat Glück. Ihre Eltern – hier Mutter Kirsten Schmidt-Horst – helfen ihr beim Lernen zu Hause wo es nur geht. Das können nicht alle Väter und Mütter leisten. 

  • Unterricht findet gerade vor allem zu Hause statt. Wer keinen Laptop hat und wem die Eltern nicht helfen können, hat schlechte Karten.
  • Die aktuelle Lage zeigt, wo es bei der Digitalisierung an Schulen noch hapert. Darunter leiden vor allem jene, die es ohnehin schon schwer haben.
  • Lena Horst besucht die Montanus-Realschule in Leverkusen. Die Zwölfjährige und ihre Mutter Kirsten Schmidt-Horst erzählen, wie herausfordernd die Situation für beide ist.

Leverkusen – Und plötzlich war die Leitung tot. Ferdinand Brüggemann-Sina hatte versucht, die Mutter eines Schülers an den Hörer zu bekommen, der seit Wochen keine Aufgaben einschickt. Gemurmel, unverständliche Sätze, das Telefon wird weitergegeben. Und dann aufgelegt. Der Schulleiter klingt perplex, als er die Situation schildert. „Es gibt welche, die ziehen sich komplett raus. Verweigern die Rückantwort“, sagt Brüggemann-Sina und sucht Gründe: „Vielleicht ist es Scham und Unsicherheit. Wenn sie merken, dass sie der Herausforderung nicht gerecht werden können, es an technischen Möglichkeiten fehlt.“ An der Montanus-Realschule seien das „bei hundert keine zehn“.

Lena Horst gehört in der aktuellen Situation zu den Glücklichen. Die Sechstklässlerin hat Eltern, die sie unterstützen, wo es nur geht. Ihre Mutter Kirsten Schmidt-Horst arbeitet ab früh morgens im Homeoffice, ab etwa 17 Uhr kann dann ihre Tochter den Laptop nutzen. Für zwei Geräte reichen die Kapazitäten nicht. Wenn Mutter und Tochter den Laptop gleichzeitig nutzen, streikt die Verbindung.

„Notfalls mit dem Handy“

Die meisten Aufgaben bekommt die Schülerin per E-Mail zugeschickt, nur Mathe lernt sie jetzt digital. Schon für den Start des Programms war sie auf ihre Eltern angewiesen, die Zeit und Nerven investiert haben: „Es war sehr schwer, das Programm einzurichten. Mein Mann saß da längere Zeit. Wenn ich mir vorstelle, jemand kennt das überhaupt nicht . . .“, sagt Schmidt-Horst. Die aktuelle Situation mit mehreren Kindern zu bewältigen ist für sie undenkbar.

Der Leiter der Montanus-Realschule, Ferdinand Brüggemann-Sina, versucht, auch in der Corona-Zeit Kontakt zu den Schülern zu halten.

Der Leiter der Montanus-Realschule, Ferdinand Brüggemann-Sina, versucht, auch in der Corona-Zeit Kontakt zu den Schülern zu halten.

Auch wie die Schülerinnen und Schüler ohne Laptop die Aufgaben erledigen, kann sich die Mutter nicht erklären. „Notfalls mit dem Handy“, sei die Anweisung der Schule gewesen. Lena Horst hat einen Laptop, mit dem sie arbeiten kann. Anderen aus ihrer Klasse bleibt für die Mathe-Aufgaben nur das Smartphone. „Die müssen dann teilweise die Sachen am Handy machen. Bei Zeichnungen ist das kaum möglich, und dann bekommen sie Punkte abgezogen. Das finde ich nicht in Ordnung“, kritisiert die Zwölfjährige.

105 Millionen Euro für Laptops und Tablets

Der Bund hat zugesagt, 500 Millionen Euro in ein Sofortausstattungsprogramm für Schulen zu investieren. Mit der Förderung sollen Laptops und Tablets beschafft werden, die Schüler als Leihgeräte zu Hause nutzen können. Auch wenn kein Internetanschluss besteht, sollen dafür Lösungen gefunden werden. 105 Millionen Euro fließen dafür an das Land NRW. Wie schnell die Geräte in die Schulen und dann zu den Schülern kommen und ob es gelingt, Lernrückstände der vergangenen Wochen auszugleichen, bleibt offen. Auch die Frage, wer den Schülern bei der Einrichtung der Geräte – mit denen sie vorher womöglich kaum zu tun hatten – hilft.

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Lena Horst kann dem Lernstoff folgen, die meisten ihrer Freundinnen auch. Doch die Schülerin vermisst einen Lehrer, der neue Inhalte erklärt. Die Eltern springen ein. „Gott sei Dank“, könnten die fast alles erklären, sagt sie. Doch das sei nicht bei jedem in ihrer Klasse der Fall. Kirsten Schmidt-Horst findet es zu viel verlangt, dass sich Elf- bis 13-Jährige Themen selbstständig beibringen sollen. „Das sind Kinder! Da wird sehr viel vorausgesetzt. Und gleichzeitig wurde im Vorfeld zu wenig für die Digitalisierung getan“, kritisiert sie.

„Ängste und Sorgen der Kinder werden totgeschwiegen“

Von manchen Lehrern fühlt sich Lena Horst allein gelassen. Auch ihrer Mutter fällt auf, dass die Kommunikation zwischen Schülern und Lehrern knapp ausfällt. „Ängste und Sorgen der Kinder werden totgeschwiegen. Es wird nicht gefragt, wie es jedem geht, wie man mit der Situation umgeht. Das finde ich sehr sehr traurig“, so Schmidt-Horst.

Natürlich gebe es auch positive Seiten, sagen Mutter und Tochter. Dass das System sofort Bescheid gibt, welche Lösungen in Mathe richtig oder falsch sind, vereinfacht und beschleunigt jetzt vieles. Lena macht das Arbeiten am Computer Spaß, vor Corona hatte sie damit nicht viel Berührung. „Ich habe durch diese Zeit einiges gelernt. Vorher stand der Rechner immer nur bei mir rum“, sagt sie. Angebote und Anreize von der Schule, sich damit zu beschäftigen, gab es vor Corona kaum.

Für Lena Horst und ihre Klasse geht seit dieser Woche der Unterricht wieder los. Einmal pro Woche vier Stunden lang. „Ein wenig Bauchschmerzen“, hätten sie alle, sagt die Schülerin. Werden noch Arbeiten geschrieben? Wie sollen die ausgefallenen Stunden wettgemacht werden? Vieles ist ungeklärt. Doch Lena kann sich darauf verlassen, dass ihre Eltern sie bei allen Herausforderungen unterstützen.

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