GerichtBayer will Angestellte nach 20 Jahren wegen Arbeitszeitbetrug kündigen

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Das Bayer-Kreuz bei Nacht

Bayer versucht, eine Angestellte wegen Arbeitszeitbetrugs zu kündigen. Die sieht sich als Leistungsträgerin und ist empört.

Die Konzern-Anwältin versucht vergeblich, das Bild einer faulen Mitarbeiterin zu skizzieren. Richter Hendrik van Laak zweifelt daran.

„Das ist eine harte Nummer, die Sie da durchziehen wollen.“ Arbeitsrichter Hendrik van Laak ist gespannt, wie es weitergeht: Muss eine Arbeitnehmerin nachweisen, was sie den ganzen Tag gemacht hat, um dem Rausschmiss zu entgehen? Ja, findet Bayer-Anwältin Brigitte Naßauer. Sie vertritt am Mittwoch vor dem Arbeitsgericht in Opladen die Pharma-Abteilung des Konzerns, Bayer Vital. Dort hat vor knapp 20 Jahren Kim Riemer angefangen. Zunächst als Sekretärin, seit einiger Zeit als die sprichwörtliche „Rechte Hand“ ihres Chefs. Hat zuletzt Kongresse und Messeauftritte organisiert, sagt sie. Viel Arbeit sei das. Umso mehr, als um sie herum immer weiter Personal abgebaut worden sei.

Um alles zu schaffen, hat sie regelmäßig länger gearbeitet. So steht es auf ihrem Zeitkonto. Das Problem aus Bayer-Sicht: Sie hat jeweils pauschale Angaben gemacht, obwohl es in diesem Konzernbereich üblich ist, sich minutengenau einzubuchen. Auch die Pauschal-Regelung sei mit ihrem Chef abgesprochen gewesen, erklärt Riemer vor Gericht. Hintergrund: Sie sei jederzeit erreichbar gewesen. Um das irgendwie abzubilden, ohne gegen das Arbeitszeitgesetz zu verstoßen, habe es die Überstunden-Regelung gegeben. Dass sie kontinuierlich eine halbe Stunde mehr aufgeschrieben habe, sei ebenso richtig: „Ich hatte offiziell eine 120-Prozent-Stelle“, sagt Riemer.

Bayer: Keine Absprachen mit Vorgesetztem

Das sieht man in Bayers Personalabteilung völlig anders. Anwältin Naßauer weiß nichts von einer Absprache mit dem Vorgesetzten. Die gebe es schlicht nicht. Im Übrigen sei der Mann bekannt nachlässig mit der Arbeitszeiterfassung. Außerdem: „Man kann nicht Überstunden machen, wenn keine Arbeit da ist“, so die Anwältin. Um die Wertung zu untermauern, dass Riemer regelmäßig Überstunden aufgeschrieben hat, ohne zu arbeiten, hat Bayer offenkundig 23 Arbeitstage aufgelistet, für die Kim Riemer nachweisen soll, was sie denn getan hat.

Als Tätigkeits-, besser: Nicht-Tätigkeitsnachweis, dient der Konzernanwältin der E-Mail-Verkehr. Der ist in der Tat dürftig. Aber hat das irgendeine Beweiskraft? Richter van Laak lässt Zweifel erkennen: „Sie stützen alles darauf, dass sie keine Mails schreibt.“ Das scheint ihm sehr dünn. Ganz abgesehen davon, dass Bayer in einer Anhörung mit Kim Riemer offenbar versucht hat, die Beweislast umzukehren. Die Angestellte sollte nachweisen, dass sie gearbeitet hat. Normalerweise muss der Arbeitgeber der Angestellten beweisen, dass sie nichts geleistet, aber Stunden abgerechnet hat. Das wäre dann Arbeitszeitbetrug.

Bayer: Betriebsrat widerspricht Kündigung wegen Arbeitszeitbetrug

Der Betriebsrat hat der Kündigung übrigens widersprochen. Die Personalabteilung ergehe sich in „Verdächtigungen und theoretischen Berechnungen der tatsächlichen Arbeitszeiten, ohne dass tatsächliche Beweise vorgelegt wurden“. So etwas sei „nicht als Tatsache haltbar“, schreibt Michael Pfeifer, Sprecher im Personalausschuss des Betriebsrats. Den „Arbeitszeitbetrug können wir nicht nachvollziehen“, heißt es von den Arbeitnehmer-Vertretern.

Riemer arbeite seit 20 Jahren „beanstandungslos“ bei Bayer Vital – in den vielen Anlagen, mit denen das Unternehmen seine Kündigung untermauert, „sehen wir eher mehrere Versäumnisse durch die Führung“, etwa bei Arbeitsanweisungen und Kontrollen – gerade auch der Arbeitszeiten – durch den Vorgesetzten. Es sei „unverständlich, dass er nicht genau weiß, was Frau Riemer macht“.

Wenn es da Unklarheiten gebe, könnten die leicht ausgeräumt werden, heißt es vom Betriebsrat: Einmal im Quartal sind bei Bayer „Check-in-Gespräche“ Pflicht. Darin könnten Vorgesetzte und Mitarbeiter ihr Verhältnis klären, über Arbeitslast und -verteilung sowie die Einteilung der Zeit sprechen. Das sei auch die Gelegenheit, bei der „gegebenenfalls vorhandene Ungereimtheiten angesprochen und ausgeräumt werden“. Nur: „Solche Gespräche zwischen dem Vorgesetzten und der Mitarbeiterin scheinen auch nie, wie vorgesehen, stattgefunden zu haben“, so der Betriebsrat.

Richter van Laak sagt in diesem Zusammenhang: „Dass Sie den Vorgesetzten so aus jeder Verantwortung rausnehmen, finde ich spannend.“ Er bringt den Begriff „Organisationsversagen“ ins Spiel. So beschreibt man es, wenn ein Arbeitgeber systematisch Mehrarbeit verlangt. Dass Kim Riemer die geleistet hat, stellt der Richter nicht in Frage.

Mit Blick auf die harte Haltung bei Bayer startet er nur einen Versuch, „ob man sich irgendwie einigen kann“. Einen Vorschlag hat Konzernanwältin Naßauer allerdings nicht im Gepäck. Bayer will Kim Riemer nicht mehr sehen. Damit bleibt der Gütetermin ergebnislos. Weiter geht es in frühestens zwei Monaten. Bayer-Anwältin Naßauer und Riemers Anwalt Peter Orlowski werden gegenüber dem Gericht weitere Argumente austauschen. Dann gibt es einen weiteren Termin.

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