Vor zahlreichen Wortbeiträgen, die das Leid der Betroffenen darstellen, kamen Pfarrer Teller und Oberbürgermeister Stefan Hebbel zu Wort.
„Tabuthema muss weg“Gedenkveranstaltung zu sexuellem Missbrauch in Leverkusen

Pfarrer Heinz-Peter Teller zählte mit dem Stadtdekanat Leverkusen zu den Veranstaltern von „Mitten im Sturm“.
Copyright: Ralf Krieger
Es ist kurz vor 18 Uhr am Montagabend, 17. November, in der Villa Wuppermann in Schlebusch. Für viele der anwesenden Personen bei der Veranstaltung „Mitten im Sturm“ steht nicht nur ein wichtiger Abend zum Wochenstart bevor. Sondern auch am Dienstag ein ebenso bedeutender Tag: 2015 wurde für den 18. November auf Anregung des im April verstorbenen Papst Franziskus der Gedenktag für Betroffene sexuellen Missbrauchs ausgerufen.
Die Zusammenkunft am Vorabend im gut gefüllten Veranstaltungsraum in Schlebusch wurde gemeinsam vom Betroffenenbeirat des Erzbistums Köln und dem Stadtdekanat Leverkusen organisiert.
Auch OB Hebbel nimmt an „Mitten im Sturm“-Veranstaltung teil
Die ersten Worte des Abends übernahm gegen 18 Uhr dann auch Pfarrer Heinz-Peter Teller, als Dechant im Rahmen der Veranstaltung ein Repräsentant des Stadtdekanats Leverkusen. In seinen eröffnenden Worten thematisierte der langjährige Pfarrer der Gemeinde St. Remigius in Opladen einen Aspekt, der im Laufe der kommenden rund drei Stunden immer wieder aufgegriffen werden sollte: Wir müssen die Tabuisierung aus der Gesellschaft nehmen, sagte Teller. „Das Thema geht alle an.“ Bei „Mitten im Sturm“ solle nicht nur der Austausch von Betroffenen untereinander unterstützt werden, allen Personen werde die Möglichkeit gegeben, Einblicke zu erhalten. Dem kamen im zweiten Teil des Abends, einer offenen Frage- und Diskussionsrunde mit Moderation, auch zahlreiche Außenstehende nach.
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Der Schmutz zieht in die Seele ein
Pfarrer Teller übergab im Anschluss an seine Rede erst einmal das Wort an den neuen Oberbürgermeister Stefan Hebbel, der ebenfalls an dem Gedenken teilnahm. In seiner kurzen Rede thematisierte der CDU-Politiker etwa seine Berührungspunkte mit dem Missbrauchsthema aus der Zeit seines Polizeidienstes, etwa durch die Ermittlungsgruppe „Besondere Aufbauorganisation“ (BAO) Berg. Sie wurde 2019 im Rahmen des Kindesmissbrauchskomplexes in Bergisch Gladbach eingesetzt und war bis 2022 tätig.
Musik, um Gehörtes zu verarbeiten
Im Anschluss wurden zahlreiche Betroffenenberichte vorgelesen, teils wurden sie in Reimform niedergeschrieben. Dazwischen gab es kleinere Pausen, in denen Musik erklang – mal über einen Lautsprecher abgespielt, mal ruhige Klänge einer Gitarre vor Ort eingespielt. Dies gab den Anwesenden die Gelegenheit, das Gehörte zu reflektieren und innezuhalten. Die Perspektive, mit der sich die Betroffenen mit den beschriebenen Taten auseinandergesetzt hatten, variierten. Eine Erzählung beschrieb die Gedanken des Kindes während des Missbrauchs – Sätze wie „Zaubere mich weg von hier“, gerichtet an Gott. Bei einem weiteren Wortbeitrag lag der Fokus wiederum auf dem Umgang mit dem Erlebten („Der Schmutz zieht in die Seele ein“). Während die Perspektiven variierten, blieb die Schwere des Geschilderten aber.
Warum das Bild des Sturms für den Titel der Veranstaltung gewählt wurde, griff der Betroffenenbeirat auf. Berichte vom Vergleich einer Schifffahrt auf hoher See, in der die Personen der Natur ausgesetzt sind, mit dem Erlebten wurde thematisiert. „Der Sturm kam unerwartet und heftig“, hieß es in einem weiteren Wortbeitrag, der erlebte sexuelle Übergriff hingegen sei „unverhofft“ gekommen und mit „Todesangst“ verbunden gewesen.
Verlesen wurden auch die Gedanken von Betroffenenbeirat-Mitglied Claudia-Sybille Blessing zum Vaterunser. Darin hieß es bezugnehmend auf „Dein Wille geschehe“ etwa „Es war der Wille des Täters, uns zu benutzen und uns zu zerstören. Herr, hier muss man Dich freisprechen, das konnte doch nicht Dein Wille sein? Nein“. Auf „wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ wiederum entgegnet sie: „Wir wollen vergeben, aber es gelingt nicht gut. Hilf Herr, dass wir uns wenigstens mit diesem Schicksal versöhnen können. Vielleicht finden wir dann die Kraft, eines Tages auch vergeben zu können.“
Nach einer Pause folgte schließlich die offene Diskussion, die sich lebendig entwickelte. Es wurden verschiedene Standpunkte ausgetauscht, leidenschaftlich nachgefragt – und auch viel gelacht. Die Veranstalter betonten, Veranstaltungen wie diese stärkten die Gemeinschaft – nicht nur unter den Betroffenen, sondern auch mit denjenigen, die tatkräftig unterstützen wollen, den Missbrauchsopfern einen bestmöglichen Lebensweg zu ermöglichen.
In die Gesprächsrunde waren dann neben den Betroffenen unter anderem eine Psychologin, ein Diakon und Priester eingebunden. Dabei wurde unter anderem auch über den Umgang mit Kindern in der heutigen Zeit diskutiert – und wie Erwachsene ihnen helfen können, ohne in Verdacht zu geraten, Grenzen zu überschreiten. Abgerundet wurde die Gedenkveranstaltung mit einem der Aspekte, die Pfarrer Teller rund drei Stunden zuvor als Erstes aufgegriffen hatte: „Das Tabuthema muss weg.“ Zu einem offenen Umgang mit einem „schwierigen Thema“, wie es Oberbürgermeister Hebbel bezeichnete, dürfte auch diese Veranstaltung in Schlebusch beigetragen haben.

