RückblickSo lief es in Leverkusen wirtschaftlich: Bill Anderson und die Altlasten

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Bayers Konzernzentrale am Abend Foto: Ralf Krieger

Was wird entschieden im Eckbüro von Bayers Konzernzentrale? Fest steht: Bill Anderson muss vieles anders machen als Werner Baumann.

Bayer ist ein Sanierungsfall, Covestro könnte arabisch werden, Lanxess investiert nicht mehr: Leverkusens Konzerne sind am Scheideweg

Im Februar sieht es noch gut aus: Werner Baumann kann noch einmal Punkte sammeln bei Aktionären und Investoren. Dass es ausgerechnet der Unkrautvernichter Glyphosat ist, der wegen geringem Angebot und hoher Nachfrage zu Rekordpreisen verkauft werden konnte und Bayer zu einer guten Bilanz verhilft, wirkt beinahe grotesk.

Aber das wirkt im Frühjahr schon wie Schnee von gestern. Denn 2023 wird als sehr schlechtes Jahr in Bayers Geschichte eingehen. Das wird jedoch erst im Spätherbst so richtig deutlich. Nach wieder verlorenen Glyphosat-Prozessen in den USA und dem Abbruch einer Studie für den Xarelto-Nachfolger Asundexian rauscht die Bayer-Aktie einmal mehr in die Tiefe. Der Konzern ist inzwischen gerade noch halb so viel wert, wie die Übernahme von Monsanto gekostet hat.

Werner Baumanns vorzeitig berufener Nachfolger Bill Anderson ist gleich mal in einem Maß gefordert, das der agil rüberkommende Amerikaner so auch nicht erwartet hätte. Der Neuzugang vom Pharma-Konkurrenten Roche muss nicht weniger geben als den Bayer-Retter. Aber einen Plan kann er ein halbes Jahr nach seinem Antritt an der Kaiser-Wilhelm-Allee unmöglich vorlegen.

Bayers neuer Chef kann keinen Stein auf dem anderen lassen

Allerdings ist die Nervosität bei den Anlegern derart groß, dass der Neue Erwägungen öffentlich anstellt, die in Leverkusen unter normalen Umständen ein Erdbeben ausgelöst hätten: Eine weitere Aufspaltung des Konzerns ist ziemlich wahrscheinlich. Die unter Werner Wenning vollzogenen Zukäufe diverser rezeptfreier Medikamente könnte wieder rückgängig gemacht werden. Eine andere denkbare Zellteilung könnte zwischen Pharma- und Agrochemie stattfinden.

Egal, ob einer dieser scharfen Schnitte kommt oder Sparten beisammen bleiben: In der Verwaltung von Bayer wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Anderson hat an der Kaiser-Wilhelm-Allee viel zu viele aus seiner Sicht völlig nutzlose Hierarchien ausgemacht. Das mittlere Management soll wesentlich schlanker aufgestellt werden. Das wird eine ganze Menge Stellen kosten im Mittelbau des altehrwürdigen Konzerns. Stand heute ist Bayer ein Sanierungsfall.

Covestro wird heftig umworben – und immer teurer

Im Vergleich zur Bayer-Malaise sieht sich Covestro in der komfortablen Situation eines umworbenen Unternehmens. Der Ölkonzern Adnoc aus Abu Dhabi will die im Dax gelistete Gesellschaft übernehmen.

Am Geld soll der Plan offenbar nicht scheitern. Von einer dritten Offerte ist inzwischen die Rede: 60 Euro pro Aktie werden geboten, nachdem 55 und danach 57 Euro als nicht ausreichend abgetan wurden. Es besteht kein Zweifel, dass die frühere Kunststoff-Sparte von Bayer sehr gut zur Abu Dhabi National Oil Company passen würde. Sollte Adnoc-Chef Sultan Ahmed Al Jaber, der gerade erst als Leiter der Weltklimakonferenz auch diplomatisch prominent in Erscheinung getreten ist, auch bei der BASF-Tochter Wintershall Dea auf Gegenliebe stoßen, ergäbe ein Kauf von Covestro noch mehr Sinn.

Inzwischen zeigt sich, dass die Araber verstanden haben, worum es immer auch geht bei derartigen Übernahmen in Europa: Zu ihrem Angebot gehören umfangreiche Arbeitsplatz-Garantien und Zusagen, in Covestro zu investieren. Ohne das dürfte der Kunststoff-Konzern auch kaum die Kurve kriegen. Die gesamte Produktion muss grundsätzlich umgestellt werden, damit das Unternehmen nachhaltig und klimaneutral aufgestellt werden kann. Seit er Vorstandschef ist, predigt Markus Steilemann diesen umfassenden Wandel. Das hat ihn zum Vorzeige-Manager gemacht, den der Verband der Chemischen Industrie gerne an seiner Spitze hat.

Bei Lanxess wird das klare Wort gepflegt – auch wenn es weh tut

Ein anderer Vorstandschef pflegt die knallharte Analyse der Lage: Matthias Zachert, einst als Chef-Reparateur zu Lanxess zurückgeholt, hat den Spezialchemie-Konzern zunächst in großen und seither in kleineren Schritten umgebaut und ist kein Fan von Diplomatie und allzu großer Vorsicht bei der Wortwahl. Deshalb war er auch der Erste, der den Standort Deutschland als untauglich für Investitionen erklärt hat. Jedenfalls für ein Unternehmen wie Lanxess, das Energie nun mal in großen Mengen braucht.

Was den Verbrauch angeht, ist die frühere Bayer-Chemie fast noch schlechter dran als Covestro. Wer jetzt noch in Leverkusen, Dormagen oder Uerdingen eine neue Anlage baue, „vergeht sich am Konzern“, sagt er und beunruhigt so die Belegschaft hat in den Chemparks. Jeder weiß, dass man auf Dauer die Zukunft verspielt ohne Innovationen.

Die Chemische Industrie in Deutschland als Auslaufmodell – das ruft nicht nur Gewerkschafter auf den Plan, sondern auch den Oberbürgermeister. Aber Uwe Richrath hat den Genossen Olaf Scholz genauso wenig überzeugen können wie Karl Lauterbach. Aus dem „Brückenstrompreis“, wie die riesige Subvention bezeichnet wird, ist bis heute nichts geworden. Und nichts deutet darauf hin, dass es noch etwas geben wird, das über die Senkung der Stromsteuer und die Ausnahmen für besonders große Großverbraucher geben wird. Die Zukunft der Konzerne in Leverkusen ist wacklig.


Das wirtschaftliche Jahr in Leverkusen in Kurzform

Januar

Nach der Corona-Krise ist der bundesweit aktive Veranstalter Werner Nolden wieder dabei. Inzwischen ist der Vater der „Bierbörse“ 70 Jahre alt und bewegt sich zwischen Chancen und Risiken.

Der heikle Stoff NTN-Mutterlauge darf nach Prüfung durch Experten wieder im Bürriger Müllofen verbrannt werden.

Februar

25 Jahre hat es gedauert, bis die Neuentwicklung einsatzbereit war: Mit der Sauerstoff-Verzehrkathode lässt sich bei der Chlor-Herstellung ein Viertel der Energie sparen. Für Covestro ist das ein Meilenstein.

Die Illbruck-Halle, in der einst auch Regatta-Boote gebaut wurden, wird zum Modelager für P & C.

März

28 Millionen Euro Kosten hat Currenta nach der Explosion vom Juli 2021 in den Büchern. Das zeigt ein Blick in die Bilanz des Chempark-Betreibers.

Die Wohnungsgesellschaft Leverkusen beendet das Interregnum nach der Kündigung von Wolfgang Mues: Gerald Hochkamer hat sein Abitur in Opladen gemacht.

April

Werner Baumanns letzter Auftritt vor Aktionären ist trotz Kritik wieder nur virtuell. Auch Bayer kehrt – wie Lanxess und Covestro – nach der Corona-Pandemie nicht zu Präsenz-Hauptversammlungen zurück. Den Unmut von Anteilseignern und Konzernkritikern bekommt der scheidende Vorstandschef nur gefiltert mit.

Mai

Ein Vorzeigeprojekt steht vor dem Aus: Die Nutzergenossenschaft in der Neuen Bahnstadt ist zahlungsunfähig und sucht einen Käufer. In Frage kommt der Gemeinnützige Bauverein Opladen.

Wiesdorf behält ein besonderes Geschäft: Nach dem Tod von Isolde Faust wird ihre Tochter Carolina Hummel Geschäftsführerin.

Juni

Können Leverkusens Krankenhäuser kooperieren? Nachdem die K-plus-Gruppe ein Schutzschirmverfahren beantragt hat, wird vom Klinikum ein Zusammenschluss mit dem Sankt-Remigius-Krankenhaus forciert – zunächst ohne Ergebnis.

Ein Solarpark in der Dhünnaue wird so schnell nicht kommen, heißt es vom Chempark-Betreiber Currenta.

Juli

Winfried Leßmann hinterlässt ein bestens bestelltes Feld: Der Gründer des Radiologie-Netzwerks Rheinland, das unter dem Titel Med 360° weiter wächst, zieht sich zurück und überlässt dem Krankenhaus-Riesen Sana die Mehrheit.

Im Chempark hat Currenta die Berufsschulen wegen zu hoher Kosten auf die Schließungsliste gesetzt.

August

Auf einem Mieterfest im zwischendurch Hochwasser-Geschädigten Neubau an der Kantstraße stellt sich Gerald Hochkamer vor, der neue Geschäftsführer der Wohnungsgesellschaft Leverkusen.

TMD Friction wird wieder verkauft, und wieder ist ein Finanzinvestor neuer Eigentümer. Die Aequita-Gruppe wurde 2018 gegründet.

September

Der Covestro-Vorstand steigt in Gespräche mit Adnoc ein. Der Ölkonzern aus Abu Dhabi will den Kunststoff-Konzern kaufen.

Die „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ demonstriert vor der Konzernzentrale gegen die Zulassungsverlängerung für Glyphosat und wird vom Unternehmen ignoriert. Am Ende hat Bayer Erfolg.

Oktober

Die Debatte um subventionierte Strompreise für Covestro, Lanxess und andere Großverbraucher wird schärfer. Leverkusens CDU-Mittelstandsvereinigung attackiert Bundeskanzler Olaf Scholz.

Currenta nimmt wegen geringer Auslastung in Bürrig einen Ofen vom Netz: Die Klärschlammverbrennung liegt vorübergehend still.

November

Der Chempark soll an das geplante Wasserstoff-Netz angeschlossen werden und arbeitet dafür mit dem Betreiber Thyssengas zusammen. Vor 2030 ist aber nicht mit Vollzug zu rechnen.

Mittelständler leiden zunehmend unter der schlechten Zahlungsmoral ihrer Kunden. Das zeigt eine Auswertung von Creditreform.

Dezember

Die Nachfrage nach dem Spezialkautschuk ist nicht zu befriedigen: Erneut erweitert Arlanxeo die Therban-Anlage im Chempark.

Wie viel Grundwasser darf Currenta für den Chempark abzapfen? Auf einer Anhörung der Bezirksregierung üben Betroffene deutliche Kritik daran, dass kein Wasser gespart werden soll.


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