Interview mit Serap Güler„Es ist ziemlich klar, dass die Mega-Stelze durch Leverkusen kommt“

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Die Bundestagsabgeordnete Serap Güler sitzt am Tisch und redet.

Die Bundestagsabgeordnete Serap Güler (Wahlkreis 101 Köln/Leverkusen) war zum Interview zu Gast beim „Leverkusener Anzeiger“. (Archivfoto)

Serap Güler ist CDU-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Köln/Leverkusen. Sie spricht über Konservativismus und Unzufriedenheit.

Frau Güler, wie blicken Sie auf die derzeitigen Demos von Hunderttausenden gegen einen Rechtsruck in Deutschland?

Serap Güler: Ich finde die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie ermutigend. Es ist gut, wenn jetzt die schweigende Mehrheit Flagge zeigt und deutlich macht, dass sie mit einem Deutschland, das sich die AfD und andere Rechtsextreme wünschen, nicht einverstanden ist.

Die deutsche Parteienlandschaft verändert sich, Gruppen spalten sich von den etablierten Parteien ab. Stichwort Wagenknecht, Maaßen. Was ist der Konservativismus, den Sie vertreten?

Ich würde konservativ erst einmal als etwas Grundsätzliche definieren, von dem ich sage: Da lohnt es sich, für einzustehen, weil es sich bewährt hat. Aber gleichzeitig heißt das, sich dem Neuen nicht zu verschließen. Ich verstehe darunter keine rechte oder linke Position. Ich würde mich als wertekonservativen Menschen bezeichnen. Und dass die AfD an zweiter Stelle steht, macht mir natürlich Sorge. Umso wichtiger ist es, dass wir Politik so machen, dass wir viele Menschen mitnehmen und erklären, wieso wir welchen Schritt machen. Und ich hab das Gefühl, dass das gerade nicht passiert.

Serap Güler bezeichnet sich als „wertekonservativ“

Was meinen Sie mit „wertekonservativ“?

Es gibt bestimmte Werte und Traditionen, die mir wichtig sind und die ich wichtig für den Zusammenhalt einer Gesellschaft finde. Das ist jetzt nicht der Weihnachtsbaum in dem Sinne. Aber ein paar kulturelle Eigenschaften, die unser Land hat. Der familiäre Zusammenhalt, das ist für viele andere Menschen sicher auch wichtig, aber ich hab das Gefühl, das geht mit der Zeit verloren. Zum Beispiel: Wie kriegen wir Menschen fürs Ehrenamt motiviert? Da wird über Politik gesprochen, über Presse. Aber das sind Dinge, die eigentlich in der Familie vermittelt werden sollten.

Und wieso ist das nicht mehr so?

Man steckt vielfach in einem Alltagstross. Viele Eltern gehen beide arbeiten. Und das heißt nicht, dass ich das Familienbild der 50er- und 60er-Jahre möchte. Ich meine: Viele Dinge müssten in der Kernfamilie wieder mehr vermittelt werden.

Wie kann die Politik das fördern?

Wir müssen darüber nachdenken, wie wir Menschen entlasten. Vereinbarkeit ist da ein wichtiges Thema. Und wir sollten wieder mehr darüber sprechen, dass die Vermittlung von Werten nicht nur in der Schule geschehen soll. Ein aktives Vereinsleben ist ganz entscheidend. Und ich glaube, es ist unsere Verantwortung, dass wir den Menschen, die sich engagieren wollen, keine Steine in den Weg legen – zum Beispiel durch zu extreme Bürokratie.

Unzufriedenheit überall spürbar

Aber jede Partei will Bürokratie abbauen...

Ja, das ist total parteiunabhängig. Das finden Sie in jedem Parteiprogramm. Aber man hat das Gefühl, das wird immer mehr als weniger, egal auf welcher Ebene.

Wo müsste man denn dann ansetzen, damit die Bürokratie weniger wird?

Ich glaube, das kommt auf den Einzelfall an. Machen wir uns nichts vor: 80 Prozent unserer Gesetze werden in Brüssel gemacht. Ich bin zwar so froh, dass es diese Institution gibt. Aber die EU muss auch, was Bürokratie angeht, wirklich darauf achten, den Mitgliedsstaaten und ihren Bürger bürokratisch nicht noch mehr aufzuhalsen. Es ist aber nicht nur Brüssel. Auch Berlin und diverse Landesregierungen bis zu manchen Kommunalbehörden.

Inwiefern bekommen Sie die angesprochene Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit?

Ich bekomme sie extrem mit, zum Beispiel in Bürgersprechstunden. Und phasenweise war jede Gruppe mal unzufrieden. Im Moment ist es aber völlig irrelevant, ob Sie einen Unternehmerverband besuchen, der Ihnen erzählt, was gerade alles schiefläuft, oder eine soziale Einrichtung. Seitdem ich Politik mache, hab ich noch nie eine so starke Unzufriedenheit auf allen Ebenen erlebt. Was ja auch irgendwo erklärt, wieso die AfD da liegt, wo sie liegt.

Ist denn alles so schlimm?

Die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land muss uns wirklich Sorgen machen. Unterhalten Sie sich mal mit Unternehmen im Chempark. Lanxess will gar nicht mehr in Deutschland investieren. Und das hat auch viel mit politischen Entscheidungen zu tun. Das kann man nicht wegdiskutieren. Aber ob eine Partei, in der Björn Höcke das Sagen hat, wirklich Lösungen hat, darf doch mehr als bezweifelt werden. Aber viele Menschen haben das Gefühl, dass nicht gewürdigt wird, dass sie morgens aufstehen und zur Arbeit gehen.

Aber sind alle Fehler denn in den Ampel-Jahren entstanden?

Nein. Aber es waren 16 wirtschaftlich gute Jahre für Deutschland. Volle Kassen. Und da sind viele Dinge weniger aufgefallen als jetzt. Nach Corona, mit dem Krieg. Was uns oder die Ampel aber nicht daran hindern sollte, mutige Schritte zu gehen.

Macht es Ihnen die Ampel derzeit leicht, Opposition zu sein?

Im ersten Augenblick, ja. Aber insgesamt für die demokratische Entwicklung ist das schlecht. Da kann sich keiner drüber freuen, auch ich nicht als Oppositionspolitikerin. Von so einer großen Unzufriedenheit mit dem Kanzler und der Regierung mögen wir als Opposition zwar profitieren, aber das ist insgesamt keine gute Entwicklung für das politische Vertrauen, von dem wir alle leben.

Kommen wir auf Leverkusen zu sprechen. Sie haben die schwierige wirtschaftliche Lage angesprochen. Wie kann der Bund den Industriestandort Leverkusen sichern?

Ich glaube, die hohen Energiekosten sind ein wichtiger Punkt. Die Strompreisbremse war in der Diskussion. Wobei meine Position ist, dass sie auch für den Bäcker und nicht nur für die Industrie gelten sollte. Dann kam aber das Urteil aus Karlsruhe. Und auch wenn wir geklagt haben: Gefoult hat die Bundesregierung.

Stichwort Mega-Stelze. Haben Sie den Eindruck, Verkehrsminister könnte sich da noch bewegen?

Ich hab' nicht unbedingt den Eindruck. Es ist schon ziemlich klar, dass die Stelze kommt. Das Verkehrsministerium sagt, alles andere sei nicht finanzierbar. Gerade in Anbetracht der aktuellen Situation.

Also kein Erfolg für „Keinen Meter mehr“?

Ich glaube nicht, so brutal das auch klingt. Man versucht, das nicht in aller Öffentlichkeit zu kommunizieren, um keine Protestbewegung vor Ort zu schaffen. Aber ich glaube nicht daran, dass das Verkehrsministerium sich da noch bewegt.

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