Wiederaufbau, Krieg und SturmAls der Leverkusener Karneval nicht stattfinden konnte

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„Schnee ist das einzige Treiben titelte der „Leverkusener Anzeiger“ 1991 nach der Absage der Karnevals.

Leverkusen – Der Krieg in der Ukraine schockiert die Welt. Auch der Karneval bleibt davon nicht unberührt. Viele Jecken fragen sich: Ist der Frohsinn der fünften Jahreszeit in einer solchen Situation unangebracht? Oder ist der Karneval nicht gerade jetzt nötig? Diese Frage stellen sich Leverkusener Karnevalisten nicht zum ersten Mal. Ein historischer Rückblick auf drei Sessionen zwischen Neuanfang, Absagen und vermeintlicher Normalität.

1949 – der erste Zug nach dem zweiten Weltkrieg

Wie sollte der Karneval aussehen, nach dem militärischen, wirtschaftlichen und moralischen Zusammenbruch, den der Zweite Weltkrieg bedeutete? In seinem Aufsatz „Das Wiedererwachen des Karnevals in Leverkusen“ schildert Reinhold Braun vom Bergischen Geschichtsverein, wie kontrovers die Leverkusener nach 1945 mit dieser Frage gerungen haben.

Ein Zeitungsartikel aus dem Rhein-Echo fasste die Stimmung 1947 zusammen: „Die einen sind dafür, die anderen dagegen …, daß aus der Niedergedrücktheit unserer Tage Faschingslust und -laune entstehen soll.“

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Sitzung der Karnevalsfreunde Manfort im Jahr 1949.

„Ehe die Wunden, die dieser Krieg geschlagen hat, vernarbt sind, werden Jahre dahingehen. Vielleicht wird einmal unsere Jugend dazu kommen in alter Väter Art den Karneval neu erstehen zu lassen“, schrieb Bernhard Obladen, späterer Oberbürgermeister von Leverkusen, schon im November 1944.

Auf der anderen Seite setzte sich etwa die Westdeutsche Rundschau dafür ein, dass Karnevalsleben wiederzubeleben. 1948 hieß es dort: „Es ist aber eine Binsenwahrheit, daß Freude und Frohsinn zu den lebenbejahenden Faktoren zählen und deshalb sollte man dem rheinischen Temperament gerade heute keinen Riegel vorschieben.“

„Für ein paar Stunden dem Alltag entrinnen“

Die Optimisten sollten sich schrittweise durchsetzen. Schon ein halbes Jahr nach Ende des Zweiten Weltkrieges gab es erste Treffen von Karnevalisten. 1947 veranstalteten die Roten Funken dann zwei Sitzungen im Erholungshaus der Farbenfabriken Bayer.

Die wirtschaftlichen Nöte sorgten dafür, dass ein richtiger Umzug noch auf sich warten ließ. Erst im Jahr 1949 rollte am Karnevalssonntag dann der erste Zug für Kinder durch Wiesdorf – oder wie es Karnevalslegende Fritz Esser in der Chronik der Roten Funken formuliert: ein „Zügelchen“. Zwei Jahre später gab es dann schon drei Karnevalszüge – neben Wiesdorf auch in Schlebusch und Rheindorf. 1948 titelte das Rhein-Echo über das närrische Treiben „Für ein paar Stunden dem Alltag entrinnen“ und fasste damit nicht nur die rheinische, sondern wohl auch die bundesdeutsche Mentalität nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zusammen.

1991 – als der Karneval wegen Krieg abgesagt wurde

Es ist der 17. Januar 1991, als die USA und ihre Verbündeten die Operation „Desert Storm“ starten. Nachdem die irakischen Truppen von Saddam Hussein das Nachbarland Kuwait besetzt hatten, bombardierten die Amerikaner die irakische Hauptstadt Bagdad. Der zweite Golfkrieg hatte begonnen.

In Leverkusen ist Karnevalszeit. Und nicht nur dort, sondern im ganzen Rheinland fragt man sich, ob in einer solchen Situation ganz normal gefeiert werden kann. Nach und nach entschieden sich die Karnevalshochburgen damals, ihre Züge abzusagen, auch aus Angst vor Terroranschlägen. Die Entscheidung war in Leverkusen umstritten, wie ein Blick ins Archiv des „Leverkusener Anzeiger“ zeigt.

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Bei einer Umfrage gibt etwa ein Leser zu Protokoll: „Ich finde, diese Entscheidung ist richtig. Die Situation ist doch einfach zu bedrückend, um unbeschwert Karneval zu feiern“, während ein anderer Leser zu Bedenken gibt: „Das ist vor allem schade wegen der Kinder. Gerade den Kleineren ist das sicher nur sehr schwer zu vermitteln. Unverständlich ist mir die Entscheidung vor allem deswegen, weil es immer schon Kriege und Konflikte gegeben hat, ohne dass der Karneval deswegen ausgefallen ist.“

Zumindest für die Kinder hielt das Wochenende aber eine Entschädigung bereit. Statt Kamelle gab es immerhin Neuschnee, der zum Schlittenfahren einlud.

2020 – Die vermeintlich letzte normale Session

Nach zwei Jahren Corona-Pandemie erscheint die Session im Jahr 2020 wie ein längst verlorenes Stück Normalität. Doch auch damals musste der Wiesdorfer Zug am Karnevalswochenende abgesagt werden. Sturm Yulia fegte über das Rheinland hinweg.

Karneval2020

Ein Gesicht sagt alles: Prinz Kerbi I. versuchte die Passanten auf der Hauptstraße mit Süßigkeiten zu trösten (Archivfoto).

Im Vergleich mit den Abwägungen, die heute getroffen werden müssen, mutet der Grund für die Absage allerdings banal an. Zumal die Wiesdorfer, als sich das Wetter am Rosenmontag besserte, in Opladen mitmachen durften. „Der längste Zug von Opladen“ titelte der „Leverkusener Anzeiger“. Auch wenn der Wiesdorfer Zug vor zwei Jahren also abgesagt werden musste, würde man heute vermutlich gerne tauschen. 

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