2005 ging Agfa pleiteDie Katastrophe nach Himmelfahrt

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Dieses Bild machte allerdings niemanden glücklich: Mitte Dezember 2005 herrschte Tristesse im Agfa-Bereich des heutigen Chempark.

  • Es geschah am Brückentag vor 15 Jahren: Kaum gegründet, war Agfa-Photo zahlungsunfähig.
  • Die Gründe für die plötzliche Pleite eines Weltunternehmens sind immer noch nicht aufgearbeitet.
  • Ein hemdsärmeliger Manager, eine graue Eminenz als Investor, eine Schlappe vor dem Bundesarbeitsgericht. Lesen Sie hier, was alles geschah seit 2005

Leverkusen – Es passte ins Bild, ganz einfach: Der 20. Mai 2005 war der Brückentag zwischen Himmelfahrt und dem Wochenende. Dass die Geschäftsführer der gerade erst gegründeten Agfa-Photo an diesem Tag im Kölner Amtsgericht den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stellen würden, konnte sich niemand vorstellen. Noch weniger war damit zu rechnen, dass die Pleite bis heute nicht abgearbeitet ist. Gerade erst hat Andreas Ringstmeier, der ewige Insolvenzverwalter, den Startschuss für eine neues Ringen um Millionen Euro gehört: Aufgrund eines Formfehlers wird der Streit mit der früheren Mutter Agfa Gevaert vor dem Internationalen Schiedsgerichtshof für Wirtschaftstreitigkeiten ein zweites Mal aufgerollt. Das könnte sich lohnen: In der ersten Runde hat Ringstmeier 410 Millionen Euro von Agfa Gevaert gefordert.

Der Letzte machte das Licht an: Auch die Emulsionen, die unter Lichtschutz hergestellt wurden, brauchte niemand mehr.

Der Letzte machte das Licht an: Auch die Emulsionen, die unter Lichtschutz hergestellt wurden, brauchte niemand mehr.

Das war alles nicht absehbar an jenem sonnigen Brückentag vor 15 Jahren. Die Firma schien Gewinn zu machen; außerdem war da noch eine immer wieder zitierte Kreditlinie. Die dann nie gezogen wurde. Auch das ahnte niemand in der Belegschaft. Vielmehr herrschten Zuversicht und Aufbruchsstimmung. In der Geschäftsführung der an diesem Tag erst gut ein halbes Jahr alten Agfa-Photo saßen immerhin zwei alte Fahrensleute: Ingbert Schmitz und Eddy Rottie kannten das Geschäft mit Film und Foto gut; sie sorgten für Vertrauen in der Belegschaft, die nach zahllosen Wellen des Personalabbaus natürlich wusste, dass die Zeiten schwierig sind. Auch vor einer Weltmarke hatte die Digitalisierung nicht Halt gemacht. Kameras ohne Film stellten den Markt auf den Kopf – wer benutzt sowas eigentlich heute noch?

Am 31. Mai 2005, keine zwei Wochen nach der Pleite, demonstrierten auf der B 8 Agfarianer, die ihr Unglück gar nicht fassen konnten.

Am 31. Mai 2005, keine zwei Wochen nach der Pleite, demonstrierten auf der B 8 Agfarianer, die ihr Unglück gar nicht fassen konnten.

Dazu kam: Der eigentliche Käufer der Foto-Sparte war der komplette Gegenentwurf zum hemdsärmeligen Belgier Rottie: Hartmut Emans hatte bei der jedenfalls unter Arbeitnehmern gefürchteten Unternehmensberatung Mc Kinsey Karriere gemacht. Der grauhaarige, sehr unnahbare Mann mit Wohnort München-Grünwald schien den Agfarianern etwas suspekt. Und viele wussten zunächst nicht, dass er die Foto-Sparte schon mal unter der Lupe hatte: als drei Jahre zuvor das Investmenthaus Schroder Ventures die Firma kaufen wollte.

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Die Foto-Sparte sollte einfach nur weg

Was aber jeder wusste: dass Agfa Gevaert kein Interesse mehr hatte an dem Bereich, aus dem das Unternehmen ursprünglich hervorgegangen war. Die Foto-Sparte sollte weg – da trug es stark zur Beruhigung bei, dass Rottie und Schmitz blieben. Umso größer war das Entsetzen, unter den rund 1000 Beschäftigten am Stammsitz Leverkusen, in München und in Peiting, als die Nachricht von der Pleite die Runde machte.

Mann mit Zigarre: Mit Hans-Gerd Jauch kam Agfa-Photo ins Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Später übernahm Ringstmeier.

Mann mit Zigarre: Mit Hans-Gerd Jauch kam Agfa-Photo ins Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Später übernahm Ringstmeier.

Das folgende Verfahren lässt bis heute viele Fragen offen: Zum Beispiel, was der wahre Wert der Firma war. Die 175 Millionen hat Emans später als völlig übertrieben dargestellt. Für ihn sitzen die Schuldigen an der Pleite in Mortsel, bei Agfa Gevaert.

Dass man dort zumindest den Arbeitnehmern Sand in die Augen gestreut hatte, als es um den Übergang zu Agfa-Photo ging, hat das Bundesarbeitsgericht 2008 festgestellt. Der Betriebsübergang war für viele ungültig, Agfa Gevaert zahlungspflichtig. Das rettete manche nach der Pleite gefährdete Existenz. Aber es gab auch Agfarianer, die keinen Job mehr bekamen, trotz Beschäftigungsgesellschaft und anderer Hilfen.

Doch auch die Rolle des Käufers wurde kritisch hinterfragt: Ging es Emans nur um die Marke, unter deren Label bis heute zum Beispiel USB-Sticks vertrieben werden? Sollte das Kernstück nicht überleben, obwohl er zu Beginn gesagt hatte: „Wir haben eine langfristige Perspektive“? 

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Schließlich die Mammutverfahren, die nicht nur Insolvenzverwalter Andreas Ringstmeier, sondern auch Hartmut Emans vor dem Internationalen Schiedsgerichtshof gegen Agfa Gevaert geführt haben. Darin sollte die eine Frage beantwortet werden: Wie konnte ein Weltunternehmen so schnell vor die Wand fahren? Auch nach 15 Jahren ist sie nicht beantwortet.

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