Zwangsversetzung, ForschungsstoppWie Bayer den Erfinder seines Milliarden-Medikaments Ciprobay behinderte

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Professor Klaus Grohe vor seiner Vitrine mit Packungen zum Beispiel von Ciprobay

Eine Vitrine mit Erinnerungen hat Klaus Grohe im Wohnzimmerschrank.

Der Leverkusener Chemiker Klaus Grohe musste immer kämpfen. Jetzt wird er 90 und hat ein paar Tipps für den neuen Vorstand Bill Anderson.

Als er nach seinem Chemiestudium in Würzburg in Leverkusen anfing, gab es bei Bayer noch ein wissenschaftliches Hauptlabor, und dessen Leiter hieß Otto Bayer. „Der hat mich aufgenommen“, erinnert sich Klaus Grohe. Das war 1965, und bei der Einstellung habe er dem großen Chemiker gesagt: „Ich möchte auch eigenen Ideen nachgehen.“ Wie wichtig das noch werden würde, konnte der junge Doktor da noch nicht ahnen. Das Unternehmen Bayer – das wird deutlich – hat es Grohe oft nicht leicht gemacht. Was stark verwundert bei einem Mann, dessen Erfindungen dem Konzern seinen ersten „Blockbuster“ bescherten, also ein Medikament, das im Jahr mehr als eine Milliarde Euro Umsatz macht. Für 2001 wurden sogar knapp zwei Milliarden bilanziert für Ciprobay und andere Produkte aus der neuen Familie der Fluorchinolone.

Was gerade zu dieser Zeit von enormer Bedeutung war für den ganzen Konzern: Bayer war nach Todesfällen in den USA, die mit der Einnahme des Cholesterinsenkers Lipobay in Verbindung gebracht wurden, in eine existenzielle Krise geraten, galt als Kandidat für eine Übernahme. „Da haben die Ciprobay-Umsätze schon geholfen“, stellt Grohe mit einer gewissen Genugtuung fest. Wobei diese wiederum mit einer ganz anderen Krise zu tun hatten: Nachdem mehrere Politiker in den USA Briefe bekommen hatten, in die ein Attentäter Sporen des Milzbrand-Erregers gefüllt hatte, wurde Ciprobay massenhaft geordert. „Das war das Einzige, was half“, sagt Grohe. 

Ein Brief an Bayers neuen Chef Bill Anderson

Die Lipobay-Krise erinnert stark an die Situation heute. Und fragt man Klaus Grohe nach den Ursachen für die Misere, spricht er nur in einem Nebensatz von Monsanto. Er findet – und da schwingen seine eigenen Erfahrungen natürlich mit –, dass bei Bayer zu wenig Erfindergeist herrscht. Und zu viel über das Management des Geschäfts nachgedacht wird. „Forscher müssen ermutigt werden, nicht entmutigt“, sagt Grohe. Einen Brief in diesem Sinn hat er kürzlich Bill Anderson geschrieben. Schließlich hat Bayers neuer Vorstandschef angekündigt, die vielen Management-Ebenen im Konzern zu straffen. Und Bayer wieder mehr zu dem „Erfinderunternehmen“ zu machen, als das es sich selbst nur allzu gern bezeichnet. „Nur dann kann es wieder aufwärts gehen“, sagt Grohe, der an diesem Dienstag das 90. Lebensjahr vollendet. Was man ihm übrigens kein bisschen anmerkt.

Forscher müssen ermutigt werden, nicht entmutigt
Klaus Grohe

Zu erkennen ist allenfalls hier und da eine gewisse Bitterkeit. Sie rührt daher, dass zwar Otto Bayer es dem Forscher leicht machte, seine Ideen zu verfolgen – nicht aber das Forschungsmanagement des Bayer-Konzerns. 1975 wurde der Chemiker sogar von der Pharma- in die Pflanzenschutz-Forschung strafversetzt, weil er seine vielversprechenden Versuche, die letztlich zu neuartigen Antibiotika führen sollten, nicht aufgeben wollte. „Dort hat er dennoch diese Arbeiten nebenher weiterverfolgt“, heißt es in einem Bayer-Artikel von 2020, den Klaus Grohe immer wieder erwähnt. Weil er ihn als späte Anerkennung seiner Leistung versteht und dort auch deutlich wird, wie ihm Steine in den Weg gelegt wurden.

Dabei ging es ihm nur darum, aus seiner „Begeisterung am Experiment“ etwas zu machen. Was dann ja auch gelang: Die Synthese von Fluorchinolonen ist die Grundlage für eine große Zahl moderner Antibiotika für Mensch und Tier, die dort helfen, wo klassische Präparate wie Penicillin und Tetracyclin nicht mehr wirken, weil Bakterien dagegen resistent sind. 

Der Forschungsvorstand wollte keine Chinolon-Versuche mehr

Wäre Grohe nicht so hartnäckig gewesen, gäbe es das alles nicht. Jedenfalls nicht bei Bayer. 1980 verfügte die damalige Leitung der Pharmaforschung, die Chinolon-Versuche einzustellen. Auch davon ließ sich Grohe nicht beeindrucken: Am 15. April 1981 synthetisierte er Ciprofloxacin und drei Tage später Enrofloxacin. Die „Grohe-Methode“ war geboren.

Ab da dauerte es noch sechs Jahre, bis Ciprofloxacin unter dem Namen Ciprobay in Deutschland, Großbritannien und den USA angeboten wurde. Es war der 9. Februar 1987. Ein Jahr später folgte Enrofloxacin als Präparat für die Tiermedizin. Produziert wurde übrigens in Elberfeld, was in diesem Fall durchaus eine besondere Pikanterie hat: Die Pharmaforscher in Wuppertal und Leverkusen pflegen ein herzliches Konkurrenzverhältnis.  

Schon kurz vor der Einführung von Ciprobay hatte Klaus Grohe die Gelegenheit, das Produkt seiner bahnbrechenden Forschungsarbeit am eigenen Leib zu testen. „Ich hatte eine Wurzelhaut-Entzündung. Die habe ich mit einer kleinen Menge Ciprofloxacin aus meiner Laborproduktion behandelt“, berichtet er. Die Wirkung sei beeindruckend gewesen – dass er „drei Tage keinen Geschmackssinn mehr hatte“, habe sich im Rahmen der Formulierung als Tablette noch regulieren lassen. Trotzdem ist es klar: „Cipro ist ein scharfes Schwert“, zitiert Grohe einen amerikanischen Professor. Obwohl es im Lauf der Jahrzehnte von rund eineinhalb Milliarden Menschen eingenommen wurde, ist man in letzter Zeit in der der Anwendung etwas vorsichtiger geworden.

Anerkennung zumindest außerhalb von Bayer

In den Folgejahren bewährte sich die Grohe-Methode bei der Entwicklung weiterer Fluorchinolone, wie zum Beispiel das Atemwegspräparat Moxifloxacin, das noch unter Grohes wissenschaftlicher Anleitung produziert wurde. Als „Nebenwirkung“ verzeichnet Bayer „eine Flut von Vorträgen auf internationalen Kongressen, Publikationen und Patenten“. Klaus Grohe erfuhr zumindest außerhalb des Werks sehr viel Anerkennung.

Und in seinem Unternehmen? Hielt sich die Hochachtung in Grenzen. Als der Forscher 1997 das Unternehmen verließ, sei der Abschied äußerst schmucklos verlaufen, erinnert er sich. „Ich bin dann zu Dr. Schneider gegangen“, berichtet Grohe am Freitag in seinem Haus in der Waldsiedlung von der Démarche beim damaligen Vorstandschef Manfred Schneider. Ergebnis war ein wissenschaftliches Symposium im Hörsaal des Hauptlabors und ein großer Empfang im Kasino. Das passte schon besser zu einer erfolgreichen Forscherkarriere. 

Der Flyer der Klaus-Grohe-Stiftung

Der Flyer der Klaus-Grohe-Stiftung

2001 wurde dann nicht nur für sein Kind Ciprobay ein besonders erfolgreiches Jahr, sondern auch für Klaus Grohe selbst: Im Januar wurde ihm die Otto-Bayer-Medaille für sein Lebenswerk verliehen. Mit dieser Auszeichnung würdigt das Unternehmen seit 1984 „erfolgreiche Forschungsbeiträge für neue Methoden, Produkte, Anwendungen und innovative Technologien“, heißt es bei Bayer. Das liest sich wie eine Beschreibung der jahrzehntelangen Forschungsarbeit von Klaus Grohe.

Im selben Jahr entschloss sich der Erfinder dazu, selbst besondere Leistungen in der Pharma-Forschung zu würdigen. Gemeinsam mit seiner Frau Eva gründete er die Klaus-Grohe-Stiftung, die bei der Gesellschaft Deutscher Chemiker angesiedelt ist. 2020 kam der Klaus Grohe-Award hinzu, der alle zwei Jahre verliehen wird und mit 50.000 Euro dotiert ist.

2005 verlieh ihm der damalige nordrhein-westfälische Innovationsminister Andreas Pinkwart das Bundesverdienstkreuz. 2010 wurde ihm zudem vom Land der Titel eines Wissenschaftsprofessors verliehen. Der Schlebuscher verhehlt nicht, dass ihm diese Würdigungen gut getan haben. Was seinen Arbeitgeber angeht, sei er „gespannt, ob etwas kommt“ an diesem Dienstag zu seinem runden Geburtstag.

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