„Die Politik lässt uns alleine“Oberbergs Klinikum-Chefarzt zur Corona-Lage

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Die Fallzahlen in Oberberg steigen rapide an.

Oberberg – Im Klinikum Oberberg ist die Zahl der Covid-Patienten sprunghaft gestiegen. Reiner Thies sprach mit Prof. Dr. Franz Blaes über die aktuelle Lage, die Aussichten und seine eigene Erkrankung. 

Wie entwickelt sich die Corona-Situation im Krankenhaus?

Blaes: Wir erleben im Moment einen sehr starken Anstieg der Fallzahl. In den vergangenen beiden Wochen hat sich die Zahl der Covid-Patienten verfünffacht. Allein im Gummersbacher Krankenhaus haben wir 49 Fälle, mithin sind wir vom Pandemie-Höchststand von knapp 70 Fällen nicht mehr weit entfernt. Darin bildet sich die aktuelle Entwicklung der Pandemie ab, wie sie auch in den Laboren beobachtet wird, die die Tests auswerten.

In wie vielen Fällen ist Covid der Behandlungsgrund, in wie vielen eine Nebendiagnose?

Über den Daumen schätze ich 50:50. In vielen Omikron-Fällen bleibt die Grunderkrankung das Hauptproblem, etwa ein Schlaganfall. Aber eine zusätzliche Covid-Infektion verschlimmert die Gesamtverfassung natürlich. Und für den Aufwand der Behandlung im Krankenhaus gilt in allen Fällen, dass wir die positiv Getesteten isolieren und mit Schutzkleidung betreuen müssen. Der Aufwand ist dreimal so groß wie bei einem nicht infizierten Patienten.

Hat sich das Covid-Krankheitsbild verändert?

Seit die Omikron-Variante dominiert, ist der Verlauf sehr unterschiedlich, manche Erkrankte haben keine Symptome, andere kommen auf die Intensivstation. Viele Infizierte liegen aber mehrere Tage mit Grippesymptomen zu Hause im Bett und brauchen auch durchaus mehrere Wochen, um wieder komplett zu genesen – so wie ich selbst vor drei Wochen.

Impfangebote im Kreis

Mit und ohne Terminvereinbahrung

Ohne Terminvereinbarung kann man bei der Impfstelle des Oberbergischen Kreises im Gummersbacher Einkaufszentrum Bergischer Hof, Brückenstraße 1, eine Erst-, Zweit- oder Auffrischungsimpfung (mit angepasstem Impfstoff) bekommen. Die Öffnungszeiten sind montags, 13 bis 19 Uhr, donnerstags, 13 bis 19 Uhr, und freitags, 10 bis 16 Uhr. Für Kinderimpfungen (5 bis 11 Jahre) ist eine Terminvereinbarung erforderlich (E-Mail: koordinierende-einheit@obk.de, Bürgertelefon: 0 22 61 88-38 88). Das Impfmobil des Kreises steht heute, 10 bis 14 Uhr, am Hit-Markt in Marienheide, Bahnhofstraße 21, und am morgigen Samstag, 10 bis 14 Uhr, am Waldbröler „Kaufhaus für Alle“, Brölbahnstr. 1-5. (tie)

Sie hat es selbst erwischt?

Ja, und ich bin noch immer nicht voll leistungsfähig. Wenn ich abends einen Spaziergang mache, bin ich derzeit noch nach einem Kilometer völlig erschöpft und nassgeschwitzt. Meine letzte Impfung liegt fast ein Jahr zurück. Bei mir hat sich dann noch eine Kehlkopfentzündung oben drauf gesetzt. Es war wie eine schwere Grippe, mir hat es gereicht. Aber ich war von einem wirklich schweren Verlauf noch Lichtjahre entfernt.

Wie verlaufen die schwereren Fälle?

Früher löste das Virus oft direkt eine Lungenentzündung aus. Bei Omikron entsteht oft eine leichtere Schädigung der Atemwege oder der Lunge, die Gefahr ist dann, dass vorerkrankte oder betagte Risikopatienten dann eine bakterielle Infektion als Superinfektion zusätzlich erleiden.

Hat sich Ihre Sicht auf die Pandemie durch die eigene Erkrankung verändert?

Nein. Viele haben gedacht, dass die Pandemie vorbei ist. Leider wird man inzwischen komisch angeguckt, wenn man sich mit einer Maske schützt. Ich kann auf der einen Seite verstehen, dass die Leute nach mehr als zwei Jahren pandemie-müde sind. Aber es sollte keinem ein Zacken aus der Krone fallen, wenn er in Innenräumen eine Maske trägt. Wir wissen, dass medizinische Masken und insbesondere FFP2-Masken das Übertragungsrisiko deutlich vermindern. Somit kann jeder das Risiko minimieren. Ich sehe es bei uns im Krankenhaus: Nur sehr wenige Infektionen ergeben sich aus dem Kontakt mit Patienten, wenn man von HNO-Untersuchungen oder Notfallintubationen absieht, bei denen sicherlich ein deutlich höheres Risiko besteht. Die Ansteckungen beim Personal passieren hauptsächlich im privaten Bereich.

Wie bewältigt das Klinikum das Patientenaufkommen? Ist es nach wie vor eine Herausforderung?

Personalausfälle bei steigenden Patientenzahlen machen den Korridor für reguläre Krankenhausbehandlungen immer enger. In der Neurologie hatten wir gerade auf einer Station in elf von 30 Betten Covid-Fälle und mussten schon geplante Aufnahmetermine verschieben.

Wie hat sich die Impfpflicht beim Klinikpersonal niedergeschlagen – fehlt es deswegen an Mitarbeitenden?

Das spielt so gut wie keine Rolle mehr. Die Impfquote ist extrem hoch. Dabei hat geholfen, dass wir viel Aufklärungsarbeit geleistet haben. Ich bin selbst in die Stationen gegangen und habe erklärt und Fragen beantwortet. Ängste entstehen meist durch Fehlinformationen. Die Politik sollte viel häufiger Sachverhalte einfach erklären, diese konsequente Aufklärung ist in der Vergangenheit nicht ausreichend passiert, so dass Fake-News für Verunsicherung sorgen.

Wie werden die steigenden Fallzahlen in der Ärzteschaft beobachtet? Sind sie alarmiert oder gehen die Klinikärzte in Anbetracht der Impfungen gelassener in den Herbst?

Wir sind gelassener hinsichtlich der Zahl der Intensivpatienten. Die inzwischen hohe Grundimmunität verhindert eine Entwicklung auf den Intensivstationen wie in Welle 2 und 3. Omikron erzeugt nicht ganz so schwere Verläufe. Wir bleiben gespannt und werden entsprechend reagieren, wenn es nötig wird. Dabei helfen uns die Erfahrungen, die wir in den früheren Wellen gesammelt haben. Uns frustriert aber, dass die Politik uns auffordert, Vorbereitungen zu treffen und uns zugleich bei den steigenden Kosten alleine lässt. Wegen der Energiekosten und immer teureren Verbrauchsmaterialien werden viele Krankenhäuser in den nächsten Monaten auf die Zahlungsunfähigkeit hinsteuern, wenn die Politik hier nicht hilft.

Wohl wegen der Hygieneregeln gab es im vergangenen Jahr keine große Grippewelle. Womit rechnen Sie in diesem Winter?

Das kann man noch nicht absehen. Wir beobachten einen generellen Anstieg von Atemwegserkrankungen, auch von Grippefällen.

Was wären aus medizinischer Sicht geeignete Maßnahmen, um die nächste Welle einzudämmen?

Das konsequente Tragen von FFP2-Masken in Innenräumen schränkt die Weitergabe des Virus effektiv ein. Damit hätte man schon früher auch teilweise die Schließungen im Einzelhandel verhindern oder zumindest verkürzen können. Ansonsten empfehle ich allen Menschen über 60 oder mit schweren Vorerkrankungen, sich entsprechend der Empfehlung der Stiko mit einem auf Omikron angepassten Impfstoff boostern zu lassen.

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Was erwarten Sie für die kalte Jahreszeit?

Wir wissen heute, dass z.B. Weihnachtsmärkte keine Hotspots waren. Das Risiko, sich draußen anzustecken, ist relativ gering, wenn sich fünf Mann an der Glühweinbude treffen. Bei allen Veranstaltungen, die sich draußen abspielen, bin ich eher entspannt. Anders sieht es bei Veranstaltungen in Innenräumen aus, bei denen hunderte Leute eng zusammensitzen. Hier ist das Risiko größer, dass man eine ausreichend hohe Virenlast abbekommt, um sich anzustecken. Wir alle erinnern uns an den ersten großen Ausbruch in Heinsberg bei einer Karnevalssitzung zu Beginn der Pandemie.

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