Pubertät in KrisenzeitenWiehler Gymnasium will seine Schüler besser unterstützen

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Schülerinnen und Schüler in einem Klassenzimmer mit bunten Bildern an den Wänden. Die Kinder sind verschwommen fotografiert und unkenntlich.

Die psychischen Nachwirkungen der Pandemie werden an vielen Schulen beobachtet (hier die TOB-Sekundarschule).

Die soziale Isolation durch die Pandemie hat bei manchen Jugendlichen ihre Spuren hinterlassen. Im Wiehler Gymnasium wurde beraten, wie ihnen besser geholfen werden kann.

Das Mädchen aus der Mittelstufe am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium (DBG) brach in Tränen aus, als sie vor die Klasse treten sollte. Die Schule macht ihr Angst. Kein Wunder: Die Corona-Krise haben viele junge Leute nur oberflächlich überwunden. Für die Erwachsenen wird sie nur eine Episode bleiben. Doch bei manchen Jugendlichen hat die soziale Isolation über Monate, die mit der Pandemie verbunden war, tiefe Wirkungen hinterlassen. Und sei es, dass sie lange nach dem Ende des Distanzlernens noch immer viel mehr Zeit an PC und Smartphone verbringen als ihnen guttut.

Pädagogische Fachleute anderer Institutionen sollen helfen

Das Kollegium des Wiehler Gymnasiums hat erkannt, dass es diese Herausforderung nicht allein bewältigen kann. Kurz vor Weihnachten fand das Auftakttreffen für das „Beratungsnetzwerk 2.0“ statt. So lautet der Arbeitstitel für den Versuch, pädagogische Fachleute aus anderen oberbergischen Institutionen ins Boot zu holen. In der Mensa traf sich eine Arbeitsgruppe von Lehrerinnen und Lehrern mit Vertretern des städtischen Jugendamts, der Jugendpsychiatrie am Klinikum Oberberg, der Polizei und mehrerer Beratungsstellen.

Dass es Handlungsbedarf gibt, weiß das Kollegium zum einen aus Alltagserfahrungen wie dem eingangs genannten Fall des Mädchens mit Schulangst. Zum anderen, sagt DBG-Lehrerin Britta Stephan, habe das die „Morgenmacher“-Studie gezeigt, für die das DBG 2021 zusammen mit der TOB-Sekundarschule in Bielstein und der städtischen Gesamtschule in Waldbröl sowie mit wissenschaftlicher Unterstützung fast 1500 jungen Leuten auf den Zahn gefühlt hat.

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In den Rückmeldungen war immer wieder von Angst- und Zwangsstörungen die Rede.
Britta Stephan

„In den Rückmeldungen war immer wieder von Angst- und Zwangsstörungen die Rede, oder zumindest gab es Hinweise darauf“, sagt Stephan. „Das hat uns aufhorchen lassen.“ Die Schule reagierte mit einer Arbeitsgruppe von 16 Lehrkräften, die sich im vergangenen Juni erstmals traf und vier Handlungsfelder identifizierte: Psychische Störungen, Mobbing und Diskriminierung, Sexualisierte und häusliche Gewalt sowie Sucht.

Zugrunde liegt die Überzeugung, dass die Schule nicht nur für die intellektuelle Bildung der Jugendlichen verantwortlich ist, bei der sozialpsychologischen Förderung aber externe Unterstützung braucht. Britta Stephan berichtet, dass sie bei den Einrichtungen der Jugendhilfe offene Türen eingerannt habe. „Einige haben sich von sich aus bei uns gemeldet, weil sie wissen, dass wir als Schule die besten Zugänge zu Schülern und Eltern haben.“

Jugendforscher lobt die Initiative der Wiehler

Zum Gründungstreffen des Netzwerks hatten die Organisatorinnen Britta Stephan und Suse Müller einen prominenten Unterstützer eingeladen. Stephan stellte Prof. Dr. Klaus Hurrelmann als „Deutschlands bekanntesten Jugendforscher“ vor. Der Pädagogik-Professor war bereits 2016 für einen Vortrag am DBG zu Gast. Diesmal war er per Video aus Berlin zugeschaltet. Hurrelmann skizzierte die bundesweite Forschungslage und lobte die wegweisende Initiative der Wiehler zur Vernetzung. „Das ist genau das, was wir jetzt brauchen. Es gilt: Weil ich ein pädagogischer Profi bin, weiß ich, wann die Nachbardisziplinen übernehmen müssen.“

Der Experte erinnerte daran: „Jugendlicher zu sein, heißt permanente Arbeit an sich selbst.“ Derzeit geschehe dies vor dem Hintergrund einer sich rasant verändernden, uneindeutigen Lebenswelt, in der auch die Kenntnisse der Eltern oft nicht mehr weiterhelfen, gab Hurrelmann zu bedenken. „Corona, Krieg, Klima, Wirtschaftskrise – die Welt, in der die junge Leute heute groß werden, das ist schon starker Tobak.“ Die Pandemie habe den Jugendlichen die Möglichkeit genommen, sich selbst zu erproben. Die Zahl der psychischen Problemfälle habe sich in der ersten Phase der Corona-Krise verdoppelt.

Hurrelmann betonte, dass die Schule auch beauftragt sei, neben der fachlichen Bildung auch die politisch-ethische Entwicklung, die Konsumkompetenz und nicht zuletzt die Beziehungsfähigkeit der Schüler zu fördern. Und zwar jetzt erst recht: „Das ist unsere Stunde“, sagte der Experte in die Runde der Pädagogen. „Wir können zeigen, was wir können.“

In dieser Weise inspiriert, diskutierten Lehrkräfte und Gäste anschließend in Arbeitsgruppen. Organisatorin Britta Stephan war hinterher sehr zufrieden: „Das Kennenlernen war wichtig. Die Ansprechpartner haben nun ein Gesicht, wir können nun Meldeketten und Schutzkonzepte entwickeln. Und die Teilnehmer waren sich einig, dass wir das Treffen wiederholen sollten.“

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