Zum 150. GeburtstagDas ist die Historie des Landwirtschaftlichen Casinos Vilkerath

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RB Landwirtschaftliches Casino

Der Erntezug des Landwirtschaftlichen Casinos Vilkerath, hier ein Festwagen im Jahr 1931, ist  wohl der größte im Rheinland.

Overath – Das deutsche Kaiserreich steckte ein Jahr nach Ende des Deutsch-Französischen Krieges noch in den Kinderschuhen, als 1872 in Vilkerath im Aggertal ein Verein gegründet wurde, der die damals noch vor allem landwirtschaftlich geprägte Region durch die Förderung der Landwirtschaftstechnik und damit der Erträge der damals noch 42 kleinbäuerlichen Betriebe im Gebiet des heutigen Vilkeraths nach vorne bringen sollte. An diesem Wochenende feiert das damals gegründete Landwirtschaftliche Casino beim traditionellen Erntefest sein 150-jähriges Bestehen.

„Ein »Casino« war im 19. Jahrhundert eine gängige Bezeichnung für gesellschaftliche Zusammenschlüsse“, erläutert der Historiker und frühere Overather Bürgermeister Andreas Heider in seiner zum Jubiläum verfassten historischen Abhandlung. „Und »Casino« klang für Bauern der damaligen Zeit vermutlich ein bisschen vornehmer und exotischer als der biedere Ausdruck »Verein« – man dachte auch damals sofort an Offizierscasino oder Spielcasino –, was die Anziehungskraft erhöhen sollte.“

Landwirtschaftliche Casinos entstanden viele im Kaiserreich

Initiiert hatte die Gründung 1872 der „Landwirtschaftliche Verein für Rheinpreußen“, der 1833 als privatrechtliche Interessenvertretung der Landwirte in den 1815 an Preußen gefallenen Rheinlanden gegründet worden war. Landwirtschaftliche Casinos entstanden im jungen Kaiserreich in zahlreichen Orten (1871 war auch eines im benachbarten Overath gegründet worden), keines aber hatte den Bestand wie das mittlerweile 150 Jahre alte Vilkerather Casino.

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Erntekrone im Jahr 1950: Ursprünglich wurde die Erntekrone im Zug getragen, später dann auf einem Festwagen mitgeführt. 

Dabei ist der Ort Vilkerath, wie wir ihn heute kennen, maßgeblich erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. 1982 hatte Vilkerath zwar bereits eine Schule und ein Gasthaus, aber beispielsweise noch keine Kirche, sondern bestand aus etwa 15 Ortschaften beziehungsweise Höfen und dem Ort einer damals bereits abgetragenen Burg. Erst allmählich entstand so etwas wie ein gemeinsamer Mittelpunkt in Untervilkerath an der Kreuzung der Köln-Olper-Straße mit dem von Hohkeppel kommenden Weg hin zur Miebacher Aggerbrücke, wo früher die Burg gestanden hatte.

Overath: Landwirtschaftliches Casino erst Zusammenschluss im Dorf

Das Landwirtschaftliche Casino war 1872 der erste gesellschaftliche Zusammenschluss einer entstehenden Dorfgemeinschaft, die es nachdrücklich prägen sollte. Dabei war erster Vereinszweck zunächst, „den landwirtschaftlichen Betrieb der Ortschaft und Umgebung zu einem besseren und höheren Ertrag zu bringen“, wie es im Gründungsstatut heißt.

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Landwirtschaftliches Casino Vilkerath feiert 150-jähriges Bestehen mit Erntefest.

Durch „Besprechungen und Vorträge“ sollten „Mängel und Fehler der hiesigen Landwirtschaft“ erforscht und „Mittel zu deren Abhilfe“ vorgestellt werden. „Fortschritt durch Weiterbildung und Selbsthilfe könnte man dieses ambitionierte Programm auch nennen“, so Historiker Heider. Denn anders als heute hätten Jungbauern damals noch keine Lehre zu absolvieren gehabt und auch eine landwirtschaftliche Winterschule für angehende Landwirte habe es noch nicht gegeben.

Erntefest Vilkerath in Satzung verankert

Zwei Jahre nach seiner Gründung hatte das Landwirtschaftliche Casino bereits 21 Mitglieder. Anfangs tagte man im Winter jeden Mittwoch und im Sommer jeden ersten und dritten Mittwoch eines Monats. Vereinslokal war das Gasthaus Vogel. Denn wer fleißig arbeitet, der darf schließlich auch ordentlich feiern.

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Im Festzelt wartet wieder Programm wie hier 2019.

So legte auch die Vereinssatzung fest, dass das Casino alljährlich ein gemeinsames Erntefest als Stiftungsfest feiern solle und verlängerte damals das altüberkommene kirchliche Erntedankfest als berufsständisch-weltliches Fest in den bürgerschaftlich-nachbarlichen Bereich. „Dass dieser Passus des Gründungsstatuts einmal die Longlife-Garantie des Landwirtschaftlichen Casinos darstellen würde, war den wackeren Vereinsgründern natürlich nicht bewusst“, so Historiker Heider.

Zunächst bestimmten Themen wie Landmaschinentechnik, Viehhaltung, Ackerbau und Düngung den Alltag des Casinos. Auch der Wegebau war ein wiederkehrendes Thema, für den Bau der Vilkerather Kapelle engagierten sich die Casino-Mitglieder ebenso wie für das Gefallenen-Ehrenmal. Im Laufe der Zeit schaffte der Verein für seine Mitglieder zudem eine Reihe von Geräten und Maschinen wie eine Viehwaage, eine Wiesenegge und einen Kartoffelsortierer an, die jedes Mitglied nutzen durfte. Auch der Besuch von Versammlungen größerer Fachverbände und landwirtschaftlicher Ausstellungen zählten wie ein Jahresausflug zum Programm, auch wenn die Weiterbildung später zunehmend von der 1899 gegründeten Rheinischen Landwirtschaftskammer und den Winterschulen für Junglandwirte übernommen wurde.

Nazis schalteten Landwirtschaftliches Casino gleich

Die Nationalsozialisten schalteten auch das Landwirtschaftliche Casino Vilkerath gleich, das anders als andere Organisationen dieser Art allerdings nicht seine Selbstauflösung beschloss, sondern „unter dem Druck der Verhältnisse 1938 einfach untätig“ wurde, wie es Historiker Heider beschreibt. So musste der Verein nach Kriegsende nicht neu gegründet, sondern nur zu neuem Leben erweckt werden, wo zu der damalige Vorsitzende anstandslos die Genehmigung der britischen Besatzungsbehörden erhielt.

Je stärker die Landwirtschaft in der Region zurückging, desto engagierter wurde das Casino bei Herausforderungen der dörflichen Entwicklung aktiv, der Pflege der Kulturlandschaft und des Brauchtums. Bei der Gründung des Bürgervereins Vilkerath stand er 1970 ebenso Pate wie er bis heute als „Mutter der Vilkerather Vereinsgemeinschaft“ wirkt.

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Von den rund 20 Mitgliedern bei der Gründung ist die Gemeinschaft auf heute mehr als 330 angewachsen – und quicklebendig, wie auch das Jubiläumserntefest an diesem Wochenende zeigen dürfte.

Führende Köpfe des Casinos

17 Vorsitzende prägten in 150 Jahren das Landwirtschaftliche Casino Vilkerath, einige von ihnen amtierten über mehrere Jahrzehnte. Am längsten im Amt war mit 23 Jahren Peter Vilshöver von Rott (1935 – 1958), wie Overaths ehemaliger Bürgermeister Andreas Heider in der Chronik zum 150-Jährigen des Landwirtschaftlichen Casinos Vilkerath zusammengestellt hat.

Vilshöver rettete den Verein über die schwere Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs. 22 Jahre Vorsitzender war Norbert Schürmann (1983– 2005). Peter Höck (1912–1920, 1924–1935) war ebenso wie sein Schwiegervater, der Gründungsvorsitzende Theodor Wermelskirchen (1872– 1877, 1890–1901), 1902–1905) 19 Jahre lang Leiter des Casinos. Die Familie Schwamborn stellte in vier Generationen fünf Vorsitzende: Johann (1884–1888), Peter (1905–1912, 1922–1924), Peter (1958–1974), Aloys (1974– 1983) und Peter (2005–2021). Seit 2021 ist Michael Wirges Vorsitzender.

69 Erntepaare verzeichnet die Chronik des Landwirtschaftlichen Casinos seit 1950. Seitdem wird jedes Jahr ein Erntepaar vom Vorstand ausgewählt, den Mitgliedern vorgestellt und beim Erntefest inthronisiert. „Das Erntepaar repräsentiert das Casino ein Jahr lang nach innen und nach außen. Das Erntefest steht unter seiner Schirmherrschaft“, erläutert Andreas Heider in seiner Chronik. Den Anfang machten 1950 und 1951 zunächst zweimal der damalige Vorsitzende Peter Vilshöver und seine Gattin Lisette aus Rott.

Ein Erntepaar blieb dabei sogar drei Jahre im Amt: Bruni Abel und Marlene Dresbach-Abel, die Erntepaar im Jahr 2019 waren und wegen der ausgefallenen Erntefeste in den beiden folgenden Corona-Jahren im Amt blieben. In einer prächtig geschmückten Kutsche fahrend bildet das Erntepaar beim Erntezug stets zusammen mit der Erntekrone den Mittelpunkt des Erntedankfestes. An diesem Wochenende werden auf diese Weise Holger und Bianca Drux (Foto) als Erntepaar durch Vilkerath geleitet (siehe „Festprogramm“). (wg)

Worte zum Jubiläum

„Das Erntefest in Vilkerath ist über die Grenzen des Rheinlands bekannt. Als ältester Brauchtumsverein in der Stadt Overath zeigt das Landwirtschaftliche Casino Kontinuität und Flexibilität. Das Interesse der Mitglieder am Verein ist ungebrochen groß. Auch junge Leute zeigen Interesse und sichern den Fortbestand des Vereins.“ Peter Schwamborn, Ehrenvorsitzender Casino Vilkerath

„Meine Glückwünsche zu diesem besonderen Jubiläum verbinde ich mit der Hoffnung, dass das Landwirtschaftliche Casino Vilkerath auch in den künftigen Jahrzehnten die Tradition fortsetzt und die Menschen in der Stadt Overath und der Region mit seinen Aktivitäten erfreuen wird.“ Christoph Nicodemus, Bürgermeister

„Das Landwirtschaftliche Casino Vilkerath ist stets mit der Zeit gegangen, ohne dabei die Tradition, die Wurzeln, aus dem Blick zu verlieren.“ Stefan Santelmann, Landrat

„1872 wurde das metrische System als Maß- und Gewichtsordnung im Deutschen Reich eingeführt, in Frankfurt nahm eine Pferdestraßenbahn ihren Betrieb auf und Richard Wagner legte den Grundstein für das Bayreuther Festspielhaus. Vor allem aber – und das steht hier und heute im Vordergrund – wurde das Landwirtschaftliche Casino Vilkerath gegründet mit der Aufgabe, den örtlichen Landwirten bei der Ertragssteigerung durch Vorträge und Beratungen zu helfen.“ Dr. Hermann-Josef Tebroke, Bundestagsabgeordneter

„Es gibt im Kreis kaum einen Verein, der wie das Landwirtschaftliche Casino in Vilkerath auf eine nunmehr 150-jährige Geschichte zurückblicken kann, dabei zeitgemäß geblieben ist und quicklebendig in die Zukunft geht.“ Rainer Deppe, Kreistagsabgeordneter

„Auch zwei Weltkriege und andere große und kleine Katastrophen konnten das Casino nicht in die Knie zwingen und wenn kurzfristig doch, dann ist man wieder aufgestanden und hat nahtlos an die gute alte Tradition angeknüpft.“ Was den Menschen wirklich wichtig ist, das überdauert auch bittere Schicksalsschläge.“ Wolfgang Bosbach, MdB a.D.

Das Restprogramm

Samstag, 8. Oktober 17 Uhr Jubiläumsfestkommers im Festzelt mit Kürung des Erntepaares begleitet von den Mielenforster Musikanten; im Anschluss ab ca. 20 Uhr Showtime und Tanz im Festzelt, unter anderem mit Bergische Gaudi Buam, Domstürmer, Blau-Weiß Vilkerath und Achim Frank Tanzband.

Sonntag, 9.Oktober 8 Uhr Abholen des Erntepaars mit Begrüßungsumzug, begleitet von Mielenforster Musikanten 9.30 Uhr Erntedankfestmesse in der Kirche Vilkerath, begleitet von den Mielenforster Musikanten 11 Uhr Erntedankfrühschoppen/ Frühkonzert im Festzelt, gestaltet vom Musikverein Heddinghausen mit Verlosung und Mittagessen 15 Uhr Jubiläumserntezug, im Anschluss Erntetanz im Festzelt. 19.30 Uhr Fackelzug durch den Ort, im Anschluss Jubiläumsfeuerwerk

Montag, 10. Oktober 15 Uhr Ausklang des Erntefestes in allen Gaststätten

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