„Der war's nicht!“Prozess nach Körperverletzung in Bergisch Gladbach endet abrupt

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Schild am Eingang zum Amtsgericht in Bensberg.

Bergisch Gladbach – „Der war’s nicht, der Schläger sitzt als Zeuge draußen“: Eine sehr überraschende Wendung, wie man sie sonst aus Gerichts-Shows im Privatfernsehen kennt, hat am Mittwoch mit der Aussage eines brutal zusammengeschlagenen Opfers ein Prozess vor dem Bergisch Gladbacher Amtsgericht genommen. Anders als im Fernsehen wird der neue Verdächtige aber danach nicht sofort verhaftet, sondern zunächst nur darauf hingewiesen, dass jetzt womöglich viel Ärger auf ihn zukommt.

Angeklagt wegen einer gefährlichen Körperverletzung am Gladbacher S-Bahnhof, die er nicht begangen hat, und wegen eines Girocard-Diebstahls und Computerbetruges in Refrath, den er ebenfalls nicht begangen hat, ist an diesem Tag ein 27-jähriger Bergisch Gladbacher mit einem russisch klingenden Nachnamen. Die Anklage wirft Alexander Novotny (alle Namen geändert) vor, am Abend des 15. September 2020 einen Passanten, der ihm keine Zigarette geben wollte, niedergeschlagen, auf ihn eingetreten und dabei schwer verletzt zu haben.

Außerdem soll er bereits ein halbes Jahr zuvor, am 5. März 2020, einem Rentner in einem Supermarkt in Refrath das Portemonnaie gestohlen und anschließend mit dessen Bankkarte 1000 Euro abgehoben haben.

Angeklagter weist alle Vorwürfe zurück

Alexander Novotny, der nach einem Bewährungswiderruf die vergangenen vier Wochen vor Prozessbeginn im Gefängnis gesessen hat und von zwei Wachtmeistern in den Saal gebracht wird, bestreitet beide Anklagen nachdrücklich: Den Passanten in der Gladbacher Innenstadt habe er nur einmal kurz geschubst, weil der sich mit einem flüchtigen Bekannten von Alexander gerade eine Auseinandersetzung lieferte.

Aber geschlagen habe er den korpulenten, angetrunkenen Mann nicht und schon gar nicht getreten: „Das macht man einfach nicht, wenn jemand auf dem Boden liegt!“

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Auch mit der gestohlenen Bankkarte habe er nichts zu tun: „Ich weiß gar nicht, wo »Lidl« in Refrath ist.“ Der Mann auf dem Lichtbild, mit dem die Polizei später öffentlich fahndete, habe zwar Ähnlichkeit mit ihm, er sei es aber nicht. Leider habe die Mutter seiner Ex-Freundin ihn bei der Polizei benannt, und so sei er unter Verdacht geraten.

Nach dieser Einlassung betritt das Opfer den Gerichtssaal. Klaus Müller (55) ist von Beruf Koch, ging aber an dem Abend selbst mit einem Kollegen etwas essen in der Gladbacher Innenstadt. Als die beiden zurück in Richtung Taxistand liefen, seien sie nach einer Zigarette gefragt worden.

Er habe verneint, woraufhin ihm jemand auf Russisch Schimpfwörter hinterhergerufen habe. Er habe darauf hingewiesen, dass er das verstehe und im nächsten Moment habe er zwei gezielte Schläge kassiert und das Bewusstsein verloren.

Er erlitt schwere Verletzungen am Auge, sein linker Arm ist längst nicht mehr so belastbar wie vor der Attacke. Der Zeuge Müller vor Gericht: „Herr Novotny war das aber garantiert nicht.“ Der Schläger sitze vielmehr als Zeuge vor der Tür.

Vor der Tür sitzt zunächst auch noch der Kollege von Klaus Müller als weiterer Zeuge. Der 46-Jährige bestätigt die Darstellung des Verletzten. Nein, Alexander Novotny sei nicht der Schläger, gewesen, der Brutalo sei älter gewesen und 1,60 bis 1,65 Meter groß, und ja, er sitze vor der Tür.

Und so humpelt schließlich der plötzlich dringend tatverdächtige Pjotr Koslov (38) in den Gerichtssaal. Ein Unfall behindert ihn aktuell beim Gehen. Richter Reinhard Bohn weist ihn darauf hin, dass er sich nicht selbst belasten müsse und konfrontiert ihn dann mit der Aussage der beiden Zeugen.

Auch der neue Verdächtige gibt sich unschuldig

Der arbeitslose Maler und Lackierer reagiert cool: „Ich weiß gar nicht, wo das war. Wie lang ist das her?“ Danach erwähnt nicht nur der Richter, dass auf ihn jetzt noch einiges zukommen könne. Auch der Verteidiger des zu Unrechts unter Verdacht Geratenen weist ihn darauf hin, dass er am Tatabend anwesend war und dass seine Personalien von der Polizei aufgenommen wurden.

Alle Verfahrensbeteiligten sind sich einig

Danach geht alles recht schnell: Richter, Staatsanwalt und Bewährungshelferin schauen sich noch einmal ganz genau das Fahndungsfoto in Sachen Scheckkartendiebstahl an und stellen fest, dass es wohl tatsächlich eine andere Person zeigt.

Danach beantragt der Staatsanwalt Freispruch, der Verteidiger schließt sich an. Der junge Angeklagte hat das letzte Wort: „Ich bin sehr erleichtert. Die Sache hat mich innerlich aufgefressen. Weil ich es ja nicht war.“

Unmittelbar danach verkündet Richter Bohn den zweifachen Freispruch auf Kosten der Landeskasse. Ein Anhörungstermin zum Bewährungswiderruf schließt sich an, und danach darf Alexander Novotny das Gericht als freier Mann wieder verlassen.

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