Prozess wegen sexueller NötigungBensberger Richterin lässt Angeklagten bewachen

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Der Eingang zum Amtsgericht in Bergisch Gladbach-Bensberg

Bergisch Gladbach/Overath – Mittelalter trifft 21. Jahrhundert: Dieses Bild drängt sich im Prozess gegen einen 28-jährigen Sexualtäter vor dem Amtsgericht Bergisch Gladbach auf. Der Angeklagte wirkt wie ein Zeitreisender aus dunkler Vergangenheit, der im Jahre 2021 gelandet ist, sich mit einer Anklage wegen sexueller Nötigung konfrontiert sieht, überhaupt nicht zu wissen scheint, wie er sich zu benehmen hat und der am Ende froh sein kann, wenn sein Prozess neben einer 4500-Euro-Geldstrafe nicht noch mehr Konsequenzen für ihn hat.

Ein weiteres Strafverfahren wegen Bedrohung zum Beispiel. Denn der sehr stämmige Mann versteigt sich im Bensberger Schöffengericht zu nebulösen Ankündigungen, was passieren werde, wenn er „zu Unrecht“ verurteilt werde. Sein mutmaßliches Opfer, eine 25-jährige Angestellte, verhöhnt er, indem er im Gerichtssaal in ihrer Gegenwart ihr Schluchzen nachäfft und fragt, ob er denn auch heulen solle.

Justizwachtmeister folgt Angeklagtem auf Schritt und Tritt

Da herrscht die Schöffengerichtsvorsitzende Birgit Brandes den Mann an: „Sie halten jetzt mal die Klappe!“ Später, in einer Unterbrechung, ordnet sie an: „Sie bleiben jetzt sitzen!“ Und schließlich bittet sie, ungewöhnlich in Bensberg, einen Justizwachtmeister hinzu, der dem Angeklagten fortan wie ein Schatten folgt.

Vor zwei Jahren, nachts um vier Uhr am 4. Juli 2020, soll der in der „Sicherheitsbranche“ tätige Ali G. (Namen geändert) sein mutmaßliches Opfer Karin B. in der Damentoilette einer Overather Kneipe sexuell bedrängt haben. Er habe sie mit seiner massigen Gestalt in die enge Toilettenkabine gedrängt, die Tür geschlossen, ihr Komplimente gemacht und sie aufgefordert, ihn zu küssen.

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Auch am Arm habe er sie gepackt. Erst als sein Freund, mit dem er zusammen in der Kneipe gewesen sei, ihn durch die geschlossene Tür aufgefordert habe, die Frau in Ruhe zu lassen, habe er von ihr abgelassen.

Der Angeklagte, mittlerweile von Rösrath in den Rhein-Erft-Kreis umgezogen und nach den Worten seines Pflichtverteidigers Udo Klemt ein „Brummer“, schildert die Situation ganz anders. Er sei auf der Herrentoilette gewesen, da sei die junge Frau vorbeigekommen, habe um die Ecke geguckt und dabei gelacht. Er sei zwar erbost gewesen, doch er habe sie, das schwöre er, niemals bedrängt oder angefasst.

Karin B. wird von ihrer Mutter in den Gerichtssaal begleitet: die Frau stellt sich zeitweise schützend zwischen die Tochter und den Angeklagten. Karin B. schildert, wie der stämmige Kerl sie bedrängte, sie zu küssen versuchte, sie den Küssen auswich, aber nicht mehr rauskam aus der engen Kabine. Seine Hose sei geöffnet, der Genitalbereich aber bedeckt gewesen. Und sein Griff sei nicht so fest gewesen, dass sie blaue Flecken davongetragen hätte.

Opfer verliert im Zeugenstand völlig die Fassung

Irgendwann verliert Karin B., die seit dem Vorfall nicht mehr alleine ausgeht, die Fassung. Sie beginnt zu schluchzen, weint bitterlich. Der Angeklagte äfft sie nach, wird zu Ordnung gerufen.

Die Zeugin beruhigt sich, es kommt zu einem kurzen Wortgefecht zwischen Opfer und Peiniger, in dem sie davon spricht, er habe sich wie ein „Tier“ benommen. Er macht „Tier und Untermensch“ daraus. So viel hat der Mittelalter-Mann im Geschichtsunterricht anscheinend doch mitbekommen, dass er die Waffe der Nazivorwurf-Keule kennt.

Dann wird der frühere Kumpel von Ali G. aufgerufen, der junge Mann, dessen Intervention Karin B. es nach eigenen Worten zu verdanken hatte, dass sie aus ihrer Notlage wieder freikam. Doch der 25-Jährige kann nichts zur Wahrheitsfindung beitragen.

Er erscheint ebenfalls mit seiner Mutter zur Verhandlung, und die Frau erklärt dem Gericht, dass ihr Sohn, ärztlich attestiert, schwer erkrankt sei und große Probleme mit dem Gedächtnis habe. Der junge Mann selbst gibt an, sich an nichts erinnern zu können. „Wo ist das, Overath?“, fragt er, und wird entlassen.

Angeklagter äußert sich drohend

Am Ende besteht der Angeklagte darauf, die junge Frau selbst zu befragen. „Nein“, bescheidet ihn die Richterin, und G. versteigt sich zu der Ankündigung, er werde das Recht „in die eigene Hand nehmen“. Zehn Minuten später, nachdem ihm sein Verteidiger auf dem Gerichtsflur zugeredet hat, versucht er sich zu entschuldigen.

Die junge Staatsanwältin, die dem Angeklagten nicht nur im Hinblick auf seine drohenden Worte im Gerichtssaal mit Verve entgegengetreten ist, fordert eine Bestrafung wegen eines versuchten sexuellen Übergriffs (Paragraf 177); der mildere Paragraf 184 i – sexuelle Belästigung – passe nicht. Karin B. habe den sexuellen Übergriff sehr überzeugend beschrieben und nicht den geringsten Grund, den ihr bis dahin gar nicht bekannten Angeklagten wahrheitswidrig zu belasten.

Die Anklägerin fordert 3600 Euro Geldstrafe: 180 Tagessätze zu 20 Euro. Verteidiger Klemt sieht dagegen weder sexuelle Nötigung noch sexuelle Belästigung, allenfalls Nötigung, weil der Angeklagte der jungen Frau den Weg versperrt habe.

Am Ende verkündet Richterin Brandes das Urteil: 150 Tagessätze zu je 30 Euro wegen versuchter sexueller Nötigung. Noch während der Urteilsverkündung beginnt der Angeklagte, mit der Taschenrechner-Funktion seines Handys das Ergebnis auszurechnen.

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