Pfleger vor GerichtProzess deckt katastrophale Zustände in Gladbacher Seniorenheim auf

Lesezeit 3 Minuten
Die Strafprozessordnung steht auf einem Schreibtisch, daneben liegt ein Stapel Akten.

Fünf Bergisch Gladbacher Altenpfleger stenden wegen Körperverletzung vor dem Bensberger Schöffengericht.

Fünf angeklagte Pfleger aus Bergisch Gladbach wurden im Prozess um Körperverletzung frei gesprochen. In diesem Rahmen wurden allerdings katastrophale Zustände aufgedeckt.

Zu einem Tribunal gegen Missstände in der Pflege hat sich ein Strafprozess gegen fünf Bergisch Gladbacher Altenpflegerinnen und Altenpfleger wegen fahrlässiger Körperverletzung entwickelt. Das Bensberger Schöffengericht sprach die vier Frauen und einen Mann im Alter zwischen 61 und 30 Jahren frei.

Zuvor hatten zwei der Verteidiger scharfe Attacken geritten – in Richtung der Anklagebehörde und der Zustände im Heim. Ausgangspunkt für das Verfahren war der Tod des 87-jährigen Fritz W. (Name geändert) im Januar 2018. Fritz W. war aus seinem rheinisch-bergischen Altenheim ins Vinzenz-Pallotti-Hospital gekommen, dort aber an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. Da sein Körper an vier Stellen Dekubiti, also entzündliche Druckstellen, aufwies, leitete die Staatsanwaltschaft nach einer Anzeige der Tochter ein Ermittlungsverfahren ein, in dessen Verlauf der Leichnam obduziert wurde.

Die Gerichtsmediziner empfahlen, zusätzlich ein Pflegegutachten einzuholen. Der Gutachter wiederum kam in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass zahlreiche notwendige Pflegeschritte wie beispielsweise ein häufiges Umlagern des Bewohners zur Vermeidung entzündlicher Druckstellen oder Trinkprotokolle gegen die Gefahr des Austrocknens nicht dokumentiert worden seien und damit wohl auch nicht stattgefunden hätten.

Alles zum Thema Bensberg

Zustände in Gladbacher Altenheim wohl für Probleme verantwortlich

Und so landeten die fünf Pflegenden, die bis dahin niemals straffällig geworden waren, am Dienstag auf der Anklagebank im Saal der Schöffengerichtsvorsitzenden Birgit Brandes: An erster Stelle der damals gerade die Stelle wechselnde Pflegedienstleiter, heute 61 Jahre alt, gefolgt von einer heute 47 Jahre alten Pflegefachkraft mit deutscher und polnischer Staatsangehörigkeit, die damals die Pflegepläne schrieb, außerdem zwei 40 und 30 Jahre alten Pflegefachkräften, die in der Zeit gerade schwanger waren und schließlich die neu ins Heim gekommene Qualitätsbeauftragte (43).

Von den fünf Verteidigern war es insbesondere Udo Klemt aus Bensberg, der einen wortgewaltigen Auftritt ablieferte, an dessen Ende er sich freilich vergaloppierte. Klemt vertrat die 40-jährige Angeklagte. Fritz W., so sagte er, „war ein sehr beliebter Bewohner, gebildet, weit gereist und sprach viele Sprachen.“ Die Altenpflegerinnen hätten ihn gemocht und ihn keineswegs vernachlässigt.

Ein anderes Thema seien freilich die Zustände in dem Heim nach dessen Übernahme durch eine profitorientiert arbeitende Firma gewesen: Es habe keine Heimleitung mehr gegeben, sondern nur ein Regionalbeauftragter sei für ein bis zwei Tage pro Woche vorbeigekommen. Die Unterbesetzung sei dramatisch gewesen, drei Pflegekräfte hätten sich die Schichten für 39 Personen teilen müssen, nachdem sich ein Pfleger auf der Besuchertoilette zu Tode getrunken habe.

So lief es im Gladbacher Seniorenheim ab

Damit nicht genug: Voll gepinkelte Laken seien ungewaschen getrocknet worden, weil es keinen sauberen Ersatz mehr in den Schränken gab, Fleischscheiben zu Weihnachten geteilt worden, damit es für alle reichte, neue Waschlappen hätten die Pflegenden von eigenem Geld gekauft. Unter diesen Umständen seiner Mandantin einen Vorwurf zu machen, sei eine „Frechheit“, so der Jurist; er erwarte eine Entschuldigung der Staatsanwaltschaft.

Unter ausdrücklicher Nennung des Zitatgebers bemühte er den Maler Max Liebermann: „Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte“ – harsche Worte, die der Maler 1933 mit Blick auf einen Fackelzug der Nazis gesagt haben soll. Immerhin, so hieß es im Prozess weiter, sollen sich die Zustände in dem Heim längst deutlich gebessert haben. Damals hatte eine der Mitangeklagten nach eigenen Worten ohne zu wissen, wen sie da vor sich hatte, dem Big Boss des Unternehmens bekundet, dass sie unverzüglich das Handtuch werfen werde, wenn sich nichts ändere.

Heute arbeiten alle fünf Angeklagten nicht mehr in dem Heim. Nachdem dann auch noch die Gerichtsmedizinerin ausgesagt hatte, dass der 87-Jährige an einer ganzen Reihen altersbedingter Leiden gelitten habe und sich ein Dekubitus manchmal innerhalb weniger Stunden entwickeln könne, plädierten neben den Verteidigern auch die Vertreterin der Staatsanwaltschaft auf Freispruch. Den verkündete Richterin Birgit Brandes auch: „Auf die Anklagebank gehört der Pflegenotstand.“

KStA abonnieren