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„Dachte, das kriege ich wieder hin“Hürther muss wegen seiner Spielsucht ins Gefängnis

5 min

Meist sind es Männer, die viel Geld in Automaten stecken und in eine Glücksspielsucht abdriften. Die Folgen können fatal sein. (Symbolbild)

  1. Wie ist es, wenn man süchtig ist? Wir haben mit einem Spielsüchtigen gesprochen, dessen Leben außer Kontrolle geraten ist.
  2. Mit 18 Jahren wurde er süchtig, sechs Jahre später zu dreieinhalb Haft verurteilt.
  3. Schuld daran ist seine Sucht nach Spieleautomaten. Jahrelang gönnte er sich nichts, verzockte sein Azubi-Gehalt und all sein Erspartes.
  4. Doch dann folgte der große Knall – weil er wegen seiner Spielsucht mit einem Komplizen eine Spielhalle überfiel.
  5. Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Text aus unserem Archiv, der unsere Leser besonders interessiert hat. Er wurde zum ersten Mal am 17.10.2020 veröffentlicht

Rhein-Erft-Kreis/Hürth – Ohne großen Knall reißt kaum jemand das Ruder herum. Davon ist Patrick überzeugt. Bei ihm ist der besagte große Knall gut zwei Jahre her. Und – um im Bild zu bleiben – noch lange nicht verhallt. Der 24-jährige Hürther wurde nach einem Raubüberfall auf ein Spielkasino zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Die Tat war die Folge seiner jahrelangen Spielsucht. „Ich war immer ein absolut unbescholtener Bürger, habe noch nicht einmal als Kind ein Kaugummi geklaut“, sagt er. Bis zum Abschluss der Revision ist er auf freiem Fuß. Die Hoffnung, doch noch mit einer Bewährungsstrafe davonzukommen, ist aber begrenzt.

Dennoch bemüht er sich darum, sein Leben neu zu organisieren. Seit rund zwei Jahren besucht er die ambulante Therapie, die die Drogenhilfe Köln auch im Rhein-Erft-Kreis anbietet. Und ebenso lange hat er keinen Cent mehr in einen Automaten geworfen.

Spielsüchtiger aus Hürth: „Man denkt immer an das Spiel“

In den Jahren zuvor bestimmte genau das seinen Alltag. Zwar ging Patrick arbeiten, er hatte Kumpels und eine feste Freundin, doch im Kopf hatte er meist nur eines: den Gedanken an das Spiel, den Nervenkitzel, die Chance, einige Euro herauszuholen. „Man denkt immer an das Spiel, bei der Arbeit, unter der Dusche oder wenn du auf dem Sofa sitzt, um fernzusehen.“

Dabei war ihm früh bewusst, wie irrational die Hoffnung ist, den Automaten zu besiegen. „Eigentlich weiß jeder Spieler, dass die Geräte so programmiert sind, dass am Ende immer der Spieler verliert“, sagt er. Das habe ihn aber nicht vom Glücksspiel abgehalten. „Meine Therapeutin sagt, dass die Minuten vor dem Automaten für mich wie eine mentale Auszeit waren, weil nichts anders zählte als das Spiel.“ Die Glücksgefühle, die er auf diese Weise erlebte, hätten ihn letztlich süchtig gemacht. Allen Mahnungen und Hilfsangeboten des Umfelds zum Trotz.

Spielsucht: Mit 18 Jahren hat alles angefangen

Angefangen hat alles, als Patrick 18 Jahre als war. „Ich habe irgendwann mal aus 70 etwa 250 Euro gemacht. Damit ging es los. Ich dachte, das kriege ich immer wieder hin“, erinnert er sich. Der erste echte Gewinn macht den Spieler in Wahrheit zum Verlierer, weiß er heute. Während andere ihr Geld bei Sportwetten, Onlineglücksspielen oder in klassischen Spielcasinos verzockten, warf Patrick sein Geld in Automaten. „Spielhallen und Kneipen mit Automaten gibt es ja überall“, sagt er.

Sein mageres Gehalt als Azubi ging dafür drauf, das Sparbuch mit dem Kommunionsgeld und auch rund 10.000 Euro, die seine Mutter für ihn über Jahre zurückgelegt hatte. Euro für Euro steckte er in den Schlitz des Automaten. „Immer wieder habe ich meinen Vater angepumpt“, sagt Patrick. Man denke nur noch daran, wie man an frisches Geld für weitere Spiele komme.

Über mehrere Jahre habe er sich, abgesehen von Zigaretten, nichts mehr gegönnt. Geld war nur fürs Glücksspiel da. „Wenn meine Freunde gefragt haben, ob ich mit ausgehen will, habe ich immer irgendeine Ausrede gehabt. Man wird zum König der Lügen“, sagt der Hürther.

Hürther überfällt mit einem Komplizen eine Spielhalle

Dennoch waren irgendwann alle Quellen erschöpft. Die Lösung des Dilemmas schien wiederum simpel. „Ich habe mir überlegt, die Spielhalle auszunehmen, die ich häufig besucht habe“, sagt er. Mit einem Komplizen habe er den Raub verabredet. „Wenn man der letzte Gast war, war die Tür des Kasinos schon abgeschlossen und wurde nur kurz geöffnet, wenn man heim ging. Diesen Moment haben wir eines Abends genutzt“, berichtet Patrick. Nach der entsprechenden Handynachricht kam der Komplize mit einem Messer bewaffnet herein und leerte die Wechselgeldkasse.

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Vom scheinbar unschuldigen Zeugen zum Verdächtigen wurde Patrick erst, nachdem die Ermittler die Funkdaten der besagten Nacht ausgewertet hatten. „Ein paar Wochen nach der Tat stand die Kripo bei meinen Eltern an der Tür. Die Beweise waren erdrückend.“ Patrick war am Boden. Doch da wollte er nicht bleiben. Er machte reinen Tisch. „Ich habe mich bei meinen Eltern und Freunden entschuldigt und letztlich auch eine Therapie begonnen“, sagt er.

Wie es nun weitergeht, weiß er nicht. Noch gibt es ja keinen Haftbefehl und erst recht kein Datum für die Entlassung aus dem Knast. Aber eines hat sich schon verändert. Er habe gemerkt, wie schön das Leben ohne Glücksspiel sein könne. Denn endlich seien Zeit und auch ein wenig Geld da, um mit Bekannten auszugehen. Und die Zeit der Lügen und Ausreden sei vorbei. Der große Knall, sagt er, habe bei ihm schon jetzt vieles verändert.

Infobox: Hier gibt es Rat und Hilfe für Betroffene

Angebote für Glücksspielsüchtige organisieren unter anderem die Mitarbeiter der Drogenhilfe Köln. Die Fachstelle Glücksspielsucht im Rhein-Erft-Kreis unterhält Büros in Brühl und Bergheim sowie eine Außenstelle in Pulheim. Welche Dimension das Problem hat, machen Zahlen deutlich, die die Landeskoordinierungsstelle Glücksspielsucht NRW für ausgewählte Städte jüngst veröffentlichte. Demnach verspielten Glücksspieler allein in Brühler Spielhallen und gastronomischen Betrieben im vergangenen Jahr 7,8 Millionen Euro, in Bergheim waren es 7,3 Millionen Euro. „Hinzu kommen Verluste bei Sportwetten, Online-Glücksspielen und den klassischen Spielcasinos“, sagt Jeanette Wolff von der Drogenhilfe.

Rund zwei Drittel der Umsätze in Spielhallen stammen laut Landeskoordinierungsstelle von Menschen, die Probleme mit dem Glücksspiel haben. Die Sucht betreffe meist Männer, und sie könne gravierende Folgen haben, wie Wolf deutlich macht: hohe Schulden, Verlust von Arbeitsplatz und Wohnung, Zusammenbruch der Familie und sogar Selbstmordversuche. Bevor Betroffene Hilfe annähmen, müsse der Leidensdruck meist sehr hoch sein.

In Bergheim trifft sich mittwochs,18 bis 20 Uhr, im Funtastik, Meißnerstraße 7, eine Selbsthilfegruppe. Die Beratungsstellen in Brühl, Heinrich-Esser-Straße 37, und Bergheim, Blumenstraße 8, sind wochentags unter 02232/18930 und 02271/47640 für Terminabsprachen zu erreichen. Die Außenstelle in Pulheim, Hackenbroicherstraße 16, ist zeitweise besetzt und kann über Brühl und Bergheim kontaktiert werden.