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Die Erinnerung bewahrenNeuer Themenweg in Ruppichteroth zeigt Spuren des jüdischen Lebens

5 min
Wolfgang Eilmes vor dem Eingang des jüdischen Friedhofs an der Herchener Straße.

Wolfgang Eilmes vor dem Eingang des jüdischen Friedhofs an der Herchener Straße.

Gemeindearchivar Wolfgang Eilmes hat die Stationen des jüdischen Lebens in Ruppichteroth zusammengetragen und erlebbar gemacht – passend zum Gedenktag.

Sie waren Nachbarn, Freunde, Mitmenschen: Das Bröltal war vor rund 90 Jahren auch die Heimat vieler jüdischer Menschen. Sie lebten an verschiedenen Stellen in Ruppichteroth, gingen in die Synagoge und wurden auf dem jüdischen Friedhof begraben – bis die Nazis an die Macht kamen.

Gemeindearchivar Wolfgang Eilmes hat die Stationen jüdischen Lebens in der Gemeinde zusammengetragen. Zum 87. Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November veröffentlicht er 1000 Exemplare eines Heftes mit den Informationen, die er zusammengetragen hat.

Eilmes recherchiert zu dem Thema seit er in Pension gegangen ist

Eilmes, 75 Jahre alt, ist selbst im Ortskern groß geworden, neben dem heutigen Platz der Synagoge. „Ich wusste nichts darüber“, sagt er. Seit er in Pension gegangen ist, hat der ehemalige Gymnasiallehrer zu dem Thema recherchiert. Sein 72-seitiges Büchlein baut auf den Recherchen von Karl Schröder auf, der Jahrzehnte vor Eilmes Fakten und Informationen zum jüdischen Leben und der Nazi-Zeit in Ruppichteroth zusammengetragen hat.

Wolfgang Eilmes (l.) und Hartmut Höffgen forschen im Ruppichterother Gemeindearchiv.

Wolfgang Eilmes (l.) und Hartmut Höffgen forschen im Ruppichterother Gemeindearchiv.

Viele Stationen des Themenwegs sind auch Stationen des Schweigemarschs, der seit 1982 jährlich am 9. November an die Jüdinnen und Juden erinnert, die die Nazis umbrachten oder vertrieben. „Von den 50 Menschen, die zwischen 1933 und 1942 in Ruppichteroth lebten, wurden 23 deportiert und ermordet. 19 konnten sich in die USA oder nach Israel retten. Die übrigen acht starben in dieser Zeit auf natürliche Weise“, schildert Eilmes. Fast alle seien Viehhändler oder Metzger gewesen, die ihr Fleisch bis nach Bonn und Koblenz verkauften – entscheidendes Transportmittel war damals die Bröltalbahn.

Das Infobuch listet Orte jüdischen Lebens in Ruppichteroth auf, so auch das Haus an der Wilhelmstraße 12, das vor dem Bau der Synagoge 1920 als Bethaus diente. „Damit die Menschen nicht den langen, beschwerlichen Weg nach Nümbrecht auf sich nehmen mussten, wo es eine Synagoge gab.“ An der Mucher Straße 31, einem noch heute erhaltenen Fachwerkhaus, wurden die Menschen später gefangen gehalten. „Dort hat man die Juden vor der Deportation zusammengepfercht“, sagt Eilmes.

In diesem Haus wurden Jüdinnen und Juden zusammengetrieben, ehe sie deportiert wurden.

In diesem Haus wurden Jüdinnen und Juden zusammengetrieben, ehe sie deportiert wurden.

Auch den Friedhof an der Herchener Straße lässt der Themenweg nicht aus: Er wurde 1928 angelegt, aber aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten bereits acht Jahre später geschlossen. Es gibt nur wenige Grabsteine auf dem Friedhof, aber es gibt sie. Die hebräische Inschrift ist verwittert, für Menschen, die sich auskennen, aber noch lesbar.

Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof an der Herchener Straße

Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof an der Herchener Straße

Der Themenweg erinnert mit einem Besuch an ihren Häusern an die Familien Hess und Gärtner. Als am Morgen des 10. November 1938 auch die Ruppichterother Synagoge brannte, seien die Kinder der Familie Hess von der SS vor die Synagoge getrieben und mit Gewehren bedroht worden.

„Nach diesem traumatischen Ereignis wussten sie, dass sie hier nicht mehr sicher waren.“ Die Familie habe in die USA flüchten wollen. „Doch ein Visum aus Europa war nur wohlhabenderen Menschen vorbehalten. Also gingen sie für ein halbes Jahr nach Ecuador und versuchten es von dort“, berichtet Eilmes. Mit Walter Hess, der erst vor zwei Jahren starb, hielt er bis zuletzt Kontakt, anschließend mit dessen Kindern.

Walter Hess beschreibt eindrücklich Erinnerung an Reichspogromnacht

Sehr eindrücklich ist dessen Schilderung vom Morgen nach der Reichspogromnacht: „Da waren Kinder, von denen ich dachte, sie wären meine Freunde gewesen, die Spielkameraden von mir waren, die nun Dreckklumpen auf uns warfen. Für mich war es der traumatisierendste Tag meines Lebens“. Die Nazis hätten erreicht, dass er sich selbst gehasst habe – nur weil er Jude war. Das berichtete Hess Eilmes bei einem Besuch in New York.

Vor dem Haus der Familie Gärtner in der Marktstraße 3 liegen gleich zehn Stolpersteine im Pflaster. Einige konnten fliehen, die meisten starben im Konzentrationslager. Eilmes hat Bilder der deportierten Menschen beigefügt. So bekommen die 19-jährige Marianne, die 17-jährige Lea und ihr 12-jähriger Bruder Manfred, die im Vernichtungslager Maly Trostinec bei Minsk ermordet wurden, ein Gesicht.

Stolpersteine erinnern in Ruppichteroth an die Familie Gärtner, die von den Nazis vertrieben und ermordet worden war.

Stolpersteine erinnern in Ruppichteroth an die Familie Gärtner, die von den Nazis vertrieben und ermordet worden war.

Für Eilmes sei ihr Haus als Kind das des „Trappe Jütt“, des Treppenjuden, gewesen – Grund ist die Treppe zum Eingang des Hauses, heute vollkommen zugewuchert. „Wir waren damals einfach nicht dafür sensibilisiert“, sagt er, der in den 50er- und 60er Jahren aufwuchs. Sein Vater sei erst nach dem Krieg aus dem Osten nach Ruppichteroth gekommen, seine Mutter, aus Ahe stammend, sei vollkommen unpolitisch gewesen. „Aber ich hätte fragen können“, meint Eilmes selbstkritisch.

Ehrenbürgermeister Ludwig Neuber, der ebenfalls sehr engagiert im Gedenken ist und die Idee zu dem Infobuch hatte, habe gesagt: „Wenn wir damit nicht an die Schulen gehen, erreichen wir die junge Generation nicht. Das Heft ist nicht nur eine Handreichung für jeden, der sich mit der Geschichte der Ruppichterother Juden beschäftigen möchte. Es ist auch ein Leitfaden für Pädagoginnen und Pädagogen, um Kinder und Jugendliche mit Zeugnissen vor Ort darüber zu informieren, wohin Antisemitismus und Rassismus führen können.“


Die von der EU geförderte Broschüre über jüdisches Leben in Ruppichteroth wird erstmals am 9. November 2025 zum Ende des Schweigemarschs an der Synagoge ausgegeben werden. Wolfgang Eilmes hat 1000 Exemplare drucken lassen. Ab dem 10. November können Bürgerinnen und Bürger sie an der Infothek im Eingangsbereich des Rathauses kostenlos abholen.

Wer mehr als zehn Exemplare bestellen möchte, zum Beispiel für Vereine, Schulen oder Geschäfte, kann sich im Rathaus unter rathaus@ruppichteroth.de und 02295/490 sowie bei Wolfgang Eilmes unter eilmes@contours.de und 02295/6315 melden. (mfu)