- Nach einer Anti-Terror-Übung in Sankt Augustin-Hangelar kam ein 23 Jahre alter Polizist durch einen abgegebenen Schuss eines Kollegen ums Leben.
- Der heute ebenfalls 23 Jahre alte Schütze muss sich ab Donnerstag vor dem Bonner Landgericht verantworten.
- Die Verteidigung geht von einem Versehen aus, die Staatsanwaltschaft dagegen von einem Scherz, der schrecklich schief gegangen ist. Was spricht für welchen Tathergang?
Bonn – Stundenlang hatten Beamte einer Einsatzhundertschaft an jenem 26. November 2018 auf dem Übungsgelände der Bundespolizei in Hangelar bei Sankt Augustin Amok-Lagen trainiert. Martin D. (Name geändert) und seine Kollegen spielten Häuserkampf-Szenarien durch. Dann ging es zurück ins Bonner Polizeipräsidium. Die Einheit sollte die roten Trainingswaffen gegen ihre scharfen Dienstpistolen vom Typ Walther P99 austauschen, um am Schießstand weiter zu üben. Die roten Trainingswaffen sollte der Trupp an die nächste Übungseinheit übergeben.
Die Männer und Frauen holten die Pistolen aus ihrem Spind. Die Letzten hatten gerade den Umkleideraum verlassen, als im Gang ein Schuss fiel. Blutüberströmt sackte Polizeikommissar Julian Rolf zusammen. Die Kugel hatte den 1,92 Meter großen Beamte von hinten in den Nacken getroffen. Nach einigen Wochen erlag der Polizist (23) seinen schweren Verletzungen.
Die Tragödie hat bundesweit unter Polizisten eine große Anteilnahme hervorgerufen. Bei der Trauerfeier nahmen Hunderte Beamte Abschied von ihrem Kollegen, darunter auch NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), der sich sichtlich erschüttert zeigte.
Der heute 23-jährige Schütze muss sich vom kommenden Donnerstag an vor dem Bonner Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem inzwischen ausgeschiedenen Polizisten fahrlässige Tötung vor. Martin D. (Name geändert) soll die rote Übungswaffe mit seiner echten Pistole Marke Walther P 99 verwechselt haben soll.
Bewusst auf den Nacken des Kollegen gezielt
In dem Prozess werden Verteidigung und Staatsanwaltschaft zwei unterschiedliche Tatabläufe vortragen. Nach Darstellung des Angeklagten hat es sich um ein Versehen gehandelt. Die Walther sei nicht richtig im Holster eingerastet. Daraufhin habe er die Waffe herausgeholt und überprüft. Dabei habe ihn ein Geräusch aufgeschreckt, er sei an den Abzug gekommen, unfreiwillig habe sich ein Schuss gelöst und den sieben Meter von ihm entfernten Kollegen getroffen.
Die Ankläger wollen diese Darstellung widerlegen. Aus ihrer Sicht hat Martin D. auf dem Weg zum Schießstand mit seiner scharfen Walther P 99 aus Spaß auf den Nacken seines größeren Kollegen gezielt. In der Annahme, eine Übungswaffe auf ihn zu richten, habe er abgedrückt.
Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ stützt sich die Staatsanwaltschaft auf belastende Aussagen einiger Kollegen, die nach dem Schuss Erste Hilfe leisteten. Einem Beamten soll Martin D. gesagt haben, „der ganze Scheiß“ hänge mit der Rotwaffe zusammen.
Einer Kollegin gegenüber soll er sich dahingehend geäußert haben, dass er nicht verstehe, wie dies geschehen konnte. Er habe plötzlich die Waffe in der Hand gehabt und geschossen. Ein anderer Zeuge berichtete, wie der Schütze neben dem blutüberströmten Opfer fassungslos zusammengebrochen sei. Dabei soll Martin D. gestammelt haben: „Ich dachte, ich hätte noch die Rotwaffe in der Hand.“
Verteidigung weist auf falsche Faktenlage hin
Bei einem anderen wichtigen Indiz scheinen die Strafverfolger von falschen Fakten ausgegangen zu sein. Die Ermittler konstatierten einen nahezu waagerechten Schusskanal. Folgt man der Anklage muss der Schütze die Waffe gehoben und gezielt in Höhe seines weitaus größeren Kollegen abgefeuert haben. Dabei geht man von 18 Zentimetern Größenunterschied aus.
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„Diese Annahme ist nachweislich falsch“, erklärt der Verteidiger Arnold, „Die Kriminalpolizei hat bei meinem Mandanten die falsche Größe ermittelt.“ Demnach übernahmen die Strafverfolger ungeprüft die Daten aus dem Ausweis des Angeschuldigten. „Da war er 16 Jahre alt und ist danach ist er noch um einiges gewachsen“, sagt Arnold. Die Polizei habe es versäumt, seinen Klienten zu vermessen: „Der tatsächliche Größenunterschied beträgt nur neun Zentimeter.“
Zudem habe die Staatsanwaltschaft nicht berücksichtigt, dass der Schuss aus etwa sieben Metern Entfernung abgegeben worden sei. Dies belege die Tatortvermessung, führt der Anwalt aus. „Über diese große Distanz relativiert sich der Größenunterschied auch bei einem nahezu waagerechten Schusskanal – ein sehr bedauerliches Versäumnis.“
Nach seiner Meinung musste sein Mandant aus dieser Entfernung nicht extra seine Waffe auf Nackenhöhe des Opfers halten. „Der Vorwurf der fahrlässigen Tötung in der Anklage ist im Wesentlichen richtig, nur das Geschehen ist falsch wiedergegeben“, so Arnold. Auf keinen Fall hätte der Mandant seine Schusswaffe aus der Halterung nehmen dürfen. Er werde für die Folgen seines tragischen Fehler geradestehen müssen. Martin D. lebt heute in Süddeutschland und versucht, sich dort ein neues Leben aufzubauen.