Daniel Höhr aus Sankt AugustinPassion für 88 Tasten und eine Pianistin

Lesezeit 5 Minuten

Sankt Augustin – Daniel Höhr setzt sich an den Flügel im Wohnzimmer, spielt ein paar Takte. Mit einer langsamen Bassfigur und Oktavgriffen beginnt „Das Jahr“ von Fanny Hensel. „Eine faszinierende und sehr farbenreiche Musik, technisch sehr anspruchsvoll“, wie der Pianist sagt, der den Klavierzyklus für sich und seine Zuhörer entdeckt hat. „Letztes Jahr im Sommerurlaub las ich Peter Härtlings Buch ,Liebste Fenchel’. Diese Biografie hat mich gepackt“, so der Musiker aus Sankt Augustin.

„Liebste Fenchel“: So nannte Felix Mendelssohn seine Schwester Fanny. Eine brillante Pianistin und talentierte Komponistin, und doch stand sie im Schatten ihres berühmten Bruders. „Ihr Wirken reichte kaum über den Familien- und Freundeskreis hinaus; sie wurde von ihrem Vater auf die Rolle als Ehefrau und Mutter festgelegt“, sagt Höhr. Erst in den letzten zwei Lebensjahren vor ihrem Tod 1847 fand sie den Mut, einige Stücke drucken zu lassen, darunter den „September“ aus dem Jahreszyklus. „Nach der Lektüre von Härtlings Biografie über Fanny Hensel habe ich mir sofort die Noten ihres wichtigsten Klavierwerks bestellt“, erzählt Höhr. Mitte November hat er diese Folge von zwölf romantischen Charakterstücken plus Nachspiel in der Aula des Steyler Missionspriesterseminars aufgeführt; nach dem Italienischen Konzert von Bach und einer Mozart-Sonate. „Ich habe noch nie eine solche Begeisterung erlebt“, erzählt Höhr, der sich wünscht, „dass dieses Werk Eingang ins Repertoire der großen Pianisten finden würde.“

Zu denen nämlich zählt sich Höhr nicht, auch wenn er virtuos spielt: Der 41-Jährige verdient sein Geld als Sprachlehrer für Englisch und Latein sowie als Übersetzer. Das Klavierspiel ist eine Passion, die seine gesamte Freizeit ausfüllt. „Zeit für ein Privatleben bleibt da nicht mehr.“ Dabei waren die Weichen für eine klassische Konzertkarriere gestellt: Höhr begann als Achtjähriger mit dem Unterricht, gewann Preise bei „Jugend musiziert“. Doch an einer Musikhochschule hat er nicht studiert. „Zum einen ist es sehr schwierig, in eine Soloklasse zu kommen. Zum anderen wurde mir schnell klar, dass ich den Großteil meines Berufslebens als Klavierlehrer bestreiten würde. Die Konkurrenz ist einfach sehr hart.“ Wobei der gebürtige Troisdorfer einräumt, „dass Unterrichten von motivierten Schülern auch Freude machen kann. Es ist allerdings oft frustrierend: Wenn Kinder von ihren Eltern geschickt werden, selbst aber kaum Interesse haben. Viele sind ja ohnehin mit Freizeit-Aktivitäten überfrachtet.“

Alles zum Thema Musik

Höhr selbst hat Anglistik und Theologie in Bonn und im englischen Warwick studiert. Als Keyboarder und Bassist spielte er nebenbei in diversen Rockbands. „Irgendwann aber hatte ich die Nase voll vom Lärm der Rockmusik“, erzählt der einstige Deep Purple-Fan. „2006 habe ich beschlossen: Ich fange wieder an zu üben, und 2007 gebe ich einen Soloabend. Es wurden dann doch zwei Jahre daraus, aber seitdem gebe ich bis zu sieben Konzerte jährlich“ – vorwiegend auf den kleineren Bühnen in der Region wie in der Synagoge in Ahrweiler, dem Bonner Klavierhaus Klavins oder in der Aula des Carl-von-Ossietzky-Gymnasiums in Bonn. Dort präsentiert Höhr am Donnerstag, 18. Dezember, „Das Jahr“ als musikalisch-literarischen Abend mit der Schauspielerin Julia Seitz (Beginn: 19 Uhr), die auch Vignetten von Fanny Hensels Ehemann Wilhelm und die dazugehörigen Gedichte vorstellt. „Es ist ein Zyklus, der sehr anstrengend zum Üben und Spielen ist. Die Musik dauert immerhin eine knappe Stunde.“

Drei bis sechs Stunden sitzt Höhr je nach Freizeit täglich über den 88 Tasten. „Musikmachen ist nicht mein Beruf, aber meine Berufung.“ Weitergebildet hat er sich bei diversen Dozenten, so bei Gotthard Kladetzky, der einst selbst Schüler beim legendären Claudio Arrau war. Vom Status als Freizeitmusiker abgesehen, was unterscheidet Höhr von den berühmten Kollegen? „Ich spiele nicht auswendig“, so der Pianist, der freilich darauf verweist, dass auch ein Star wie Swjatoslaw Richter in seinen letzten Auftritten nach Noten spielte.

„Und ich komme an technische Grenzen: Die späten Beethoven-Sonaten werde ich nicht mehr schaffen. Eine Utopie bleiben auch Bachs Goldberg-Variationen. Aber wichtig ist: Ich habe musikalisch etwas auszudrücken. Meine Stärken liegen im empfindsamem Spiel und im romantischen Repertoire.“ So glänzte er bereits mit Brahms-Balladen, gab 2012 ein reines Liszt-Programm. „Und seitdem moderiere ich auch die Konzerte, weil ich merke, dass das Publikum dafür sehr aufgeschlossen ist.“

Zu Franz Liszt, dessen Porträt im Wohnzimmer hängt, hat Höhr eine spezielle Verbindung: „Ich habe sein Bayreuther Haus besichtigt, in dem er gestorben ist, und dort durfte ich an seinem Ibach-Flügel sitzen und ein Stück spielen. Ich habe die 2. Ungarische Rhapsodie gewählt. Es ist mir kalt den Rücken hinuntergelaufen – eine unglaubliche Erfahrung.“ An Liszt bewundert er dessen Einsatz für junge Talente und für die neue Musik. Als Geburtshelfer für frisch Komponiertes hat sich auch Höhr schon betätigt. So wirkte er in Uraufführungen von Werken des Kölners Markus Grünter mit.

Geld verdient Höhr mit seinen Konzerten nicht. „Ich bin froh, wenn ich einen Abend ohne finanziellen Verlust stemmen kann.“ Der Gewinn liegt woanders; etwa in der Begeisterung, die der Pianist ausstrahlt und die ansteckend wirkt. „Die Konzerte in den kleinen Sälen finden oft auf Tuchfühlung statt. Oft kommen die Leute danach auf mich zu.“ Wie etwa ein Zuhörer, der erklärte, für „Das Jahr“ würde er gern den „ganzen Chopin in die Tonne hauen.“ Das muss nicht sein, meint Daniel Höhr, „aber Fanny Hensel hat einfach verdammt gute Musik komponiert.“

KStA abonnieren