Kleinwagen ist das ZuhauseFamilie lebt seit Juli auf Parkplatz in Troisdorf

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Am Aggerstadion leben Viola, Robin und Irene Martens (von links) in ihrem Wagen. 

Troisdorf – Seit Juli steht der Kleinwagen auf einem Wanderparkplatz am Aggerstadion. „Das ist unser Zuhause“, sagt Irene Martens mit Blick auf den mintfarbenen Seat. Mit ihren Kindern Viola und Robin lebt die 54-Jährige in dem Viertürer; bis kurz vor Weihnachten war auch noch ihre 79 Jahre alte Mutter Gertrud Holter hier. Wenige Tage vor dem Fest sorgte der Hausarzt für eine Einweisung der alten Dame ins Eitorfer Krankenhaus.

Wie sie in diese Lage gekommen sind, erzählen Mutter und Tochter bei einem Treffen auf dem Parkplatz. „Der erste Fehler war, in das Haus in Eitorf zu ziehen“, sagt die 34-jährige Viola. Die Oma lebte im Erdgeschoss, Mutter und Sohn – heute 28 – in der ersten, die Tochter und der Vater in der zweiten Etage.

Vergebliche Wohnungssuche

Als der Vater 2013 starb, habe sie den Mietvertrag umschreiben wollen, berichtet Viola. Der Vermieter aber habe den Vertrag einbehalten „und ich war so blöd, die Miete nicht mehr zu bezahlen“. Oma, Bruder und Mutter indes hätten weiter Miete überwiesen. „Robin und die Oma wurden da mit reingezogen“, denn schließlich kam die Zwangsräumung für die ganze Familie. „Ich hatte gar nicht die Chance zu reagieren“, sagt Irene Martens, warnende Schreiben des Vermieters habe es nicht gegeben.

Vergebens haben die 54-Jährige, die zwölf Jahre lang als Zeitungszustellerin gearbeitet hat, und ihre Kinder seither nach einer neuen Wohnung gesucht. Bis nach Siegen seien sie gefahren, erzählen sie. Auf Dutzende Wohnungen auch außerhalb des Kreises haben sie sich beworben – ohne Erfolg.

Keine Hunde im Obdach

„Da drüben stehen schon seit Monaten Wohnungen leer“, sagt Viola Mertens, gelernte Altenpflegerin, und zeigt auf die Häuser der ehemaligen belgischen Siedlung. Aber auch ihre Nachrichten, die sie in verschiedene Briefkästen warfen, blieben bisher ohne Antwort. In eine Obdachlosenunterkunft zu ziehen ist für die Familie keine Option. Denn ihre beiden 15 Jahre alten Hunde könnten sie dorthin nicht mitnehmen.

Im Stich gelassen fühlen sich die drei dennoch von den Wohlfahrtsverbänden: Man werde rumgereicht, beklagen sie; nur die postalische Erreichbarkeit im Don-Bosco-Haus des SKM sei gewährt worden. Die Mutter bezieht nach eigenen Angaben eine kleine Hinterbliebenenrente aus Belgien, ihre erwachsenen Kinder erhalten Hartz IV. „Der SKM wusste seit dem Sommer, dass die Oma im Auto schläft“, ärgert sich Viola Martens. Aber „wahrscheinlich muss man drogen- oder alkoholabhängig sein“. Inzwischen seien „die Türen zu“, sagt ihre Mutter. „Da kommt nichts an Hilfe.“

SKM widerspricht der Kritik

Eine Aussage, der Dominik Schmitz, Fachbereichsleiter Wohnungslosenhilfe beim SKM, widerspricht. „Wir haben hier Mehrbettzimmer, das geht nicht mit Hund“; mit dem Festhalten an den beiden Tieren stehe sich die Familie selbst im Weg. Aber: „Man kann Lösungen finden.“ Etwa wie in Köln, wo einige Obdachlose über Nacht ihre Tiere ins Tierheim bringen. „Dann ist die Aufnahme in die Notschlafstelle oder eine städtische Unterkunft möglich“, betont Schmitz, der auch mit Kollegen im Eitorfer und Troisdorfer Rathaus in Kontakt steht.

Vorerst aber wird, wenn es Nacht wird auf dem Parkplatz, das Auto zum Schlafzimmer. „Ich schlafe vorne“, berichtet Irene Martens; auf dem Beifahrersitz verbrachte bis vor kurzem ihre Mutter die Nacht, die beiden Hunde kommen dann ebenfalls nach vorn. Der hochgewachsene Sohn streckt von der Rückbank die Beine aus dem Auto, während seine Schwester draußen ihr Feldbett aufschlägt und sich mit einer Plane vor dem Wetter zu schützen versucht.

Waschen und WC am Friedhof

Zum Wäschewaschen fahren sie nach Bonn oder Köln; am Friedhof nutzen sie die Toiletten. Die Stadt hat über den Platzwart am Aggerstadion ermöglicht, dass die Obdachlosen dort duschen und sich umziehen können. Polizei und Ordnungsamt seien sehr hilfsbereit gewesen, bedanken sich die drei Martens’. Nachbarn hätten sie über Weihnachten gut unterstützt, ihnen Mut gemacht.

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„Wir können niemanden zwangsweise in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe unterbringen“, sagt der Troisdorfer Bürgermeister Alexander Biber auf Anfrage. Mit Verweis auf die Tiere habe die Familie eine entsprechende Unterkunft abgelehnt. Auch einen Heimplatz für die 79-Jährige habe diese nicht annehmen wollen. Gleichwohl seien Mitarbeiter aus dem städtischen Sozialamt seit etlichen Wochen mit der Familie im ständigen Kontakt.

„Es war nicht viel, aber es war unser Leben“

Kleidung und ein paar Erinnerungsstücke hat die Familie in ihrem rollenden Obdach untergebracht. „Es war nicht viel, was wir hatten, aber es war unser Leben, und wir waren zufrieden“, sagt Irene Martens, der immer wieder die Tränen in die Augen steigen. Dass sie Fehler gemacht haben, ist ihr bewusst. „Wir wollen das geradebiegen, aber wir bekommen im Moment keine Chance.“ Aufgeben sei keine Option, haben hilfsbereite Nachbarn an Weihnachten gesagt. Aber, so Irene Martens: „Langsam kann ich nicht mehr.“

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