„Wir hatten furchtbare Angst“Erinnerungen an den Krieg überfallen Troisdorferinnen bis heute

Lesezeit 4 Minuten
Zwei Seniorinnen blicken auf alte Zeitungsberichte.

Als Kinder haben Karin Raesch (l.) und Johanna Ockenfeld 1944 den verheerenden Bombenangriff auf Troisdorf miterlebt.

Auch 80 Jahre danach ist der Krieg für zwei Seniorinnen aus Troisdorf immer wieder ganz nah. Schwer zu ertragen: die Bilder aus der Ukraine.

Fast 80 Jahre ist das Kriegsende nun her, für Johanna Ockenfeld und ihre Freundin Karin Raesch ist der Krieg in ihrer Heimatstadt Troisdorf aber immer wieder ganz nah. „Wir haben das als Kinder ja alles nicht so verstanden“, erinnert sich Karin Raesch, die als Karin Wittig geboren wurde. „Aber gespürt.“ Und diese Gefühle überfallen die inzwischen 84-Jährige auch heute noch.

„Ich kann es nicht hören“, kommentiert sie das Martinshorn, das in ihrem Haus an der Poststraße häufig ertönt. Und besucht sie die Tochter in Hennef, weckt der Lärm landender Flugzeuge oftmals unangenehme Gefühle. Als furchtbar hat sie das Geräusch der Tiefflieger in Erinnerung. „Ich dachte, ich wäre abgehärtet“, berichtet auch Johanna „Hannchen“ Ockenfeld von einer unerwarteten Reaktion ihrer Nerven auf einen Probealarm der städtischen Sirenen.

Großvater Wittig führt Protokoll bis zum verheerenden Angriff am 29. Dezember 1944

„Karin ist ergiebiger“, hat Johanna Ockenfeld zu Beginn unseres Gesprächs auf die Erinnerungen der Freundin verwiesen. Sie selbst habe viel vergessen; dass sie ihre um sechs Jahre ältere und inzwischen gestorbene Schwester nicht mehr gefragt hat, werde sie immer bereuen: „Das liegt mir auf dem Magen“, sagt die 85-Jährige. „Das werde ich nie mehr erfahren.“

Historisches Bild nach einem Bombenangriff.

Am 29. Dezember 1944 erlebte Troisdorf den schwersten Bombenangriff des Krieges. Die DAG (im Bild) wurde schwer getroffen, aber auch das Elternhaus Karin Raeschs, geborene Wittig, wurde zerstört.

Der Großvater Karin Raeschs hat genau Protokoll geführt, wie viele Angriffe alliierter Bomber auf Troisdorf geflogen wurden. Das dicke Buch, das inzwischen im Stadtarchiv verwahrt wird, beginnt mit einem Eintrag am Pfingstsonntag im Mai 1940. „Bombe an der katholischen Kirche“ steht da; ein 19-Jähriger kam damals ums Leben. Bis zum Inferno des verheerenden Angriffs am 29. Dezember 1944 wird Großvater Wittig Protokoll führen. „Dauernd Alarm“ hieß es danach nur noch.

„Dann waren wir ja direkt betroffen“, erinnert sich Karin Raesch: Das Haus an der Kronenstraße, unmittelbar vor den Toren der Dynamit Nobel, war immer schon gefährdet gewesen. „Wir hatten als Kinder furchtbare Angst.“ Betten standen im Luftschutzkeller, außerdem das Eingemachte, das später nach der Zerstörung des Hauses gestohlen wurde.

Nach dem Bombenangriff ging Karin Wittig durch die Hospitalstraße

Johanna Ockenfeld und ihre Familie lebten regelrecht im Bunker mit einer weiteren Familie. „Ich weiß noch, dass wir mit einem Elektrokarren nach Hause fuhren“, sagt sie. „Wir hatten Glück“, erinnert sie sich. „Bis auf die Fensterscheiben“, habe sich der Schaden in Grenzen gehalten. Ebenso im Gedächtnis geblieben: die grüne und die schwarze Seife, von denen die eine so sehr auf der Haut brannte.

Nach dem Bombenangriff vom 29. Dezember 1944 ging Karin Wittig mit zwei jüngeren Geschwistern   – der Vater war Soldat in Russland – durch die Hospitalstraße. „Da hat alles gebrannt, da war nur Feuer“ – ein Eindruck, den sie wohl nie aus dem Kopf bekommen werde. Und das habe sogar der um zwei Jahre jüngere Bruder so in Erinnerung, der seit Jahrzehnten in den USA lebt. Bei „Sauna Bach“ kamen die drei kleinen Kinder unter, später auf der Straße Gerstenbitze und an der Aggerstraße.

„Wir Pänz standen da, schick angezogen“, erinnert sich die 85-Jährige Johanna Ockenfeld an die Ankunft amerikanischer Soldaten in Troisdorf, „dann haben wir Kamell gekriegt.“ Angst habe sie dennoch gehabt, wenn die Besatzer durch die Straßen fuhren. Für andere Lebensmittel gingen die Troisdorfer Familien zum „Hamstern“ in die ländliche Umgebung; Mondorf sei immer ein „Maggelpunkt“ gewesen, sagt Karin Raesch. An den Garten mit Hühnern und Kaninchen erinnert sich die Freundin. „Unter den Flügeln haben wir uns die Hände gewärmt“; man habe die Tiere „gestreichelt und gegessen“.

Schwer zu ertragen sind die Bilder des Krieges in der Ukraine

Anfang Mai 1945 hatten sie den Krieg überstanden, die Kinder spielten in den Trümmern. „Wir haben alle Glück gehabt, dass wir noch leben“, weiß Karin Raesch, die an 300 Tote allein des großen Angriffs erinnert. Und an den Tod vieler Zwangsarbeiter, die in einem Saal zusammengepfercht waren.

Schwer zu ertragen sind für die beiden agilen Damen die Bilder des Krieges in der Ukraine. Karin Raesch „kann es manchmal nicht mehr sehen“; zugleich will sie aber auch informiert sein. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin habe sie noch nie über den Weg getraut. Auch Johanna Ockenfeld bedrücken die Bilder des Krieges in Osteuropa. „Man muss sich wundern, wie schnell Deutschland alles aufgebaut hat“; schon 1949 habe die Familie in einem neuen Haus gewohnt. Wenn sie zu Bett gehe, denke sie oft daran, wie andere in den Kriegsgebieten jetzt einschliefen.

KStA abonnieren