VerkehrsministerWissing schlägt hälftige Kostenteilung für ÖPNV-Finanzierung vor

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Volker Wissing in einem Zug der Deutschen Bahn.

Berlin – Russlands Krieg gegen die Ukraine habe gezeigt, dass Infrastrukturen ein wichtiges Ziel militärischer Strategie seien, sagt Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Nach der Sabotage gegen die Bahn hat er eine Stabstelle mit Sicherheitsexperten eingerichtet. Außerdem regt er eine hälftige Bund-Länder-Finanzierung des ÖPNV an – und erzählt, was der Ampel im Bund gerade fehlt: Zeit zum Reden.

Herr Wissing, Bund und Länder haben sich auf ein bundesweites 49-Euro-Ticket geeinigt. Um im Sprachgebrauch von Kanzler Olaf Scholz zu bleiben: Ist das Ihr persönlicher Doppelwumms?

Volker Wissing: Die Einigung ist vor allem ein Erfolg für eine grundlegende Modernisierung des ÖPNV und damit ein Angebot an die Bürgerinnen und Bürger. Die Strukturen mit ihren komplexen Tarifen sind nicht mehr zeitgemäß, die vielen Hürden im Nahverkehr passen nicht in dieses Jahrzehnt, das ein Jahrzehnt des Fortschritts werden muss. Wir müssen zeigen, dass der föderale Staat reformfähig ist. Das haben wir gezeigt.

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Die Finanzierung ist allerdings nach wie vor ungeklärt. Kommt das Ticket wirklich zum 1. Januar?

Wichtig ist, dass das Ticket digital, deutschlandweit gültig und in einem monatlich kündbaren Abonnement verfügbar ist. Wir wollen ein attraktives Angebot, das die Menschen überzeugt. Ich bin optimistisch, dass wir das Deutschlandticket zum 1. Januar 2023 einführen. Wenn das aufgrund technischer Fragen keine Punktlandung wird, muss unser Ziel sein: so schnell wie möglich.

„Bund und Länder ziehen an einem Strang“

Seit Jahren ringen die Länder mit dem Bund um mehr Bundesgelder für den ÖPNV. Können Sie den Knoten durchschlagen?

Wir müssen uns den Grund vor Augen führen, warum es immer wieder zu Konflikten kommt: Der ÖPNV ist Ländersache und der Bund soll laut Verfassung einen Betrag aus dem Steueraufkommen dazu geben. Es gibt aber keinen festen Satz, wie viel die Länder und der Bund jeweils zahlen sollen. Auch aus diesem Grund ist der gefundene Kompromiss für das neue Ticket so ein wichtiger Erfolg, weil er das Signal sendet, dass Bund und Länder auch beim ÖPNV an einem Strang ziehen. Gleiches gilt übrigens auch für den zwischen Bund und Ländern vereinbarten Ausbau- und Modernisierungspakt. Die Schaffung eines attraktiven ÖPNV-Angebots ist ein gesamtstaatliches Anliegen.

Welche Aufteilung schwebt Ihnen vor?

Im Rahmen des Ausbau- und Modernisierungspaktes wollen wir klären, wie die Kosten für den ÖPNV zwischen Bund und Ländern künftig aufgeteilt werden. Wir könnten den Artikel in der Verfassung zum Beispiel durch einen Beschluss der Verkehrsministerkonferenz von Bund und Ländern konkretisieren. Wir haben viele Dinge wie das Deutschlandticket oder den Corona-Rettungsschirm hälftig finanziert. Eine faire und klare Aufteilung der Mittel würde weitere Konflikte dauerhaft beseitigen und eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern schaffen. Darauf kommt es mir an.

„Es kam niemand zu Schaden, das ist das Entscheidende“

Zur Infrastruktur: Das Bahnnetz wurde von Unbekannten lahmgelegt. Wie kann es sein, dass Kabel an zwei Stellen durchgeschnitten werden und am Ende der ganze Fernverkehr im Norden stundenlang stillsteht?

Wie die Saboteure an die sensiblen Informationen gekommen sind, auf welche Weise man den Zugfunk komplett ausschaltet, werden die Ermittlungen hoffentlich aufklären. Wichtig ist erst einmal: Unsere Sicherheitsmechanismen haben funktioniert. Die Bahn konnte mit ihrem Sicherheitssystem schnell reagieren, sodass niemand zu Schaden kam und der Betrieb nach weniger als drei Stunden wieder lief. Das ist das Entscheidende.

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Experten gehen davon aus, dass die Täter Insiderwissen hatten.

Der Generalbundesanwalt ermittelt. Für meinen Zuständigkeitsbereich habe ich im Ministerium umgehend eine Stabstelle für Infrastruktursicherheit mit Expertinnen und Experten aus allen Fachabteilungen des Ministeriums sowie den nachgeordneten Behörden eingerichtet. Ziel ist es, die Abteilungen mit ihren bestehenden Sicherheitsmechanismen und Kompetenzen noch besser zu vernetzen. Wir werden Synergien zum Beispiel zwischen IT-Experten und unseren Verkehrsspezialisten schaffen und erörtern, ob und wie wir die Sicherheit kontinuierlich weiterentwickeln können, um ein dauerhaft hohes Schutzniveau zu gewährleisten. Sicherheit ist eine Daueraufgabe.

Rechnen Sie mit Anschlägen und weiteren Sabotageattacken auf Deutschlands Infrastruktur?

Unsere Infrastrukturen sind die Lebensadern unserer Gesellschaft. Das macht sie aus der Sicht potenzieller Angreifer zu einem attraktiven Ziel.

„Ich fordere die Aufnahme eines Staatsziels 'Infrastruktur'“

Ist die Gefahr durch Russlands Krieg gegen die Ukraine gestiegen?

Dieser Krieg hat gezeigt, dass Infrastrukturen ein wichtiges Ziel militärischer Strategie und damit auch potenzieller Angriffe sind.

Steht Deutschland besonders in Wladimir Putins Fokus?

Deutschland ist eine moderne Gesellschaft und ein erfolgreicher Wirtschaftsstandort. Grundlage unseres Erfolges ist auch eine gut ausgebaute Infrastruktur. Diese ist nicht nur die Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg, sie steht auch für unsere Art zu leben. Zur Infrastruktur zählen ja nicht nur Straßen, Brücken und Schienentrassen, sondern auch Datenleitungen und Kommunikationseinrichtungen. Wir sollten die Bedeutung, welche die Infrastruktur für unser Leben und unser Land hat, nicht unterschätzen. Deshalb fordere ich auch die Aufnahme eines Staatsziels „Infrastruktur“ in das Grundgesetz.

Was wird sich ändern?

Man muss den Mut haben, auch aus solchen Sabotageakten wie gegen die Bahn zu lernen. Das ist eine Chance, die Sicherheit weiter zu verbessern – auch in anderen Bereichen: IT, Flughäfen, Wasserschifffahrt, Seeschifffahrt, Bahnhöfe, Schienen, Tunnel, Verkehrssicherungsanlagen. Wir haben die ganze Kompetenz im Digital- und Verkehrsministerium versammelt. Das soll in der neuen Stabstelle Infrastruktursicherheit dauerhaft gebündelt werden. Neue Entwicklungen, neue Innovationen bringen auch neue Herausforderungen für die Sicherheit mit sich. Diese müssen wir mitdenken und entsprechende Vorsorge schaffen

Die Sabotage war ein externer Faktor, es gibt aber interne Faktoren bei der Bahn, die zu Verspätungen und Ausfällen führen. Die Bahn macht den Eindruck eines maroden Unternehmens. Wie konnte es so weit kommen?

Niemals hat die Bahn so viele Fahrgäste und Güter befördert wie heute. Das Problem ist aber, dass dem Run auf die Bahn keine ausreichende Modernisierung des Schienennetzes gegenüberstand. Die Politik hat in der Vergangenheit nicht vorausschauend genug gearbeitet. Man hat eine Instandhaltung unter dem rollenden Rad versucht, aber am Ende war ein Baustellenchaos entstanden. Das wird nun mit einem Paradigmenwechsel geändert - mit einer konsequenten und strukturierten Modernisierung hin zu einem Hochleistungsnetz. Es reicht nicht mehr, im laufenden Betrieb zu reparieren, wir müssen erweitern sowie umfassend und geplant sanieren, um am Ende über ein modernes, gut ausgebautes und leistungsfähiges Schienennetz zu verfügen.

„Das Team an der Spitze der Bahn hat einen Vertrauensvorschuss von mir“

Die Politik hat Versäumnisse zu beklagen, aber bei jedem anderen Unternehmen würde es auch personelle Konsequenzen im Vorstand geben. Warum nicht bei der Bahn?

Es gab ja einen Personalwechsel beim Infrastrukturvorstand, weil Ronald Pofalla das Unternehmen verlassen hat. Ich habe mir selbstverständlich die Frage gestellt, ob an der Spitze der Bahn ein Team steht, das in der Lage ist, die Herausforderungen, vor denen das Unternehmen steht, erfolgreich anzugehen. Ich komme zu dem Ergebnis: Ja. Dieses Team hat einen Vertrauensvorschuss von mir bekommen, jetzt muss es sich bewähren und liefern.

Aber muss ein Bahn-Vorstand nicht selbst mehr liefern?

Die Bahn braucht den Bund bei Finanzierungsfragen und Infrastrukturvorhaben. Zu dieser Verantwortung steht der Bund, umgekehrt ist die klare Erwartungshaltung des Bundes an den Bahnvorstand, erkannte Probleme konsequent anzugehen und dauerhaft zu lösen. Durchwursteln kann und darf keine Option mehr sein. Deswegen haben wir eine Steuerungsgruppe eingerichtet, um die Bahn eng zu begleiten.

Zur Koalition: Sie haben in Rheinland-Pfalz in einer Ampel regiert. Das hat recht geräuschlos funktioniert. Warum tut sich die FDP im Bund schwerer mit den Grünen - oder sind Ihrer Ansicht nach die Grünen an den Konflikten Schuld?

Eine Regierung kann immer nur gemeinsam erfolgreich sein. Wenn es Probleme gibt, sind alle verantwortlich. In Rheinland-Pfalz habe ich die Erfahrung gemacht, dass es Zeit braucht, sich einzuspielen. Es müssen sich nicht nur die Handelnden persönlich kennen- und vertrauen lernen, ganze Parteien müssen sich aufeinander zu bewegen, ohne ihr Profil zu verlieren. Das ist in Krisenzeiten besonders schwierig.

„Die Zeit ist aktuell knapp bemessen“

Was ist da in der Ampel im Bund schiefgelaufen?

Ein Bündnis mit solch unterschiedlichen Koalitionspartnern setzt voraus, dass man viel miteinander spricht. Doch wegen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine und der Agenda, die wir dadurch zu bewältigen haben, ist die Zeit aktuell knapp bemessen. In Rheinland-Pfalz haben wir ungewöhnlich lange Kabinettsklausuren abgehalten, um uns näher kennenzulernen. Ich habe mir damals sehr viel Zeit genommen, um zum Beispiel mit Politikern der anderen Parteien in Ruhe und entspannter Atmosphäre zu sprechen. Wenn gegenseitige Wertschätzung da ist, findet man leichter gemeinsame Wege.

Das wird in den nächsten Monaten nicht einfacher.

Deswegen ist es die Verantwortung aller Fraktionen, Parteien und des Führungspersonals, dass wir verantwortungsvoll mit der Situation umgehen und priorisieren. Immer dann, wenn man sich Zeit nimmt, zu sprechen, bekommt man am Ende ein gutes Ergebnis.

Die Ampel wird auch nicht platzen, wenn die Themen Schuldenbremse und Atom zu weiteren Konflikten führt?

Es gibt hier nur einen Auftrag: Dieses Land gut zu regieren.

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