Porträt über Volker WissingDer Möchtegern-Brückenbauer?

Lesezeit 8 Minuten
Berlin: Volker Wissing (FDP), Bundesverkehrsminister, spricht bei der Sitzung des Bundestags während der Debatte um das 49-Euro-Ticket im ÖPNV.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing

Verkehrsminister Volker Wissing gilt als Architekt der Ampel. Doch in der Koalition ist er mittlerweile zur Reizfigur geworden. Hinter den Kulissen ist von „Mauerbauer“ statt von Brückenbauer die Rede. Zu Recht?

An einem Frühlingstag im März sitzt Verkehrsminister Volker Wissing auf einem Podium in Berlin-Mitte. Der FDP-Politiker ist eingeladen zu einer Talkshow im Basecamp, einem Veranstaltungsort in der Nähe des Regierungsviertels. Es geht um die „Mobilität von Morgen“. 24 Stunden zuvor hat er großes Aufsehen bei den Koalitionspartnern und in Brüssel erregt, weil er sein Nein zum europäischen Verbrenner-Aus androhte.

Dafür wirkt Wissing ziemlich gelassen, fast schon befreit. Er hat das rechte Bein auf das andere gelegt, seine Hände nimmt er zusammen, wie auf der Videoaufnahme des Talks zu sehen ist. „Wir sind uns ja nicht ganz einig, wie wir neue Mobilität organisieren sollen“, sagt er mit einem Sphinx-Lächeln auf dem Gesicht. Es gebe ja durchaus Kontroversen, gesteht er ein. „Es gibt welche, die sagen, die individuelle Mobilität soll zurückgedrängt werden. Dann gibt es andere, zu denen gehöre ich, die sagen, Bürgerinnen und Bürger sollen in Zukunft frei entscheiden, wie sie mobil sind.“

Wissing ist niemand, der häufig andere Koalitionspartner öffentlich an den Pranger stellt. Seine Worte wählt er vorsichtig. Wenn er aber jemanden kritisiert, dann verdeckt er seine Kritik mit Begriffen wie „jene“ oder „welche“. Wen er meint, überlässt Wissing der Interpretation des Zuhörers. Es würde auch nicht in das Bild passen, das er von sich zeichnet.

Wissing gilt als Architekt der Ampel

Wissing gilt als Architekt des Ampelbündnisses. Er sieht sich als Brückenbauer, der immer wieder Kompromissfähigkeit zeigt. Das legendäre Selfie mit Christian Lindner, Annalena Baerbock und Robert Habeck vor Start der Sondierungen schießt er, damals noch als FDP-Generalsekretär. Wissing ist in der Tat ampelaffin, hat in Rheinland-Pfalz mehrere Jahre mit Grünen und SPD regiert.

„Ich habe mir damals sehr viel Zeit genommen, um zum Beispiel mit Politikern der anderen Parteien in Ruhe und entspannter Atmosphäre zu sprechen“, sagt er 2022 im RND-Interview über seine Zeit in der Landespolitik. „Wenn gegenseitige Wertschätzung da ist, findet man leichter gemeinsame Wege.“ Seiner Ansicht nach hat er das so im Bund weitergeführt. So sehen das ebenfalls seine Kollegen bei der FDP. Er sei unvoreingenommen und spreche sehr viel mit den Menschen, heißt es.

Diese Erzählung deckt sich aber nicht mit seinem Außenbild. Volker Wissing ist nach nicht einmal zwei Jahren Regierungszeit zur Reizfigur der Ampel geworden: Die Verkehrspolitik ist mittlerweile der Hauptstreitpunkt der Koalitionäre. Die Klimaaktivisten von „Fridays for Future“ fordern Wissings Rücktritt, gehen gegen seine Verkehrspolitik auf die Straße. Die Aktivisten der „Letzten Generation“ bespritzen das Bundesverkehrsministerium mit Farbe. Die Taz vergleicht Wissing in einer Karikatur mit Hitlers Propagandisten Joseph Goebbels, entschuldigt sich später dafür.

Wissing polarisiert - außerhalb und innerhalb der Ampel.

Bei einer Regierungsbefragung im Oktober zeigt sich der Dissens in der Koalition deutlich. Wissing steht im Bundestagsplenum vor dem Mikrofon und stellt sich den Fragen der Abgeordneten. Eigentlich müssen die Minister von den Regierungskoalitionen hier keine allzu kritischen Fragen erwarten. Meist geht es darum, die eigenen Minister zu stärken, ihnen Steilvorlagen zu bieten, damit sie erzählen können, was die Bundesregierung schon alles erreicht hat. Nicht aber bei Wissing.

Die Grünen-Politikerin Nyke Slawik hat eine Frage zur Einhaltung der Klimaziele. Wenige Monate zuvor legt der Minister gesetzlich vorgeschriebene Klimaschutz-Sofortmaßnahmen vor, weil der Verkehrssektor die Ziele im Jahr 2021 verfehlt hat. Doch die sind aus Sicht des eigens von der Bundesregierung eingesetzten Klima-Beirats nicht ausreichend. Intern beschweren sich die Grünen über das Maßnahmenpaket, doch sie kommen nicht weiter.

Also nun öffentlich. Slawik kritisiert, dieses Jahr habe das Verkehrsministerium keinen Maßnahmenkatalog vorgelegt, der die Verringerung der Emissionen erreichen würde. „Der Expertenrat für Klimafragen hat die Maßnahmen zerrissen, und ich sage dazu, sie sich nicht mal im Detail angeguckt, weil er zum Urteil gekommen ist, dass sie vollkommen unzureichend sind. Wann wird Ihr Ministerium einen Maßnahmenkatalog vorlegen, der im Einklang mit der Einhaltung der deutschen Klimaziele ist?“ Sie schiebt ein „Vielen Dank“ hinterher.

Streit über Emissionen

Wissing blickt auf seine Notizen. Dann erzählt er, dass seine vorgelegten Maßnahmen genug Emissionen einsparen würden. Das habe ihm das Fraunhofer-Institut bescheinigt. Weiter betont er, die Bundesregierung wolle ja zudem ein Klimaschutzsofortprogramm vorlegen. Dafür sei das Bundeswirtschaftsministerium zuständig.

Er schiebt die Verantwortung auf Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ab. Dass der aber noch auf Vorschläge aus seinem Haus wartet, sagt Wissing nicht. Auch nicht, dass die FDP im Hintergrund auf eine Novelle des Klimaschutzgesetzes pocht, die die Verrechnung von Sektorzielen ermöglicht. Aktuell müssen Sektoren wie Industrie, Landwirtschaft, Gebäude oder Verkehr jährlich Emissionen einsparen. Die Liberalen wollen erreichen, dass die Sektoren nicht mehr nur einzeln betrachtet werden, sondern im Gesamtpaket.

Slawik bleibt stehen, hat noch eine Nachfrage. Ob Wissing auf Klagen gegen die Bundesregierung vorbereitet sei, die auf die Einhaltung des Klimaschutzgesetzes pochten. Der Minister geht darauf nicht ein, weist erneut auf die Ausarbeitung des Sofortprogramms des „zuständigen Ministeriums“ hin. Slawik überzeugt das sichtlich wenig. Ohne die Miene zu verziehen, setzt sie sich wieder hin.

Thema Verkehr zwischen SPD, Grünen und FDP besonders schwierig

Der Austausch zwischen Wissing und Slawik ist später Thema unter den Abgeordneten. Hinter vorgehaltener Hand regen sich Liberale über die Grünen-Politikerin auf. Von Oppositionsverhalten ist die Rede. Bei der SPD heißt es, wer so etwas mache, habe offensichtlich gar keinen Zugang zum Ministerium.

In der Ampel ist hinlänglich bekannt, dass es im Verkehrsbereich zwischen SPD, Grünen und FDP besonders schwierig ist. Das haben die meisten erwartet: Das Verkehrsministerium steht aufgrund der Klimaziele bei den Grünen besonders im Fokus. Für die Grünen, die gerne das Verkehrsministerium besetzt hätten, ist es wichtig, hier Erfolge vorzeigen zu können. Sonst steigt ihnen die Basis aufs Dach. Wissing, der nun das Ministerium führt, bekommt großen Druck von der Ökopartei.

Klimaschutzgesetz bringt Fass zum Überlaufen

Der Streit über das Klimaschutzgesetz bringt das Fass zum Überlaufen. Ein extra anberaumter Termin mit den Ampel-Verkehrspolitikerinnen und -politikern mit Wissing nach der parlamentarischen Sommerpause hilft nicht, die Wogen zu glätten.

Monatelang kommen SPD, FDP und Grüne bei einer Reihe von Themen nicht mehr voran. Die Konflikte verfolgen meist das gleiche Schema: Grüne werfen den Liberalen Klientelpolitik vor. Die Sozialdemokraten werfen den Grünen Ideologiegetriebenheit vor. Grüne werfen der SPD Gleichgültigkeit vor, weil die Sozialdemokraten sich öffentlich raushalten. Und die FDP zeigt sich genervt von beiden Koalitionspartnern, allen voran von den Grünen.

Erst der Koalitionsausschuss vor zwei Wochen, bei dem die Verkehrspolitik im Mittelpunkt steht, kann den Knoten durchschlagen. Der Streit über die Autobahnen, LKW-Maut und mehr Tempo-30-Zonen in den Städten kann nur noch auf oberster Ebene ausgeräumt werden. Und das dauert auch schon 28 Stunden. Der Koalitionsausschuss sei eine „Entfesselung festgefahrener Dinge“ gewesen, sagt Wissing danach stolz bei einem Pressegespräch in seinem Ministerium - wieder mit einem leichten Lächeln.

Doch wie können die Dinge in seinem Bereich überhaupt so festfahren, wenn Wissing doch der Brückenbauer sein will?

Keine regelmäßigen Treffen

Treffen sich andere Minister häufig mit den zuständigen Parlamentariern, ist das im Verkehrsbereich selten der Fall. Er lasse sich grundsätzlich wenig blicken, sagt ein Ampelpolitiker. Ein regelmäßiges Treffen in der Sitzungswoche am Montag mit den stellvertretenden Ampel-Fraktionsvorsitzenden soll schon länger nicht mehr mit Wissing stattgefunden haben. Stattdessen schicke er oftmals seine parlamentarischen Staatssekretäre Oliver Luksic oder Michael Theurer (beide FDP) vor, heißt es. Auch im Verkehrsausschuss soll er kaum gewesen sein. Es seien eher Theurer und Luksic, die für Kompromisse sorgten.

Manch einer geht noch weiter. „Er ist kein Brückenbauer, sondern ein Mauerbauer“, sagt ein Abgeordneter. Es wird hinter vorgehaltener Hand darauf verwiesen, dass Wissing regelmäßig Sprengmittel zündet. Beispielsweise das angedrohte Nein zum Verbrenner-Aus, der Autobahnbau, die Forderung nach Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke und sein Beharren auf E-Fuels.

Noch im Januar 2021 sagt Wissing dem Tagesspiegel, man werde auf absehbare Zeit nicht genug E-Fuels zur Verfügung haben, um die jetzt zugelassenen Pkw mit Verbrennungsmotor damit zu betreiben. Die Entscheidung für die E-Mobilität sei „längst gefallen“. Die Wende bei synthetischen Kraftstoffen und dem Verbrenner-Aus erklärt man sich bei SPD und Grünen mit den Wahlschlappen der FDP - „Parteiprofilierung“.

Was zur Wahrheit aber ebenso gehört: Wissing steht in der FDP unter Druck. Seine erste Aussage zu den E-Fuels haben ihm manche übel genommen, weil dies als Absage an Technologieoffenheit gewertet wurde. Sein Fokus auf das heruntersubventionierte 9-Euro-Ticket im Sommer kommt bei manchen Liberalen ebenfalls nicht gut an.

Koalitions-Frieden zweifelhaft

Er muss sich also durchsetzen, bei Kern-FDP-Forderungen. Er ändert seine Tonlage, wird an manchen Stellen schärfer. „Wir können unser Land nur mit konkreten Vorschlägen voranbringen und nicht mit Klima-Blabla“, sagt er im März auf dem rheinland-pfälzischen FDP-Parteitag. Die Gewinne der FDP beim Koalitionsausschuss - Aufweichung des Klimaschutzgesetzes, Beschleunigung von 144 Autobahnprojekten - kommen ihm durchaus gelegen.

Ob mit den Beschlüssen allerdings Frieden in die Koalition Einzug hält, ist zweifelhaft. Bereits jetzt gibt es Befürchtungen, dass die Einigungen nicht lange halten werden. Beispiel Klimaschutzgesetz, bei dem sich die FDP durchgesetzt hat: Künftig sollen die Sektorziele wie gefordert verrechnet werden. Die Ministerien, deren Sektoren die Ziele verfehlen, „haben zu den Maßnahmen zur Minderung beizutragen“, lautet der Beschluss. Während sich die FDP freut, man habe die Sektorziele überwunden, betonen die Grünen jedoch, die Verantwortung liege weiter bei den Ministerien. Streit kündigt sich an, bevor die Novelle überhaupt ausgearbeitet ist und schon jetzt ist klar, dass der Verkehrssektor wohl im Zentrum stehen wird.

Für den Verkehrsminister muss das nichts Schlechtes sein, es ist wieder eine Chance, sich und seine Partei zu profilieren. Bei der Veranstaltung vor einem Monat im Basecamp geht es auch um das Verbrenner-Aus. Wissings Lächeln breitet sich über das ganze Gesicht aus, als das Thema angesprochen wird. „Es gibt eben einen Teil des politischen Spektrums, der generell gegen Verbrennungsmotoren kämpft“, sagt er. Erst auf Nachfrage gibt er zu, dass er damit Teile der Grünen meine. Kurz wirkt es so, als ob es ihn ein bisschen freut, dass er den Koalitionspartner auf die Palme bringen kann.

KStA abonnieren