Kolumne zum 1. FC KölnSchlechter verhandelt als auf dem Porzer Automarkt

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Christian Keller, Geschäftsführer des 1. FC Köln, gibt Journalisten ein Statement zu der Transfersperre.

Christian Keller, Geschäftsführer des 1. FC Köln, gibt Journalisten ein Statement zu der Transfersperre.

Wie das Fifa-Urteil die Derbywoche des 1. FC Köln durcheinander brachte. 

Hätten Sie mich vor drei Tagen gefragt, wäre ich wohl davon ausgegangen, dass es hier und heute um das Derby ginge. Kindheitserinnerungen, Traumata. Peter Wynhoff, den alten Bökelberg. Vielleicht sogar um Karl-Heinz „Driggi“ Drygalski, der nicht nur Konditionstrainer und später Präsident von Borussia Mönchengladbach war. Sondern unser Nachbar in Köln-Weiden in den Siebzigern und Achtzigern und eng mit meinen lieben Eltern befreundet.

Das führte etwa zu jener legendären Begebenheit, als ich als offenbar sehr junges Kind der Sesamstraße zu folgen versuchte, während sich meine Mutter und Driggi gewohnt lautstark unterhielten. Die Familienüberlieferung will es, dass ich mich also umdrehte und empört ausrief: „Dat tört!“ Karl-Heinz war darob derart verblüfft, dass er meine Mutter fragte: „War jetzt ER das?“ Ja, war er, ich war offenbar ein früher Sprecher. Jedenfalls nannte mich Karl-Heinz Drygalski von jenem Tag an liebevoll „Dattört“ – und nennt mich auch heute noch so, wenn er sich bei meinen Eltern danach erkundigt, wie es denn dem Kleinen so geht.

Tatsächlich verdanke ich Drygalski auch meinen ersten Derbybesuch am Bökelberg. Damals durfte ich mit ihm durch den Spielertunnel ins Stadion gehen, der direkt vor dem Gladbacher Fanblock auf den Rasen mündete. Während ich vor dem Tunnel wartete, lief Jürgen Kohler an mir vorbei, von dem ich mir noch rasch ein Autogramm besorgte. Dann kam Bodo Illgner – und gleich dahinter der Driggi. Wir liefen also praktisch hinter Illgner ins Stadion ein, und als das Pfeifkonzert losbrach, fragte ich mich, wie Illgner es bloß schaffte, da nicht vor Angst gleich wieder umzudrehen. Für mich war klar: Bodo Illgner musste ein Superheld sein. Und er wurde dann ja auch als FC-Torwart Weltmeister 1990.

Povlsens großes Spiel

Ich könnte jetzt also noch von Flemming Povlsen schreiben, der das erste Heimderby entschied, an das ich mich erinnern kann. Povlsen schoss zweieinhalb Tore, der FC gewann in der alten Schüssel vor 59.000 Zuschauern 4:1. Ich war elf und gar nicht so glücklich, wie ich hätte sein sollen: Denn angesichts von gefühlt 20.000 Gladbachern im Stadion hatte ich bis zum Schlusspfiff eine solche Panik vor einer Niederlage, dass sich das Spiel auch 35 Jahre später nicht wie ein Triumph anfühlt.

Eher überwiegt noch heute die Erleichterung, mal nicht verloren zu haben. Was meines Erachtens ein wichtiger Faktor im Metier Derbyfußball ist. Ich werde jedenfalls niemals begreifen, wie man sich auf ein Derby freuen kann. Bei mir waren die Tage vor Derbys und auch die Spiele selbst stets ausschließlich von tiefer Furcht vor der Niederlage geprägt. Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen, wie ich 1987 in der ersten Halbzeit beim Stand von 2:0 für den FC eigentlich permanent glaubte, Hans-Jörg Criens würde mit dem nächsten Ballkontakt sicher ein Tor machen und der FC noch hoffnungslos untergehen.

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Solche Dinge fallen mir spontan beim Gedanken ans Derby ein. Mein Kollege Lars Werner und ich haben mittlerweile eine gewisse Tradition darin entwickelt, vor Derbys zu Terminen nach Mönchengladbach zu fahren; Lars beobachtet dann immer meine Stimmung, wenn wir in die Nähe des Borussiaparks in den Zuckerrübenfeldern am westlichen Ende unserer schönen Welt kommen.

Am Mittwoch erlebten wir allerdings einen angenehmen Ausflug, denn wir trafen Christoph Kramer zum Gespräch, den Weltmeister von 2014. Jenen Weltmeister, der nach einem Kopftreffer im Finale nach einer halben Stunde vom Platz gemusst hatte, weil er dem Schiedsrichter wirre Fragen gestellt hatte. Ich war damals ebenfalls in Rio im Stadion und wurde zwar nicht Weltmeister. Kann mich aber gut ans Spiel erinnern. Wobei zu sagen wäre, dass auch Christoph Kramer genug über jenen prächtigen Tag weiß, um zu sagen, dass es sein größter Moment im Fußball war.

Zwischen Feldern und Abbruchkanten

Kramer ist, abgesehen davon, dass er aus direkter Nähe sehr viel größer ist, als man glaubt, wenn man ihm auf dem Bildschirm sieht, derselbe kluge, freundliche und gelassene Typ, als den man ihn auch im ZDF während der großen Turniere erlebt. Wobei zu sagen wäre, dass ich ihn besonders faszinierend finde, weil er eben nicht einfach nur ein hervorragender TV-Experte mit Profi-Erfahrung ist. Sondern ein echter aktueller Bundesliga-Stammspieler, der seine Sommerpause im Fernsehstudio verbringt und große Freude daran hat. Das Interview war jedenfalls interessant und auch lustig, es erscheint in der Samstags-Ausgabe des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und selbstverständlich in unserem digitalen Angebot.

Irgendwo auf der Autobahn zwischen Feldern und Braunkohletagebauten, während wir uns bereits darauf freuten, bald endlich wieder den Dom zu sehen, schlug dann die Nachricht vom Urteil der Fifa ein, die den FC mit einer Transfersperre belegt hat. Und während ich also gerade darüber nachdenke, dass ich eigentlich gerade keine Lust habe, mich schon wieder gedanklich damit zu befassen, treffe ich einfach den Entschluss, es darum auch einfach nicht mehr zu tun.

Daher nur kurz: Die Fifa hat in ihren Statuten einen Passus eingebaut, der verhindern soll, dass Großvereine durch die Welt ziehen und minderjährige Spieler dazu bringen, sich von ihren Heimatvereinen wegzustreiken oder ihre Verträge brechen. Damit eben kein Klub einen 16-Jährigen und dessen Eltern dazu bringt, bei seinem Verein zu kündigen und am nächsten Tag woanders zu unterschreiben. Exakt dieser Fall sei eingetreten, als der 1. FC Köln vor 15 Monaten den Mittelstürmer Jaka Cuber Potocnik von Olimpija Ljubljana verpflichtete. Hat jedenfalls das Fifa-Tribunal entschieden.

Die Gründe der Fifa-Richter

Wir haben mit den Verantwortlichen bei Olimpija gesprochen, die keine klassischen Ganoven sind. Sondern Münchner Anwälte. Wir haben selbstverständlich auch mit den handelnden Personen beim 1. FC Köln gesprochen; jedenfalls mit denen, die bereit oder in der Lage waren, mit uns zu sprechen.

Am Ende ist es Profifußball, da ist weder die eine noch die andere Partei unterwegs, um Gutes zu tun. Da geht es um Vereinsinteressen und viel Geld. Der Sachverhalt, den wir bislang recherchieren konnten, ist diffus. Es geht um Absprachen, von denen plötzlich niemand mehr etwas wissen mag. Und um vermeintliche Beweise, die aber zumindest drei Richter beim Fifa-Tribunal offenbar nicht überzeugt haben, was ja zu denken gibt. Denn die Fifa mag keinen guten Ruf haben. Aber die dortigen Richter sind nicht so verrückt, glasklare Belege zu ignorieren und den 1. FC Köln aus einer Laune heraus existenzgefährdend zu bestrafen. „Die Fifa hat aus unserer Sicht ein komplett absurdes Urteil ohne jede Grundlage getroffen“, teilte Geschäftsführer Christian Keller dennoch mit.

Nicht mal auf dem Porzer Automarkt

Hat ja auch niemand etwas von. Nicht einmal Olimpija Ljubljana – der Verein geht jetzt ebenfalls in Berufung, weil man von der Fifa nur eine Entschädigung von 51.750 Euro zugesprochen bekam. Was nicht nur deutlich weniger ist als die 2,5 Millionen, die man vom FC für Potocnik haben wollte. Sondern ja sogar noch immer erheblich weniger als die 100.000 Euro plus Ausbildungsentschädigung, die der FC zu zahlen bereit gewesen wäre. Obwohl es offenbar kuriose Verhandlungen waren: Beim Gespräch im Geißbockheim hinterlegten die Emissäre des slowenischen Klubs ihren Wunsch nach 2,5 Millionen Euro. Im Gegenzug bot Christian Keller dann nicht etwa zum Einstieg die Hälfte oder von mir aus ein Viertel der Summe. Sondern vier Prozent. Was ja zum Beispiel auch auf dem Porzer Automarkt kein gutes Ende nähme.

Aber wer weiß schon, was im Profifußball angemessen ist. Womöglich überlebt der FC die Transfersperre, Potocnik schießt in der nächsten Saison 25 Tore und wechselt in zwei Jahren für 80 Millionen Euro nach England. Dann würde man jenen Leuten danken, die nun zurecht in der Kritik stehen und die sich wohl früher oder später einer ernsthaften Befragung durch das FC-Präsidium ausgesetzt sehen werden. Denn einen 16-jährigen Slowenen zu verpflichten, dessen Mutter tags zuvor einseitig den Vertrag bei seinem Klub gekündigt hat, ist ein Vorgang, den sich der 1. FC Köln angesichts der drohenden Strafe nicht hätte leisten dürfen.

Von den entscheidenden Beratungen vor der Verpflichtung Ende Januar 2022 wird es im Geißbockheim ein Gesprächsprotokoll geben, in dem nicht nur vermerkt ist, wer anwesend war und wer was gesagt hat. Es waren auch Unterschriften zu leisten. Wer also nach den Verantwortlichen für das Desaster sucht, wird nicht in Slowenien oder einer Münchner Anwaltskanzlei fündig und wohl auch nicht am Sitz der Fifa in Zürich. Sondern im Aktenschrank des Geißbockheims.

Zum Autor: Christian Löer (47) ist Leiter der Sportredaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und berichtet seit der Saison 1999/2000 über den 1. FC Köln.

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