Mann von Ex-NationaltrainerinHohe Summen Schwarzgeld im Amateurfußball – Mäzen in NRW wird angeklagt

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Hermann Tecklenburg ist bei einem Spiel seines Vereins SV Straeln gegen SG Wattenscheid 09 auf einer ansonsten leeren Tribüne zu sehen.

Hermann Tecklenburg bei einem Spiel seines Vereins SV Straeln gegen SG Wattenscheid 09.

Eine Staatsanwältin legt sich mit dem Fußballmäzen Hermann Tecklenburg an. Experten berichten von hohen Gehältern, die am Fiskus vorbeigehen.

Vor großen Namen und heiklen Fällen schreckt sie nicht zurück. Staatsanwältin Christina Lindner jagt im Justizbezirk Kleve hartnäckig Wirtschaftskriminelle. So organisierte die Strafverfolgerin Razzien in Leiharbeiterunterkünften oder bei Corona-Soforthilfe-Betrügern –Kriminalgeschichten aus der niederrheinischen Provinz gewiss. Inzwischen aber schaut die deutsche Fußballwelt mit bangen Blicken hinauf zum Justiz-Sprengel nahe der niederländischen Grenze. Legt sich die Staatsanwältin doch mit der mutmaßlich kriminellen Spielwiese des Lieblingssports der Deutschen an: der illegalen Finanzierung im Amateurfußball.

Ehemann der Ex-Fußball-Nationaltrainerin im Visier der Ermittler

Und als wäre dies nicht brisant genug, steht der Bauunternehmer Hermann Tecklenburg, Ehemann der jüngst abgetretenen Nationaltrainerin der deutschen Frauen-Nationalmannschaft, Martina Voss-Tecklenburg, im Zentrum der Nachforschungen. Inzwischen hat die Staatsanwältin den Fußballmäzen seines Heimatklubs SV Straelen zusammen mit vier weiteren mutmaßlichen Komplizen angeklagt. Demnach sollen Spieler und Trainer des Regionalligisten bis 2020 über Schattenverträge schwarz entlohnt worden sein.

Laut Anklage soll Bauunternehmer Tecklenburg Beiträge an die Sozialversicherung und die Berufsgenossenschaft nicht abgeführt haben. Die Schadenssumme bezifferte die Staatsanwaltschaft auf gut 860.000 Euro. Der Schwindel soll den Ermittlungen zufolge über Tecklenburg-Firmen gelaufen sein. Einer der Mitangeklagten soll demnach zum Monatsanfang Schwarzgeld in Briefumschlägen verteilt haben. Insider sprachen vom „Lohntütenball“.

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Die Beteiligten wollen sich nicht äußern

Über Minijobs in Höhe von 450 Euro sollen Verwandte für Spieler weitere Zuwendungen kassiert haben. Auch soll Sponsor Tecklenburg Leistungsträgern kostenlos Wohnungen und Tankkarten zur Verfügung gestellt haben. Ferner sollen Mitglieder des 1. Herrenteams Übungsleiterpauschalen abgerechnet haben, die nie geleistet wurden.

Laut dem Sprecher der Staatsanwaltschaft Kleve, Johannes Hoppmann, listet das Mammutverfahren insgesamt rund 200 Beschuldigte auf. Das Gros steht im Verdacht der Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt. So etwa auch die ehemalige deutsche Nationalspielerin Inka Grings, die als erste Frauentrainerin in der Saison 2019/2020 die Herrenmannschaft des SV Straelen gecoacht hatte. Kürzlich wurde ihr Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt.

Inka Grings, Trainerin des SV Straelen, klatscht nach dem Spiel mit ihrem Team ab.

Die ehemalige deutsche Nationalstürmerin im Jahr 2019 in ihrer Zeit als Trainerin des Viertligisten SV Straelen.

Nach Bekanntwerden der Ermittlungen trat Grings Mitte November nach einjähriger Amtszeit vom Posten der Schweizer Nationaltrainerin zurück. In einer Stellungnahme betonte die einstige Ausnahmestürmerin der deutschen Nationalmannschaft kurz danach ihre Unschuld im Tecklenburg-Verfahren: „Alle Zahlungen, die ich erhalten habe, habe ich stets ordnungsgemäß in meinen Steuererklärungen angegeben.“

Ex-Stürmerin Grings weist Vorwürfe zurück

Ihr werde „vorgeworfen, zu niedrige Sozialabgaben gezahlt zu haben“, führt Grings aus: „Sozialversicherungsbeiträge werden bekanntlich direkt vom Arbeitgeber mit der Lohnabrechnung abgeführt. Die Angaben, welche Abgaben abzuführen waren aufgrund meines Arbeitsverhältnisses, habe nicht ich gemacht, sondern wie in jedem Unternehmen die Geschäftsführung oder der Steuerberater. Als Trainerin war ich lediglich eine ganz normale Angestellte des Vereins. Der Vorwurf der Beihilfe zum Vorenthalten von Arbeitsentgelt trifft nicht zu.“ Ihre Anwälte weisen darauf hin, dass für ihre Mandantin die Unschuldsvermutung gilt.

Die Nachricht über die Anklage gegen den Bauunternehmer Tecklenburg schlug im deutschen Amateurfußball ein wie eine Bombe. Geht es nach dem Deutschen Fußballbund (DFB), müssen die Vereine ihre Spieler offiziell bei der Krankenkasse und der Berufsgenossenschaft anmelden, wenn sie ihnen mehr als 450 Euro monatlich bezahlen. Regeln, die allzu häufig durch die Vereinsbosse in der vierten oder fünften Liga umgangen werden.

So trat ein Mittelfeldspieler beim Klub des angeklagten Bauunternehmers Tecklenburg offiziell für gut 500 Euro je Monat gegen den Ball. Tatsächlich aber strich er den Ermittlungen zufolge bis zu 6500 Euro ein. Kein Einzelfall: Vergangenen Mai durchsuchten Zollfahnder die Räume des bayerischen Regionalligisten TSV Aubstadt. Auch hier sollen Spieler schwarz entlohnt worden sein.

Wer mehr zahlt, für den gehen diese Fußballer auf Torjagd. Mit dem Verein haben diese Leute oft nichts am Hut.
Tim Frohwein, Soziologe und Journalist

2014 gerieten die Macher des 1. FC Kleve ins Blickfeld der Justiz. Mit der Schwarzgeldmasche schlug ein Steuerschaden von einer halben Million Euro zu Buche. Das System hatte Ähnlichkeit mit jenem im Nachbarverein SV Straelen Jahre später. Seinerzeit wurde das Verfahren gegen die Klever gegen die Zahlung einer Geldauflage eingestellt.

Anfang 2022 zeigte eine Umfrage zu Finanzstrukturen im deutschen Amateurfußball erstmals ein enormes Ausmaß eines Schwarzgeld-Systems bis in die Kreisligen hinab. Die ARD und das Recherchenetzwerk „Correctiv“ hatten 8.000 Fußballerinnen und Fußballer um eine Antwort gebeten. Das Ergebnis ließ den Schluss zu, dass unterhalb der Profi-Etagen Jahr für Jahr mehr als eine Milliarde Euro gezahlt wird – die Hälfte offenbar am Fiskus vorbei.

Der Münchner Soziologe und Journalist Tim Frohwein, der an der Studie mitgearbeitet hat, spricht von einer nicht immer steuerrechtlich gesetzeskonformen „Bezahlkultur“. Obwohl die Online-Befragung nicht repräsentativ sei, offenbare das Ergebnis dennoch, dass selbst Kicker in der ersten Kreisklasse noch abkassieren.

In vielen Amateurligen herrsche mitunter eine Art „Söldnermentalität“. Da gebe es genug Ex-Profis, „die ihre letzten Jahre durch die unteren Spielklassen tingeln“, so Frohwein. „Wer mehr zahlt, für den gehen diese Fußballer auf Torjagd. Mit dem Verein haben diese Leute oft nichts am Hut.“ Inzwischen habe man sich in der ersten und zweiten Bundesliga daran gewöhnt, dass manche Spieler Jahr für Jahr den Klub wechseln, führt der Experte aus. Im Amateurbereich sei es gerade in den ländlichen Regionen noch anders. „Da macht das Geld viel kaputt“.

Reiche Gönner pumpen Vereine auf

Der Kölner Sportökonom Professor Christoph Breuer kennt das Problem zur Genüge. Nach seinen Angaben pumpen reiche Gönner häufig genug einen Fußballverein finanziell so auf, als handele es sich um ihr persönliches Spielzeug. „Mitunter werden auch noch in der fünften Liga an Spitzenspieler bis zu sechsstellige Summen pro Jahr gezahlt“, sagt der Dozent der Kölner Sporthochschule. Diese Schwarzgeld-Honorare führten zu einer Wettbewerbsverzerrung. „Schließlich gibt es auch viele Vereine, die sauber wirtschaften und solche Tarife nicht aufrufen können.“

Christoph Breuer, Professor der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS), ist im Porträt zu sehen. Er trägt einen schwarzen Anzug und dunkle Krawatte.

Der Kölner Sportökonom Professor Christoph Breuer nennt Schwarzgeld-Honorare Wettbewerbsverzerrung.

Fußballmäzen Tecklenburg soll der Anklage zufolge dem Spielglück beim SV Straelen mit höchst unlauteren Mitteln nachgeholfen haben. Nur durch einen aufmerksamen Prüfer aus einem Jobcenter führte die Spur hin zu dem allmächtigen Vereinsfinanzier. Ein Mittelfeldmotor des SV Straelen kassierte im Herbst 2018 staatliche Stütze, weil er im Verein angeblich bloß 200 Euro monatlich erhielt.

Der Sachbearbeiter zweifelte die Angaben an. Immerhin hatte der Spieler im Iran in der zweithöchsten Spielklasse gekickt. Nach weiteren Nachforschungen durch den Zoll erfolgte die Razzia am 3. September 2020. Bei der Auswertung von Handys der Tatverdächtigen fanden sich äußerst kompromittierende Chatverläufe. So tauschten sich zwei Vertraute des Firmenchefs Tecklenburg über die Schattenverträge aus. Besser wäre es, bekundete ein Gesprächsteilnehmer, wenn der Fiskus davon nichts erfahren würde.

Auf die Anfragen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ wollten sich weder Tecklenburg noch sein Anwalt zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft äußern.

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