Bayer-04-InterviewSimon Rolfes ruft die Werkself zur Attacke auf

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Simon Rolfes

  • Geschäftsführer Simon Rolfes spricht im Exklusivinterview mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger" über die Krise des Werksklubs.
  • Nach zehn Spieltagen liegt Bayer 04 Leverkusen auf Platz 16 der Bundesliga. Mit Xabi Alonso soll alles besser werden.
  • Die Klubführung will Anschluss an das Mittelfeld und dann alle Klubs an der Spitze angreifen.

Leverkusen – Herr Rolfes, erklären Sie uns doch bitte einmal, warum Bayer 04 Leverkusen Ihrer Meinung nach den Umschwung unter Trainer Xabi Alonso schafft.

SIMON ROLFES: Es ist keine Frage, dass Xabi Alonso die nötigen Fähigkeiten als Trainer mitbringt, und ich weiß genau so wie er, was für erfolgreichen Fußball gefordert ist: Disziplin, Professionalität, die Intensität, mit der man trainieren und spielen muss. Und vor allem die Basics, die grundlegenden Dinge. All das gehört dazu, um erfolgreich zu sein. Das hat Xabi 20 Jahre lang als Spieler und auch in seiner Zeit als Trainer vorgelebt. Man hat in dieser Trainingswoche schon gemerkt, dass es uns guttut, dass wir an diesen Sachen arbeiten können. Da müssen wir einiges neu aufbauen.

Den Spieler Xabi Alonso kennen viele, den Trainer Xabi Alonso nach drei Jahren San Sebastian B die wenigsten. Welche Informationen hatten Sie über den Trainer Xabi Alonso, bevor Sie ihn verpflichtet haben? Natürlich kennen wir seine besondere Persönlichkeit, die Führungsstärke, die ihn schon als Spieler außergewöhnlich machte und die ihn heute eben auch als Trainer auszeichnet. Wir wussten auch, dass er sehr klare Ideen und Vorstellungen davon hat, wie seine Mannschaft Fußball spielen soll. Und dann hat ihn geprägt, dass er in drei verschiedenen Ländern Fußball gespielt hat: Spanien, England und Deutschland, er kennt nicht nur die spielerische Seite des Fußballs, sondern auch Aggressivität und harte Arbeit. Und das hat man bei seinen Mannschaften, die er trainiert hat, klar erkennen können.

Xabi Alonso hat erklärt, er habe von Großen wie Carlo Ancelotti, Pep Guardiola, Rafael Benitez und Jose Mourinho gelernt, dass einem guten Trainer die Spieler folgen. Wie versucht er, das in Leverkusen zu erreichen? Natürlich durch viele Gespräche, aber auch durch die tägliche Arbeit im Training. In seinen ersten Tagen hier war ja nur ganz wenig Zeit für richtiges Training. Wenn dieses Gemeinschaftserlebnis aber dann da ist, wächst auch das Vertrauen zueinander. In dieser Woche gab es zum ersten Mal die Gelegenheit dazu, sich zusammen Dinge zu erarbeiten. Und das stärkt eine Beziehung.

Was ist in Frankfurt passiert, als die Mannschaft praktisch in ihre Einzelteile auseinanderbrach? Wir hatten zu wenig Zugriff und zu wenig Intensität im Spiel. Es haben die grundlegenden Dinge gefehlt: Laufen, Zweikämpfe, Aggressivität. Meine Überzeugung ist, dass Sicherheit und Stabilität nur über die Arbeit zurückkommen. Arbeit auf dem Platz im täglichen Training, Arbeit im Spiel.

Was sind die Ursachen dafür, dass die Unterschiedsspieler wie Patrik Schick aktuell so große Probleme haben? Sind sie so schlecht wegen der Ergebnisse oder sind die Ergebnisse so schlecht wegen ihnen? Ich denke, es ist komplex, das bedingt sich. Da besteht eine Wechselwirkung. Es sind am Ende aber nicht drei, vier Spieler, die für den Erfolg verantwortlich sind, sondern alle.

Was erwarten Sie von Bayer 04 in den letzten sieben Spielen dieses Jahres? Unser großes Ziel bis zur WM-Pause ist, einen Mittelfeldplatz zu erobern. Wir haben dafür in der Liga noch fünf Spiele. Die Gegner sind nicht einfach, die Zeit ist kurz, aber das ist das kurzfristige Ziel. Dann werden wir eine lange Pause haben, eine Art Sommerpause im Winter. Darin liegt für uns eine Chance. Wir werden tief Luft holen und diese Zeit intensiv nutzen. Und dann werden wir von der Ausgangsposition, die wir haben, alles attackieren, was vor uns ist. Spiel für Spiel, Woche für Woche.

Ist der oft gerühmte Kader von Bayer 04 Leverkusen überhaupt stark genug, um nach diesem Fehlstart mehr als die halbe Liga zu überholen? Gemessen an den Spielen zuletzt muss man Zweifel daran hegen. Wenn man zum Beispiel nur das Spiel gegen Frankfurt heranzieht, dann stimmt das vielleicht. Aber wir arbeiten daran, dass dieser Eindruck so nicht stehenbleibt. Das war auch ein Ziel dieser Trainingswoche, wieder Geschlossenheit herzustellen. Die Qualität grundsätzlich stelle ich natürlich nicht infrage. Die ist gut. Die aktuelle Performance der Spieler ist es nicht. Die Frage lautet deshalb für mich: Warum sind sie nicht in der Lage, ihr Potenzial abzurufen? Warum sind sie nicht in Form? Dass diese Spieler viel besser spielen können, haben sie ja über längere Zeiträume bewiesen. Daran müssen wir arbeiten, dass wir diese Lücke wieder schließen. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Das ist ein Weg.

"Wir bleiben weiterhin attraktiv für Top-Spieler"

Ganz offensichtlich ist der Transfer-Sommer nicht ganz wie gewünscht verlaufen. Adam Hlozek und Callum Hudson Odoi waren die einzigen Verpflichtungen, dafür sind Spieler, von denen man sich trennen wollte wie Paulinho und Nadiem Amiri, noch im Kader. Liegt darin nicht die Ursache dafür, dass dringend benötigte Optionen fehlen? Die Spieler Nummer eins bis 16 der letzten Saison, also qualitativ, die haben wir behalten. Das war unser Ziel. Und es war auch nicht so einfach. Dann gab es Themen, bei denen wir bereit gewesen wären, etwas zu machen. Sprich: Den einen oder anderen abzugeben, aber die Spieler wollten bleiben. Sie haben einen Vertrag. Gut – aber deshalb sind sie jetzt auch gefordert, hier richtig Gas zu geben. Und alles reinzuhauen. Für Konkurrenzkampf zu sorgen.

Die Stärke und Attraktivität von Bayer lag auch in der verlässlichen internationalen Perspektive. Talentierte Profis wussten, dass der Klub regelmäßig im Europapokal und der Champions League spielt. Besteht in dieser Saison nicht die Gefahr, dass dieses Modell ernsthaft beschädigt wird, wenn alle Ziele verfehlt werden? Das glaube ich nicht. Wir werden weiterhin attraktiv für Spieler bleiben, auch wenn wir einmal eine schlechte Saison haben sollten. Das würde unseren grundsätzlichen Anspruch und unsere Attraktivität für jüngere Top-Talente und für gestandene Spieler nicht ändern.

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Xabi Alonso auf dem Trainingsplatz

Allerdings würde es in ihrem Kader für Unruhe sorgen, wenn sie Ihren Top-Spielern wie Schick, Diaby, Wirtz und Frimpong kommende Saison keinen Europapokal anbieten könnten. Da würden laufende Verträge vor Abwanderungsgedanken nicht schützen. Es ist ja noch nicht entschieden, in welchen Wettbewerben wir spielen. Natürlich kann es in einem Jahr ohne Europapokal schon einmal situationsbedingt zu Anpassungen kommen, da benötigt man schließlich auch eine andere Kadergröße. Aber das ändert nichts an der grundsätzlichen Attraktivität von Bayer 04 Leverkusen. Ich bin überzeugt, dass sie nicht leiden würde. 

Seit Saisonbeginn ist noch deutlicher geworden, was Florian Wirtz mit 19 Jahren für Ihren Klub bedeutet. Er fehlt nach seinem Kreuzbandriss im März an allen Ecken und Enden. Werden wir ihn dieses Jahr noch bei Spielen auf dem Platz sehen? Der Einstieg ins Teamtraining steht ja kurz bevor. Das kann man noch nicht sagen, es hängt davon ab, wie er das Teamtraining verkraftet. Für die Mannschaft ist es jedenfalls ein wichtiges Zeichen, wenn Florian wieder mit ihr trainieren kann. Wir sind uns einig darin, dass die Entwicklung nicht an einem einzigen Spieler liegen kann. Allerdings ist es eine Tatsache, dass er nicht nur durch seine individuelle Qualität herausragend ist, sondern eben auch Mitspieler besser macht, auch mit seinem Biss und seiner Entschlossenheit, einen Zweikampf zu gewinnen, einen finalen Pass zu spielen oder ein Tor zu erzielen. Diese Qualitäten werden uns nach vorne bringen. Aber den Florian Wirtz im Vollbesitz seiner Kräfte werden wir auf jeden Fall erst nach der WM-Pause sehen können.

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Wie gehen Sie persönlich als Geschäftsführer mit dieser ersten ganz großen Krise um, seitdem Sie im Management von Bayer 04 arbeiten. Es steht viel auf dem Spiel und Sie sind einer der Hauptverantwortlichen. Schläft es sich da schlechter? Es ist klar, dass mich die Saison nach zehn Spieltagen enttäuscht. Dass ich auch schon mal besser geschlafen habe, ist auch keine Frage. Aber ich bin jetzt auch schon seit über 20 Jahren im Profifußball und kann eines beurteilen: Die Mechanismen, die dich in eine Krise führen, ähneln sich immer sehr. Und die Mechanismen, mit denen du aus einer Krise herauskommst, ähneln sich auch. Die Aufgaben, die sich uns als Klub stellen und die sich jedem einzelnen Spieler stellen, sind relativ klar, auch wenn sie nicht immer einfach zu bewältigen sind. Sie haben viel mit Arbeit, Fleiß und Konzentration auf den nächsten Schritt zu tun. Und dann auf den nächsten. Einen nach dem anderen. Nur so kommt man da raus.

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