Bayer-Star im InterviewDemirbay fordert Führungsrolle und kritisiert Ex-Trainer Bosz

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Kerem Demirbay

Herr Demirbay, Sie treffen in der Vorbereitung auf den neuen Trainer Gerardo Seoane mit seinen Assistenten. Der Kader verändert sich, die Veränderung ist noch nicht abgeschlossen. Der Fußball in Leverkusen soll sich verändern. Wie nehmen Sie das wahr? Über einen Trainer zu reden, zumal wenn er erst eine so kurze Zeit hier ist – das mag ich grundsätzlich nicht so sehr. Aber was mir sehr gut gefällt beim neuen Trainer, das sind Kleinigkeiten, die im Fußball enorm wichtig sind. Ich sehe, dass Spieler, die sich in den letzten Jahren vielleicht nicht so wichtig gefühlt haben, im Training und auf dem Platz jetzt ein bisschen aufblühen. Der Trainer schenkt jedem Vertrauen. Das ist die Basis von allem. Er hat einige der Jungs im Urlaub angerufen, mich auch. Das schafft ein gutes Gefühl, man spürt eine Wertschätzung. Und wenn ein Trainer solch ein Vertrauen schenkt, arbeiten die meisten Menschen anders. Es mag Spieler geben, die sagen: ,Ob der Trainer mir vertraut, ist mir egal, ich mach mein Ding.“ Aber ich glaube nicht, dass ein Spieler hier bei Bayer 04 so ist.

Gerardo Seoane hat gesagt, er habe Unzufriedenheit in der Mannschaft gespürt, und diese Unzufriedenheit habe ihm gefallen. Waren Sie auch unzufrieden? Ich habe nicht so viel gespielt, wie ich es mir vorgestellt hatte. Im Durchschnitt waren das um die 60 Minuten. Ich war gefühlt immer einer der Ersten, die ausgewechselt worden sind. Ich will darauf gar nicht tiefer reingehen, aber selbstverständlich war ich damit nicht zufrieden. Natürlich auch deshalb nicht, weil wir mit der Mannschaft unsere Ziele nicht erreicht haben. Bayer Leverkusen gehört in die Champions League, darum müssen wir nicht herumreden. Jeder Spieler muss sich fragen, ob er wirklich alles dafür getan hat. Da müssen wir alle ansetzen. Jeder einzelne.

Sie sind 2019 für 32 Millionen Euro aus Hoffenheim gekommen und seitdem der Rekord-Transfer von Bayer 04. Der Klub hat gezeigt, was er von Ihnen erwartet. Denken Sie, dass Sie dieser Erwartung bislang gerecht geworden sind? Eigentlich will ich nicht zu weit zurückblicken. Aber wenn ich auf die letzten zwei Jahre schaue, muss ich sagen: Ich hatte mit Peter Bosz einen für mich persönlich schwierigen Trainer.

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Schwierig in welcher Hinsicht? Hat er Dinge verlangt, die nicht erfüllbar waren?

Ich will hier nicht in die Details gehen, ich wünsche Peter Bosz und seinem Team wirklich alles Gute. Wir können jetzt immer wieder sagen, dass ich der teuerste Transfer der Vereinsgeschichte bin. Ja, das bin ich. Und darauf bin ich auch stolz. Aber der Verein hat sich ja schon etwas dabei gedacht, das zu machen. Und wenn man die letzte Saison nimmt, nur die Bundesliga, habe ich 14 Scorer-Punkte erzielt, also kann ich auch nicht so eine schlechte Saison gehabt haben. Aber ich habe gefühlt nur 60 Minuten im Schnitt gespielt, und natürlich deckt sich das nicht mit meinen eigenen Ansprüchen. Es gab genügend Spiele, in denen ich vermutlich nicht so schlecht war, wie der Trainer es vielleicht meinte. Aber da bin ich schon zu tief in den Details. Ich habe mir Ziele gesetzt für diese Saison. Und wenn ich sie erreiche, werden wir als Mannschaft besser abschneiden.

Sind die hohen Champions-League-Ziele, die Sie und der Klub haben, mit dem aktuellen Kader realistisch? Es können zwei absolute Top-Spieler zu uns kommen, die uns aber nicht weiterhelfen, wenn es dann nicht passt. Viel wichtiger ist es, eine Mentalität zu entwickeln, in der es nur ums Gewinnen geht. Nur ums Gewinnen. Und das haben wir in den zwei Spielzeiten, die ich hier bin, nicht hinbekommen. Es gab keine Selbstverständlichkeit, dass man sich mit einem 1:0 auch einmal tief hinten reinstellen kann, um das Spiel zu gewinnen. Man muss nicht 29 Tore schießen. Man muss gewinnen. Wenn sich das alle vor Augen halten, ist es egal, was noch auf dem Transfermarkt passiert. Der Kader Stand jetzt ist sehr, sehr gut.

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Sehen Sie sich als Führungsspieler?

Zu hundert Prozent. Ein Führungsspieler muss in vielen Belangen vorneweg gehen. Er muss respektvoll sein, auch in der Kritik, und er muss sich immer einbringen, unabhängig davon, ob er Kapitän ist oder nicht. Er muss in schwierigen Situationen eine positive Ausstrahlung haben. Führungsspieler kann auch der jüngste Spieler sein, wenn er vorneweg geht und die entsprechende Klasse hat. Er muss Dinge ehrlich ansprechen, auch bei Kleinigkeiten. Ich sehe mich als Führungsspieler, ich will eine Führungsrolle haben, und ich glaube, dass ich in der Mannschaft sehr gut akzeptiert bin.

An solch einem Anspruch muss man sich dann aber messen lassen und entsprechende Kritik aushalten, wenn Anspruch und Wirklichkeit nicht übereinstimmen. Der kritischste Mensch mir gegenüber bin ich selbst. Da kann von außen so viel auf mich einprasseln, wie es will. Glauben Sie mir, ich hinterfrage mich oft und regelmäßig. Was von außen kommt, gehört zum Fußball dazu. Meine Ziele sind klar definiert: Ich will vorneweg gehen. Ich will Spiele gewinnen. Ich will erfolgreich sein. Ist man erfolgreich, gewinnt man Spiele, dann ist man glücklicher.

Dann stehen Sie mit Bayer 04 Leverkusen vor einer großen Entwicklung, denn der Klub war bisher nicht das Synonym für eine Erfolgskultur, die man in Titeln messen kann. Für mich muss es selbstverständlich werden, nur ans Gewinnen zu denken. Du gehst raus und denkst nur ans Gewinnen, aber du denkst nicht nur daran, sondern du tust wirklich alles dafür. Wenn wir ein Top-Verein sein wollen, wenn wir eine Top-Mannschaft sein wollen, wenn wir uns definieren, ein geiler Verein zu sein, dann müssen wir das Erreichen der Champions League als Pflicht ansehen und alles aus unserem Körper herausholen, um das zu erreichen. Dass die Klubführung dieses Ziel jetzt so klar benennt, das finde ich top. Das ist unser Ziel. Da darf es kein Fragezeichen geben.

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