LeverkusenDie Anklage von Trainer Bosz ist auch eine Selbstanklage

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Frankfurt jubelt, die Leverkusener wie hier Julian Baumgartlinger haben keinen Grund dazu.

Leverkusen – In der Formulierung von Enttäuschung über die eigene Leistung sind die Profis von Bayer 04 Leverkusen außergewöhnlich gut. „Wir waren gefühlt tot. Es war keine Spannung drin“, sagte Nadiem Amiri nach der 1:2-Niederlage bei Eintracht Frankfurt. „Wir haben den letzten Schritt vermissen lassen“, erklärte sein Kollege Julian Baumgartlinger. Für eine Organisation, die nach Jahrzehnten der Titellosigkeit von Meisterschaften und Pokalen träumt, sind das niederschmetternde Aussagen.

Trainer Peter Bosz übertraf sie aber mit Leichtigkeit, als er Stunden nach der Niederlage im „Aktuellen Sportstudio“ des ZDF erklärte: „„Am Ende der Saison wird Bayern wieder die beste Mannschaft sein. Eine Topmannschaft verliert nicht zweimal hintereinander. Wie wir gespielt und verteidigt haben, alles war schlecht. Ich habe die Siegermentalität nicht gesehen. Wir haben nicht wirklich auf dem Platz gestanden.“

Peter Bosz ist sich als intelligenter Mensch im Klaren darüber, im Gegensatz zu manchem seiner Kollegen, dass jeder Vorwurf an die Mannschaft auch ein Vorwurf an ihren Chef-Trainer ist, in dessen zentralen Verantwortungsbereich es fällt, sie mit der richtigen Einstellung auf den Platz zu schicken. An Warnungen hatte es nicht gefehlt, denn jeder in der Bundesliga weiß, dass Eintracht Frankfurt eine Mannschaft mit vorbildlicher Arbeitsmoral ist, die nur auf der Basis einer solchen Arbeitsmoral bezwungen werden kann. Aber Worte sind das eine. Die Taten etwas anderes.

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Was hätte in der Vorstellung der Bayer-Profis von der Leichtigkeit des Lebens schon schiefgehen können in einem Spiel, das man mit einem Traum-Tor begonnen hatte? Florian Wirtz hatte in der zehnten Minute mit einem traumhaften Pass in den Strafraum ein Kunstwerk begonnen, das Nadiem Amiri mit einem Hackenschuss durch die Beine des Torhüters Kevin Trapp vollendete. Es war das früheste Tor, das seit Bestehen der Bundesliga in einem Kalenderjahr erzielt wurde. Es wäre allerdings auch eines der schönsten gewesen, wenn die Saison schon immer am 2. Januar weitergegangen wäre.

Bayer 04 war nach zehn Minuten des 14. Spieltages virtuell wieder Spitzenreiter und schien auf dem besten Weg, die unglückliche 1:2-Niederlage gegen die Bayern vom 19. Dezember vergessen zu machen. Allerdings irritierten sehr früh im Spiel die Räume, die Frankfurt vorfand, um durchs Leverkusener Mittelfeld zu spazieren. Der Ausgleich in der 22. Minute fiel gegen eine stehende Bayer-Abwehr. Sow kam im Mittelkreis wundersam unbedrängt an den Ball, konnte in aller Ruhe in die Schnittstelle spielen, wo Amin Younes Amiri und Dragovic entwischte und alleine vor Hradecky einschoss.

Der Hauptdarsteller in der Entstehung des 1:2 war in der 54. Minute Mitchell Weiser, der einen Seitenwechsel ganz falsch einschätzte, am Ball vorbei sprang und Kamada den Weg in den Strafraum freimachte. Da kam er dann natürlich auch zu spät, der Japaner knallte den Ball in den Fünfmeter-Raum, wo Edmond Tapsoba die Wahl hatte: Eigentor oder den Frankfurter hinter ihm einschießen lassen. Er wählte das Eigentor.

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Bayer-Trainer Peter Bosz in Frankfurt

Es wäre möglich, aber falsch, die Vielzahl der wegen Verletzungen und Corona-Infektionen fehlenden Spieler für den Mangel an Ordnung und Stabilität verantwortlich zu machen. Gegenüber der langen Zeit imponierenden Leistung gegen die Bayern zwei Wochen zuvor war die Startaufstellung nur auf einer Position (Weiser für Sinkgraven) verändert worden. Peter Bosz erwähnte den Personalmangel – es fehlten inklusive der Bender-Zwillinge sieben wichtige Spieler – deshalb zurecht nicht. Was der Rest unternahm, um die Niederlage zu vermeiden, war von einem Aufbäumen so weit entfernt wie ein Kaffeekränzchen von einer Wirtshausschlägerei. Ein Dreifach-Wechsel in der 67. Minute änderte nicht das Geringste an der Bereitschaft zur Niederlage.

Genau dieses Gesicht ihrer Mannschaft will die Klubführung von Bayer 04 nicht mehr sehen. Geschäftsführer Fernando Carro hatte vergangene Woche im Interview mit dieser Zeitung erklärt, dass er nicht aufhören werde, der Beste sein zu wollen, auch wenn es unrealistisch erscheine und Druck von außen für leistungsfördernd erklärt.

Trainer Peter Bosz äußerte die Hoffnung, er habe alles Schlechte seiner Mannschaft „in diesem einen Spiel für die ganze Saison“ erlebt und wagte schon einmal ein großes Versprechen: „Nächste Woche sind wir wieder da.“ Der Gegner laut Spielplan heißt Werder Bremen. Der wahre Gegner trägt die Trikots von Bayer 04.  

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