Darts-WMSelbst Weltmeister Peter Wright leidet mit dem Verlierer Michael Smith

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Michael Smith wird von Weltmeister Peter Wright beklatscht

London/Köln – Der Mann mit dem Kampfnamen „Bully Boy“, auf Deutsch mit „Raufbold“ eher harmlos übersetzt, stand auf der größten Bühne des Darts und vergoss Tränen. Michael Smith aus St. Helens zwischen Manchester und Liverpool wusste nicht, wohin mit seinem Unglück. Und der Mann, der ihm diese Qualen zugefügt hatte, war sich im klaren über den Schmerz des Besiegten.

Peter Wright hatte ein Jahrzehnt lang auch alle großen Endspiele verloren, ehe ihm 2020 mit dem WM-Triumph über den zuvor unbezwingbaren Michael van Gerwen die Befreiung gelang. Und so stand er im Jahr 2022, nach seinem zweiten WM-Titel, neben dem untröstlichen Michael Smith und sagte: „Junge, deine Zeit wird kommen. Wenn du erstmal einen großen Titel gewinnst, dann wirst du uns alle an die Wand spielen.“ Und die 3000 Zuschauer im Alexandra Palace sangen lautstark den Namen des Verlierers.

Michael Smith hat bereits ein WM-Finale verloren

Michael Smith ist erst 31 Jahre alt, 20 Jahre jünger als Peter Wright, aber die Liste seiner Niederlagen in großen Endspielen ist lang wie die eines Veteranen. Er hatte schon vor dem spektakulären Duell mit Peter Wright ein WM-Finale verloren (2019 gegen Michael van Gerwen), er hat das Endspiel der Premier League verloren (2019), er hat das Finale des World Matchplay verloren (2019), er hat das Masters-Turnier verloren (2020). Er hatte einfach genug vom Verlieren und beschloss, dass diese kontroverse Weltmeisterschaft inmitten der englischen Omikron-Welle mit den Positivfällen großer Stars (u.a. Michael van Gerwen, Raymond van Barnefeld) seine WM werden sollte.

Aber in diesem Endspiel zeigte Darts wieder seine Grausamkeit gegenüber den Talentierten, die die entscheidende Lektion des Lebens noch nicht gelernt haben: Über Siege wird in Krisen entschieden. Und es gewinnt der, der mit diesen Krisen besser umgehen kann.

Peter Wright (51) ist ein Mensch, dessen Leben praktisch nur aus dieser einen großen Lektion bestand. Sein von Ehefrau Joanne jeden Abend neu gestalteter Kopfschmuck, seine knallbunten Outfits, seine Tanzeinlage beim Einmarsch auf die Bühne und sein Kampfname „Snakebite“ (Schlangenbiss) täuschen nur Nichteingeweihte darüber hinweg, dass hinter und unter all dem ein sensibler, bescheidener und demütiger Mann steckt. Er hatte das Spiel mit den Pfeilen schon aufgegeben, bevor es ihn im fortgeschrittenen Alter zum Sieger und Millionär machte.

Der "Bully Boy" sieht beim Spiel wie ein desinteressierter Amateur aus

Viel war erwartet worden vom Finale dieser WM, die zuvor mit fantastischen Punktzahlen fasziniert hatte. Doch das Endspiel kam nicht in Schwung. „Es war der Luftzug und Windzirkulationen auf der Bühne, die Pfeile flogen in alle Richtungen. Ich habe versucht, ruhig zu bleiben und das zu akzeptieren.“ Der Routinier akzeptierte die Krise und lag schnell mit 2:0 in Führung, ehe Smith Zugang zu seinem Darts-Genie fand. Niemand wirft die Pfeile schneller und natürlicher in die winzigen Triple-Felder als der "Bully Boy", der Darts wie ein Kinderspiel aussehen lässt, wenn er trifft  und wie ein desinteressierter Amateur aussieht, wenn er nicht trifft.

Beim Stand von 5:4 Sätzen trennten Smith nur wenige Pfeile von der Vorentscheidung, dann versagten ihm wieder die Nerven. Wright blieb ruhig, landete einen Treffer nach dem anderen und machte die Tragödie seines Gegners mit dem 7:5-Erfolg perfekt.

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Die Tränen des Gescheiterten hatten weniger damit zu tun, dass er gerade 300.000 Pfund verloren hatte. So groß ist in diesem brutalen Spiel der Unterschied zwischen Sieger (500 000 Pfund) und Verlierer (200 000 Pfund) im WM-Finale. Es war das Gefühl des ewigen Verlierers, das den begnadeten Werfer aus dem Nordwesten Englands so lange begleiten wird, bis ihm, wie von seinem Besieger prophezeit, der Triumph gelingen wird.

Die deutschen Protagonisten konnten nach ihrem Ausscheiden zuhause in der Quarantäne verfolgen, was sie noch von der Weltklasse mit ihrer Flut von 180er-Würfen und hohen Checkouts trennt. Immerhin hat sich Gabriel Clemens als 21. in der Weltrangliste so weit nach oben gearbeitet wie noch kein Deutscher zuvor. Und der Kölner Blitz-Aufsteiger Florian Hempel ist als 62. schon zweitbester Spieler des Darts-Entwicklungslandes Deutschland, dessen WM-Interesse so groß war wie nie zuvor. Bis zu zwei Millionen Zuschauer sahen die Tränen des traurigen Genies Michael Smith auf Sport1. Weitere Hunderttausende im Streamingdienst DAZN.

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