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Nagelsmann-Ausbilder Bernd Stöber„Die Spieler sind heute alle produziert“

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Bernd Stöber im Jahr 2007 als Trainer der deutschen U-15-Nationalmannschaft 

Köln – Am Samstag spielt der 1. FC Köln gegen RB Leipzig mit dem 33-jährigen Trainerphänomen Julian Nagelsmann, der einst im Alter von 28 Jahren die TSG Hoffenheim übernahm und damit der zweitjüngste Trainer wurde, der je in einem Bundesligaspiel verantwortlich an der Seitenlinie gestanden hatte. Richtig: der zweitjüngste. Jüngster Cheftrainer der Bundesliga-Geschichte wurde im Alter von 24 Jahren der gebürtige Kölner Bernd Stöber, als er am zehnten Spieltag der Saison 1976/77 den 1. FC Saarbrücken betreute – dem Anlass angemessen beim 1. FC Köln. Gegen die Stars um Wolfgang Overath, Hannes Löhr und Dieter Müller setzte es ein 1:5, „ein bisschen hoch, ein 1:3 hätte es auch getan“, sagt Stöber 44 Jahre später – mit einem Lächeln.

Herr Stöber, sie haben ihre Spielerkarriere mit nur 24 Jahren beendet. Wie kam es dazu?

Das war eine schwierige Entscheidung. Ich hatte es bis in die höchste Amateurklasse geschafft, aber es war klar, dass es als Spieler für mich nicht für den Profifußball reichen würde. Dann bekam ich das Angebot, als Assistenztrainer zum  1. FC Saarbrücken zu gehen. Parallel sollte ich dort die Leitung der Nachwuchsabteilung übernommen. Das war eine einmalige Chance.

Am 23. Oktober 1976 haben sie ihr einziges Bundesliga-Spiel als Trainer verantwortet. Sie sind interimsweise eingesprungen. Welche Erinnerungen haben sie an die Partie?

Ich weiß noch, dass ich in der Vorbereitung mit Kapitän Egon Schmitt alles besprochen habe. Aber an die 90 Minuten Spielzeit habe ich keine Erinnerungen. Ich war wahrscheinlich aufgeregter als meine Spieler.

Für Köln standen die großen Stars von Schumacher bis Overath auf dem Platz.

Ja, das volle Programm. Da zu verlieren, war keine Schande. Aber ein 1:5 hätte es dann doch nicht sein müssen.

Nach drei Jahren in Saarbrücken und sieben Jahren als Verbandstrainer in Hessen sind sie 1987 zum DFB.

Ich habe die Position von Holger Osieck übernommen, der Assistent von Franz Beckenbauer wurde. Ich war für die Trainerausbildung verantwortlich und Trainer der U15, U16 und U-17- Nationalmannschaft. In diesem Job war ich bis zum letzten Tag glücklich. Mit Franz Beckenbauer, Hannes Löhr oder Rainer Bonhof zusammenzuarbeiten – das war wunderbar.

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Was hat sie an der Aufgabe begeistert?

1988 war ich mit Hannes Löhr bei den Olympischen Spielen in Seoul, wir haben Bronze gewonnen. Die WM 1990 konnte ich als Teil des Sichtungsteams hautnah miterleben. Die Kombination, Trainer und gleichzeitig Trainerausbilder zu sein, das war spannend. Von Jens Nowotny über Sebastian Deisler, Toni Kroos, Mesut Özil bis  Mario Götze. All die Jungs habe ich schon als 15-, 16-Jährige erlebt.

Wie hat sich die Trainerausbildung verändert, wenn sie es mit ihren Anfängen vergleichen?

Fast alle Trainer in unseren Nachwuchsleistungszentren haben mittlerweile einen sportwissenschaftlichen Hintergrund. Ich habe aber auch gemerkt, dass immer mehr Menschen dort als Trainer  unterwegs sind, die den Fußball an sich gar nicht so erlebt haben. Die sind theoretisch unglaublich stark, aber sie haben nicht mehr das Gespür für den Fußball. Etwas übertrieben kann man sagen: Der Lebenslauf eines erfolgreichen Nachwuchstrainers sieht heute so aus, dass er mit 18 festgestellt hat, dass er als Spieler nichts erreichen kann. Und sich dann eben auf die Schiene Trainer konzentriert hat.

Und die Spieler?

Ich habe das Gefühl, wir haben heute viel mehr angelernte Fußballer als Naturtalente. Die Spieler sind alle produziert. Das kommt nicht von innen. Gleichzeitig reden alle davon, dass wir Spieler brauchen, die auf dem Platz  Entscheidungen treffen können, Verantwortung übernehmen. Aber wir lassen sie in einem System großwerden, wo sie nicht links und rechts schauen dürfen. Wir nehmen ihnen fast alles ab, wir geben unglaublich viel vor. Da kann ich nicht erwarten, dass sie auf dem Platz plötzlich etwas Überraschendes machen.

Zur Person

Bernd Stöber, geboren am 6. September 1952 in Köln, wuchs im Stadtteil Ehrenfeld auf. In der Jugend spielte er beim SC West, später für Mülheim Nord und den VfL Köln 1899. Stöber studierte an der Sporthochschule Köln. Gero Bisanz, damals Dozent und Leiter der Fußballlehrer-Ausbildung des DFB, schlug Stöber vor, den Trainerlehrgang zu machen und vermittelte ihn später als Assistenztrainer an den 1. FC Saarbrücken.

Am 18. Oktober 1976 wurde Slobodan Cendić beurlaubt, noch am selben Abend bestätigte der Verein die Verpflichtung von Rolf Schafstall. Doch Schafstall zog seine Zusage wieder zurück, sodass Stöber vorläufig das Training übernahm. Eine Woche später unterschrieb Manfred Krafft in Saarbrücken, Stöber blieb Assistenztrainer. Nach drei Jahren im Saarland und sieben Jahren als Verbandstrainer in Hessen kehrte er Ende der 80er ins Rheinland zurück und wurde Jugendtrainer beim DFB. Parallel verantwortete er an der Hennes-Weisweiler-Akademie die Trainerausbildung. Markus Gisdol und Julian Nagelsmann absolvierten unter ihm die Trainerprüfung. (eku)

Stellen Sie sich vor, die Nationalmannschaft von heute tritt gegen die Weltmeister der 90er an. Was würde passieren?

Ich glaube, der Ideenreichtum wäre bei der 90er-Mannschaft auf jeden Fall größer. Aber sie würden wegen der Laufleistung, der heutigen Dynamik, sehr wahrscheinlich untergehen. Das hat sich unglaublich verändert. Wenn man Bilder von früher sieht, da denkst man ja: Ist das ein Freundschaftsspiel?  Läuft das in Zeitlupe?

Ein Vereinstrainer muss heute sehr viele Dinge außerhalb des Sports unter einen Hut bringen. Steht der Fußball in der Trainerarbeit überhaupt noch im Vordergrund?

Ich glaube, dass das Fachwissen und das Vermitteln von technisch-taktischen Aspekten heute eine eher untergeordnete Rolle spielt. Weil sehr viele andere Punkte mitentscheidend sind, ob eine Mannschaft erfolgreich ist. Die Arbeit mit den Jugendlichen hat damals Spaß gemacht, weil sie auf dem Niveau noch viel lernen konnten. Und weil ich ihre Entwicklung, bis in die Nationalmannschaft, hautnah miterlebt habe. Mit den Bundestrainern – ich will nicht sagen Jogi Löw, aber denen davor – konnte man sich darüber austauschen.

Jogi Löw ruft nicht so oft an?

Nee. Den einschneidendsten   Wechsel, den ich beim DFB erlebt habe, war der zu Klinsmann und Löw. Bis zu diesem Zeitpunkt – egal ob mit Vogts, Ribbeck, Völler, Beckenbauer – hatte man immer das Gefühl, es war ein Team. Man war in alles involviert,  wurde gefragt. Es gab ein Gefühl der Zugehörigkeit. Das hat sich  stark verändert.

Wie sehen sie den Trend zu immer jüngeren Spielern in der Bundesliga?

Früher gab es diesen Hype nicht. Bis Mitte der 90er Jahre hatte ich mit Spielern zu tun, die mit 15 oder 16 Jahren bei Vereinen wie Quadrath-Ichendorf gespielt haben.  Da waren die Wege nicht so vorgezeichnet wie heute. Für mich hat Talent auch  mit Widerstandskraft zu tun. Heute wird den Spielern alles aus dem Weg geräumt. Ich glaube, dass ihnen das langfristig nicht gut tut.

Zeigt sich das auch an der Leistungsfähigkeit?

Mit 20 oder 21 Jahren hatten die Spieler früher nochmal eine Leistungsexplosion. Heute haben sie mit 17 oder 18 Jahren schon ihren Zenit erreicht. Ein Beispiel dafür ist Mario Götze. Er hat wahrscheinlich als 18-Jähriger besser gespielt als mit 24. Durch die Schulkooperationen heute trainieren die Junioren mehr als die Profifußballer.

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Julian Nagelsmann

2016 hat Julian Nagelsmann an der Hennes-Weisweiler-Akademie seine Trainerprüfung abgelegt. Sie waren einer der Prüfer.

Ich weiß noch, dass Alexander Rosen (Direktor Profifußball bei der TSG Hoffenheim, d. Red.) mich  anrief und sagte, man habe da einen U-17-Trainer, den er für ein riesengroßes Trainertalent halte. Dann ist Julian Nagelsmann zu uns in die Trainerausbildung gekommen. Es war vom ersten Augenblick an zu sehen, dass er ein besonderer Typ ist. Viele Nachwuchstrainer versuchen zu sagen, was der Ausbilder hören möchte. Das war bei ihm überhaupt nicht der Fall. Nagelsmann ist einfach ein riesiges Trainertalent.