Triumph vor einem JahrAls das Tennis-Doppel Krawietz/Mies Sportgeschichte schrieb

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Krawietz Mies

Der Moment des Triumphs: Andreas Mies (l.)  und Kevin Krawietz

Köln – Es ist der Ballwechsel ihres Lebens. Samstag, 8. Juni, 20.06 Uhr, Court Philippe Chatrier im Stade Roland Garros in Paris: Das Doppel Kevin Krawietz/Andreas Mies führt im Finale der French Open gegen die Franzosen Jeremy Chardy und Fabrice Martin 6:3 im Tiebreak des zweiten Satzes; den ersten Satz hatte das deutsche Duo 6:2 gewonnen. Krawietz schlägt auf und stürmt nach vorne. Fünf Mal überquert der Ball das Netz, ehe sich Martin verschätzt und seine Rückhand zu kurz gerät. Mies rückt vor, schlägt den Volley nicht lehrbuchgerecht, aber doch effektiv cross und unerreichbar für das französische Doppel ins Feld. Mies und Krawietz sinken beinahe synchron zu Boden, liegen sekundenlang regungslos auf der roten Asche und fallen sich anschließend in die Arme.

Zum ersten Mal in der sogenannten Open Era gewinnt ein deutsches Doppel ein Grand-Slam-Turnier. Erst einem deutschen Duo war der Triumph in Paris zuvor überhaupt erst geglückt. Gottfried von Cramm und Henner Henkel gewannen das Turnier 1937 – damals unter der Flagge des Deutschen Reiches. „Es ist Wahnsinn, es ist verrückt ohne Ende, es ist nicht in Worte zu fassen“, sagt Krawietz kurze Zeit später. Ihm wird bewusst: Zusammen mit seinem Partner ist ihm soeben etwas Sporthistorisches gelungen.

Als Außenseiter ins Turnier gestartet

Zwei Wochen und sechs Siege zuvor waren Krawietz und Mies nicht mehr als Randerscheinungen in der Tennis-Branche. Ungesetzt, ein Turniersieg auf der ATP-Tour, eine gemeinsame Grand-Slam-Teilnahme und überhaupt erst seit anderthalb Jahren Partner auf dem Tennisplatz – das deutsche Doppel gehört bei den French Open zu den klaren Außenseitern. Krawietz, damals 27 Jahre alt, aus Coburg stammend,  galt als ewiges Talent. Zwar gewann er 2009 im Alter von 17 Jahren zusammen mit Pierre-Hugues Herbert die Juniorenkonkurrenz in Wimbledon. Seine ersten nennenswerten Erfolge auf der Herren-Tour folgten aber erst knapp zehn Jahre später.

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Mies, damals 28, gebürtiger Kölner und aktiv in der Tennis-Bundesliga beim KTHC Stadion Rot-Weiss, erlebte sein Debüt auf der ATP-Tour an der Seite von Krawietz im Jahr 2018. Während Krawietz als ausgeglichen gilt und selbst in Situationen höchster Anspannung entspannt wirkt, ist Mies der emotionalere Typ, der bisweilen auch mit hochkochendem Temperament zu kämpfen hat. In jenen zwei Wochen von Paris sind sie das perfekte Duo.

„Das Größte, was überhaupt geht im Tennis“

„Es war ein Titel für die Ewigkeit“, sagt Mies heute und gerät ins Schwärmen: „Es ist so brutal und unglaublich. Das ist das Größte, was überhaupt geht im Tennis.“ Für Krawietz ist die Dimension des Triumphs selbst ein Jahr später noch nicht komplett greifbar. „Manchmal sitze ich immer noch im Auto und denke: »Ja krass, davon habe ich immer geträumt«“, erzählt der Coburger.

Für „Kramies“, wie sich selbst  bezeichnen, brachte der plötzliche Erfolg erhebliche Nebenwirkungen mit sich. Die Aufmerksamkeit, die sich im Sport in aller Regel ohnehin den absoluten Spitzenathleten widmet, erreichte sie nun auch. Plötzlich war das Duo gefragt – ob als Gäste im „Aktuellen Sportstudio“, als Fotomotiv für neugewonnene Fans oder als zweites Zugpferd neben Superstar Roger Federer für das Rasenturnier in Halle/Westfalen – und fiel sportlich in ein Tal. Erstrunden-Niederlagen in Halle, Antalya und Wimbledon reihten sich aneinander. So kam es etwas überraschend, dass sie bei den US Open doch wieder durchstarteten, bis ins Halbfinale vorrückten – und dort knapp am argentinisch/spanischen Doppel Horacio Zeballos und Marcel Granollers scheiterten (6:7, 6:7).

Hinter Krawietz/Mies liegen turbulente Monate

Es folgten weitere turbulente Monate: Krawietz und Mies qualifizierten sich als Weltranglisten-Dritte für die ATP-Finals in London, schieden dort aber nach zwei Niederlagen in drei Gruppenspielen vorzeitig aus. Bei der Wahl der „Sportler des Jahres“ landete das Duo in der Kategorie „Mannschaft“ auf dem dritten Platz.  Bei den Australian Open zu Beginn dieses Jahres verloren sie ihre Auftaktpartie deutlich.

Und als wäre dies nicht schon turbulent genug, folgte  nun also auch noch die Corona-Krise  und damit einhergehend der komplette Stillstand der Tennis-Szene.  So bitter die Unterbrechung der Tour aufgrund der Pandemie auch ist – sie birgt auch die Chance, in Ruhe die Achterbahnfahrt der vergangenen zwölf Monate zu reflektieren. „Das musst du erstmal alles verarbeiten – all deine Ziele und Träume gehen in so kurzer Zeit in Erfüllung. Wir sind auch nur Menschen und keine Roboter“, sagt Mies. Krawietz empfindet die Pause als „sehr angenehm“. Zwischendurch hat er seine gewonnene Zeit genutzt, um auf 450-Euro-Basis bei einem Discounter zu jobben und damit seinen Horizont zu erweitern.

Während sich Krawietz ab der kommenden Woche bei der vom Deutschen Tennis Bund (DTB) ins Leben gerufenen Sommer-Turnierserie als Einzelspieler versucht, sammelt Mies in Matches „mit meinen Jungs“ Spielpraxis. Doch schon bald wollen sie wieder zusammen für Furore sorgen. „Wir sind auf jeden Fall heiß“, betont Krawietz.

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