Kommentar zu Boris BeckerAls müssten wir selbst ein bisschen mit ins Gefängnis

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Boris Becker am 7. Juni 1985

  • Boris Becker wird zu zweieinhalb Jahren Knast ohne Bewährung verurteilt. Unser Autor bekennt, dass er das einerseits gerecht, andererseits schrecklich findet.

Köln – Menschen, die am 7. Juli 1985 noch nicht geboren waren oder keine Erinnerung an diese Zeit haben, wird man nicht erklären können, was am Freitag, dem 29. April 2022 in London geschehen ist. Boris Becker wurde von einem Gericht in London wegen Steuervergehen zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren ohne Bewährung verurteilt, die er ungeachtet der Möglichkeit des Einspruches erst einmal antreten muss. Offenbar gibt es viele gute Gründe für dieses Strafmaß. Geliefert hat sie niemand außer Boris Becker selbst.

Dennoch fühlt es sich für jemanden, der am 7. Juli 1985 die Geburt dieses deutschen Tennismärchens erlebt hat, schrecklich an. Als müsste man selbst ein wenig mit ins Gefängnis. Boris Becker war nicht nur dreifacher Wimbledon-Sieger, Nummer eins der Welt und Olympiasieger im Doppel, er war nicht jemand, der nach Leistung und Auftreten gemessen wurde. Er war für Menschen, die keine rationale Distanz zu ihm aufbauen wollten, also für die meisten Deutschen damals: unser Boris. Und egal, wie viel dummes Zeug er vor allem nach seiner Karriere gemacht hat, wie viele Fehltritte und Peinlichkeiten ihm unterlaufen waren, das hat er nicht verdient. Obwohl er es natürlich doch verdient hat.

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Das sind die beiden Ebenen, die hier scharf getrennt werden müssen. Hier der Privatmann und Unternehmer Becker, der im besten Fall grob fahrlässig, egoistisch und unehrlich gehandelt hat, indem er seine Projekte offenbar eins nach dem anderen wirtschaftlich gegen die Wand fuhr und danach bei der Insolvenzabwicklung Rechtsbrüche beging, die jeden anderen in Großbritannien auch hinter Gitter gebracht hätten. Und dort: Unser Boris.

Es müsste einen zweiten Boris geben, der im Alter von 17 Jahren durch eine nie zuvor dagewesene Leistung eine nationale Hysterie auslöst und sein Leben, wie es hätte sein können, abgeben muss. Der keinen Schritt tun kann ohne Überwachung, keine Handlung ohne Bewertung, keinen Fehler ohne Bestürzung, der nirgendwo allein ist: Nicht in der Kabine, nicht auf dem Platz, nicht im Restaurant, nicht in der Besenkammer, nicht im Schlafzimmer. Und der nach dem Ende der Karriere dann ganz alleine zurechtkommen muss mit Herausforderungen, denen er zuvor nie begegnet war. Wenn es der zweite Boris dann besser machen würde, dann könnten wir sagen: In Ordnung erster Boris, du hast versagt. Du hast den Knast verdient.

So aber ist uns das nicht so einfach möglich.

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