Monika Kleine verlässt den SkFDas personifizierte soziale Köln

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Monika Kleine war 36 Jahre beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Köln aktiv, 30 Jahre davon als Vorstand.

Monika Kleine war 36 Jahre beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Köln aktiv, 30 Jahre davon als Vorstand.

Nach 36 Jahren verlässt Monika Kleine den Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) Köln– Ein Abschiedsgespräch über Zweck und Zukunft der Sozialen Arbeit.

Liebe Frau Kleine, als „Arbeiterin von schier unendlicher Kraft für das soziale Köln“ hat Oberbürgermeisterin Henriette Reker Sie bei Ihrer offiziellen Verabschiedung bezeichnet. Was war Ihre Motivation, Notleidenden und sozialen Missständen Ihr (Berufs-)Leben zu widmen?

Monika Kleine: Was mich auf den beruflichen Weg gebracht hat, war, dass ich mit 18 Jahren, Anfang der 13. Klasse als Schülerin einer Klosterschule in der Schwarzwälder Provinz schwanger wurde, anschließend als Alleinerziehende durchs Studium ging, immer voll berufstätig sein musste, und dabei die Erfahrung gemacht habe: Man kann Not abwenden, wenn man Unterstützung erfährt.

Rührt daher auch Ihr Leitsatz: Keine Notlage ist beschämend, keine Notlage ist hoffnungslos?

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Ich habe als Kind weder Not noch Mangel erlitten, bin als Beamten-Tochter sehr behütet aufgewachsen. Aber im Jahr 1977 mit 18 Jahren schwanger zu sein, unverheiratet, kurz vor dem Abitur, und das auch noch als Klosterschülerin, gehörte sich, gelinde gesagt, so gar nicht. Dennoch haben mich die Ordensfrauen, später der Staat, und mein privates Umfeld sehr unterstützt.

Köln hat Sie in den vergangenen knapp vier Jahrzehnten auch als sehr politische Person erlebt. Gab es neben der persönlichen Motivation eine gesellschaftliche?

Ich bin und war immer ein politisch zorniger Mensch, wenn es um Ungerechtigkeit ging
Monika Kleine, SkF Köln

Ich bin und war immer ein politisch zorniger Mensch, wenn es um Ungerechtigkeit ging. Ich konnte es nie aushalten und wollte mich nicht damit abfinden, dass ganze Gruppen von Menschen nicht wahrgenommen, mit Urteilen, besser gesagt: mit Vorurteilen, belegt werden. Ich habe mich stets dagegen gewehrt, dass man aus Menschen Stereotype macht. Natürlich hat das auch einen persönlichen Hintergrund. Was ich damit sagen möchte: Es lohnt sich, genauer hinzuschauen und sich nicht mit dem scheinbar Erkennbaren zufrieden zu geben. Schließlich ist die Vielfalt der Lebensentwürfe – auch der vermeintlich gescheiterten – die Kostbarkeit und das Kapital unserer Gesellschaft. Ich habe sowohl beruflich wie privat immer versucht, für den Wert dieser Vielfalt ein Bewusstsein bei meinem Gegenüber zu schaffen. Das kann natürlich zu Konflikten führen.

Menschen davon zu überzeugen, eine andere als die gewohnte Perspektive einzunehmen und neue Wege zu gehen, war einer Ihrer großen Verdienste. Wie viel Mut braucht es als Verantwortliche eines kirchlichen Trägers etwa den „Betreuten Straßenstrich“ und das „Clearingwohnen“ für suchtkranke Schwangere durchzufechten?

Mein Mut ist meine tiefe Überzeugung. Mut ist eher rational, bedeutet: Ich will es unbedingt schaffen. Wäre ich nur mutig bei Politik und Verwaltung angetreten, hätte ich sicher einige Innovationen nicht auf den Weg bringen können. Doch unsere Konzepte sind aus dem beruflichen Alltag, aus der Praxis heraus entstanden. Ich wusste, welche Probleme existieren und welche möglichen Lösungen daraus entwickelt werden könnten.

Sie spielen auf Ihre berufliche Erfahrung an, die Sie als Sozialpädagogin in einem Jugendzentrum, in einer Notschlafstelle für Jugendliche und einer Schwangerenkonfliktberatungsstelle sammeln konnten, bevor Sie Geschäftsführerin wurden?

Aus dieser Haltung heraus, und indem wir ihre Autonomie respektieren, können wir ihr Hilfe auf Augenhöhe anbieten
Monika Kleine

Es war sicher ein großer Mehrgewinn, dass ich Soziale Arbeit kann. Es geht nicht um Geschäftsmodelle, sondern darum, soziale Probleme mit möglichen Lösungen zu versehen, diese Ideen lassen sich nicht mit Kennzahlen entwickeln – und nicht mit vermeintlichen Patentlösungen. Wir beim SkF schauen auf die Menschen nie mit einem Defizitblick, denken nicht, die junge Frau, die auf der Straße lebt, ist gescheitert, sondern sie empfindet es in diesem Moment als die für sie beste Lösung. Das muss man nicht glorifizieren, denn sie ist damit gefährdet, aber es ist eben das, was sie gerade aushalten und schaffen kann. Aus dieser Haltung heraus, und indem wir ihre Autonomie respektieren, können wir ihr Hilfe auf Augenhöhe anbieten. Und erreichen sie erst, wenn sie denkt, sie kann unser Angebot zu ihrer Sache machen.

Welches Ihrer Projekte ist beispielhaft für die Hilfe auf Augenhöhe und die vielen neuen Wege, die Sie gegangen sind?

Ein Prototyp ist das schon lange auch von „wir helfen“ unterstützte, Clearingwohnen für suchtkranke Schwangere und Mütter. Die vorherrschende Logik lautet doch bis heute: Suchtkranken Frauen muss das Kind genommen werden, da das Kindeswohl gefährdet ist. Dass das gesichert sein muss, sagen selbstverständlich auch wir. Aber wir wollten ausprobieren, ob es nicht auch mit den Müttern geht. Wir schauen gemeinsam mit ihnen, ob sie es schaffen, mit unserer Unterstützung und mit Hilfe der Motivation durch die Schwangerschaft, ihr Leben zu verändern. Aus meiner Arbeit in der Schwangerschaftskonfliktberatung weiß ich: Eine Schwangerschaft eröffnet oft ein einziges, kurzes Zeitfenster im Leben einer Frau, das es ihr ermöglicht, noch mal neu anzufangen.

Wie viele junge Frauen nutzen dieses Fenster erfolgreich?

In mehr als 20 Jahren haben wir die Erfahrung gemacht, dass das 50 Prozent der Frauen gelingt – und wenn nicht, können wir sie beim Abschied von ihrem Kind begleiten. Das führt in der Regel dazu, dass sie ihren Kummer nicht direkt mit der nächsten Schwangerschaft zudecken müssen. 50 Prozent, das ist doch eine Menge!

Worin sehen Sie das Hauptziel Sozialer Arbeit – früher und heute?

Soziale Arbeit sollte zu jeder Zeit versuchen, Ungerechtigkeit auszugleichen, Chancengleichheit zu ermöglichen und Selbstermächtigung zu stärken. Maßstab unseres sozialen Handelns sind die beiden Leitgedanken der SkF-Gründungsfrauen, und zwar die tiefe Überzeugung, dass der einzelne Mensch die Hilfe bekommt, die er braucht. Und dass wir uns politisch einmischen, damit die Grundthemen, für die der oder die Einzelne nichts kann, angegangen werden.

Was sind diese Grundthemen dieser Tage und warum ist Soziale Arbeit für unsere gesamte Gesellschaft so wichtig?

Wenn wir nicht alles dafür tun, Ungleichheiten auszubalancieren, hat unsere Gesellschaft gute Chancen, auseinanderzufliegen. Ich empfinde den aktuellen Sozialabbau verheerend, extrem kurz gedacht und politisch hoch gefährlich. Welche Befriedungsqualität soziale Angebote haben, die dieser Tage gefährdet sind, weiß man erst, wenn sie nicht mehr da sind. Die größte Herausforderung für die Soziale Arbeit ist meiner Meinung nach aber die Komplexität unserer Welt, die vor allem junge Menschen vor hohe Anforderungen stellt, auf die sie mit extremer Individualität antworten. Damit kommen ihnen Lernfelder für soziales Commitment und Miteinander abhanden. Diese Lernfelder müssen neu erfunden werden.

Wir brauchen Anreizsysteme, die jenseits der Ökonomie-Gesetze Innovationsmut schaffen
Monika Kleine

Was in Zeiten von Ökonomisierung der Sozialen Arbeit und Sozialabbau nicht einfach ist.

Die Träger sind dadurch gezwungen, um Finanzen zu ringen, das kostet extrem viel Kraft. Und macht es unendlich schwer, experimentell unterwegs zu sein. Dabei bräuchten wir so viele Ideen und neue Antworten auf die vielen Probleme: Immer mehr Jugendliche erkranken psychisch, wachsen nicht bindungssicher auf, sind entkoppelt. Wir brauchen Anreizsysteme, die jenseits der Ökonomie-Gesetze Innovationsmut schaffen.

Vor diesem, eher düsteren, Hintergrund fällt Ihnen der Abschied nicht schwer?

Aus dem aktiven Berufsleben auszusteigen, bedeutet ja nicht, nicht weiter mitmischen zu dürfen – etwa dabei, die Vision von einem sozialen Köln auch bei eingeschränkten Möglichkeiten neu mitzudefinieren.


Ein Abschied, der an die bewegende Berufsvita von Monika Kleine erinnert

  • Am 15. Dezember blieb kein Platz in der Lounge des Sport- und Olympiamuseums unbesetzt. Viele Vertreterinnen, aber auch Vertreter der Kölner Stadtgesellschaft waren gekommen, um Monika Kleine persönlich zu verabschieden, darunter Oberbürgermeisterin Henriette Reker, Annelie Hammes (Vorsitzende des SkF-Rates Köln) oder die Schriftstellerin Husch Josten. Eva Maria Welskop-Deffaa, die erste Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, reiste aus Berlin mit einer Dankesmedaille des Verbandes an.
  • Am 31. Dezember wird Kleine, 66, den SkF Köln verlassen. „Als das personifizierte soziale Köln, als Frau der sozialen Tat und als harte Verhandlerin für die Belange von Frauen“ hat Henriette Reker Kleine erlebt, wie sie in ihrer Rede betonte. Andere Rednerinnen erinnerten an Monika Kleines Fachwissen, an ihren Charme, ihre Unabhängigkeit – und an ihre Berufsbiografie:
  • 36 Jahre war sie beim SkF aktiv, 30 Jahre davon als Vorstand (seit 1993 gehörte Kleine der Geschäftsführung des SkF an, seit 1. Mai 2021 war sie die erste hauptamtliche Vorständin in der Geschichte des Sozialverbandes).
  • In Kleines aktiver Zeit ist die Zahl der hauptamtlich Mitarbeitenden seit 1997 von 150 auf 530 gewachsen; 237 Ehrenamtliche arbeiten inzwischen in den 56 ambulanten und stationären Einrichtungen in Köln mit. Damit ist der SkF Köln der größte der 130 SkF-Verbände Deutschlands.
  • Monika Kleine hat das Modellprojekt „Betreuter Straßenstrich“ in der Geestemünder Straße auf den Weg gebracht, bei dem Gesundheitsamt, Ordnungsamt, Polizei und SkF erfolgreich miteinander kooperieren, um suchtkranken und anderen hoch belasteten Frauen die sichere Arbeit in der Prostitution zu ermöglichen. Sie hat dabei mitgewirkt, die Gefangenenhilfe zu verbessern, die Claeringstelle für suchtkranke schwangere Frauen zu ermöglichen, die Hilfen für wohnungslose Frauen zu verbessern.
  • Kleine wurde in den Corona-Rat des Landes berufen, in den Diözesan-Caritas-Rat, in verschiedene Experten-Kommissionen und ist Mitglied des Jugendhilfeausschusses der Stadt Köln. 
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