Interview mit Shell-Raffinerie-Chef„Vertrauen zurückzugewinnen, braucht seine Zeit“

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Shell-Raffinerie-Chef

Thomas Zengerly ist seit April 2015 Chef der Rheinland Raffinerie. Bereits vorher war er auf verschiedenen Positionen für Shell tätig und arbeitete zudem  für Energie-Unternehmen in Russland und Neuseeland.

Herr Zengerly, im April 2015 haben Sie Ihr Amt mit dem Anspruch angetreten, die Rheinland Raffinerie müsse nicht nur die größte Raffinerie Deutschlands sein, sondern zudem auch die sicherste. Wie weit sind Sie mit diesem Versprechen?

Bei der persönlichen Sicherheit, also der Vermeidung von Arbeitsunfällen etwa, sind wir schon ziemlich weit und gehören zu den besten Raffinerien in Deutschland. Bei der Anlagensicherheit haben wir aber noch einen Weg zu gehen. Ich sehe allerdings durchaus schon erste Fortschritte, insbesondere was die Vermeidung von Leckagen angeht. Wir haben vor allem zwischen 2012 und 2015 eine außergewöhnliche Serie von Leckagen gehabt, kleinere und größere. Ich möchte, dass wir den Zustand unserer Rohrleitungen genau kennen und genau überwachen, um sich andeutende Schäden schon im Vorfeld zu erkennen.

Wie wollen Sie das bewerkstelligen?

Wir lassen beispielsweise neue Leitungen oberirdisch verlegen, damit sie besser zu kontrollieren sind. Von den unterirdischen Rohrleitungen gibt es allerdings ziemlich viele, daher dauert das seine Zeit. Das ist keine Frage des Budgets, sondern, wie viele Arbeiten parallel und gleichzeitig abgewickelt werden können. Diese Programme, die sich besonders auf den gesamten alten Anlagenteil in Wesseling beziehen…

...wo es auch die Leckage gab, durch die 2012 eine Million Liter Kerosin ausgetreten ist.

Genau. Solche Programme erstrecken sich über einige Jahre. Und auch in Godorf gibt es einige Bereiche mit unterirdischen Leitungen, die ebenfalls nach und nach erneuert werden.

Goal Zero

Keine Unfälle sind das Ziel.

Was kosten Sie diese Maßnahmen?

Da reden wir von einem zweistelligen Millionenbetrag pro Jahr.

Wie viel Kerosin aus der damaligen Leckage befindet sich derzeit denn noch im Boden?

40 Prozent wurden inzwischen abgepumpt, damit sind wir mit der mechanischen Sanierung am Ziel angelangt. Die dort installierten Pumpen fördern nicht mehr viel. Wir hören aber nicht auf. In der jetzigen Phase wird der biologische Abbau stimuliert, das heißt, wir fördern durch das Einpumpen von Sauerstoff ins Erdreich die Bildung bestimmter Bakterien, die das Öl zersetzen. Es ist allerdings noch zu früh, um eine Bilanz zu ziehen. Laut Prognosen wird die Sanierung noch 20 bis 30 Jahre dauern.

Dieser Vorfall hat das Image Ihres Unternehmens merklich leiden lassen.

Dessen sind wir uns bewusst und das wollen wir ändern. Wenn wir beispielsweise Projekte planen, gehen wir damit heute viel früher auf die Anwohnerschaft zu, um deren Bedenken in unseren Plänen berücksichtigen zu können. Verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, das braucht aber seine Zeit.

Erst kürzlich wurde bekannt, dass aus einer Rohrleitung rund 250 Liter eines chemischen Stoffes ausgetreten sind. Die Öffentlichkeit hatten Sie darüber nicht informiert, da keine Gefahr bestanden habe. Warum gehen Sie mit solchen Vorkommnissen nicht gleich offensiver um?

Wir haben in diesem Fall wie bei vergleichbaren Fällen die Behörden umfassend informiert, den kleinen, auf wenige Quadratmeter begrenzten Schaden aufgenommen und beseitigt. Da nach Einschätzung von Experten keine Außenwirkung zu erwarten war, haben wir von einer Information der weiteren Öffentlichkeit abgesehen. Ich wehre mich gegen ein „an den Pranger stellen“ der Raffinerie, das ich in diesem Fall nicht nachvollziehen kann. Ich habe immer wieder gesagt, dass bei einem Werk dieser Größe auch in den kommenden Jahren Leckagen niemals ganz ausgeschlossen sind. Wir haben ein großes Investitionsprogramm in unsere Infrastruktur, das wir erfolgreich abarbeiten werden.

Shell

Die Rheinland Raffinerie erstreckt sich über rund 440 Hektar und ist damit die größte in Deutschland.

In der Raffinerie werden im Schnitt 3,5 Millionen Tonnen Dieselkraftstoff hergestellt – zehn Prozent der deutschen Gesamtproduktion. Seit dem Diesel-Skandal wird das baldige Ende des Verbrennungsmotors heraufbeschworen. Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie diese Debatte?

Natürlich sehr interessiert. Was bedeutet das für die Raffinerie? Diese Frage treibt uns um – aber nicht erst seit heute oder gestern, sondern schon seit einiger Zeit. Und was wir aus unseren aktuellen Prognosen gelernt haben ist erstens: Elektromobilität kommt natürlich. Zweitens: Es dauert länger als manche das erwarten. Dafür gibt es viele Gründe...

Welche sind das?

Die Batterietechnologie muss noch weiterentwickelt werden, bevor Ladezeiten, Reichweiten, Kapazität, Umweltverträglichkeit und Kosten akzeptabel sind. Dies ist lösbar – es wird allerdings noch Zeit benötigen. Dasselbe gilt für den Aufbau der notwendigen Produktions- und Ladeinfrastruktur. Daher bin ich überzeugt davon, dass in 2030 und 2040 die Raffinerie auch in ihrem Kerngeschäft immer noch notwendig sein und sinnvoll arbeiten wird.

Wenn es bald nur noch E-Autos gibt, fragt man sich ja trotzdem: Wofür braucht es noch eine Raffinerie?

Die Frage ist ja: Wie schnell kann eine Durchdringung des Pkw-Markts durch E-Fahrzeuge tatsächlich passieren? Da gibt es eine gewisse Bandbreite, aber die meisten Beobachter gehen davon aus, dass 2040 von den 45 Millionen Fahrzeugen in der Bundesrepublik maximal 30 Prozent Batterie-, Brennstoffzellen- oder gasbetriebene Fahrzeuge sein werden. Wir werden also auch 2040 weiterhin fossile Brennstoffe für den Mobilitätssektor produzieren – was aber auch nur einen Teilbereich unserer Produktion abdeckt.

Chronologie der Vorfälle

25. Februar 2012

Shell-Mitarbeiter stellen fest, dass in einem Kerosin-Tank weniger Flüssigkeit ankommt, als aus einem anderen Tank abfließt. Eine Million Liter Kerosin sind durch ein fingernagelgroßes Loch in einer Leitung aus dem Jahr 1942 versickert. Der Kerosin-See ist sechs Fußballfelder groß. 

Oktober bis Dezember 2012

Es werden mehrere Leckagen in oberirdischen Rohrleitungen festgestellt. 

Januar 2014

Ein mit giftigen Chemikalien beladener Tank gerät in Brand.  

März 2014

Über einen Kamin im Wesselinger Werk tritt in großen Mengen Schwefelwasserstoff aus. 

Mai 2015

Es gibt einen Brand in einer Olefin-Anlage.

Mai 2017

Aus einem Tank treten rund 2000 Liter eines Kohlenwasserstoff-Gemischs aus.

Werden sich dann perspektivisch die Gewichtungen verschieben weg vom Mobilitätsmarkt hin zu anderen Bereichen?

Wir haben unsere Raffinerie schon seit einiger Zeit auf Mitteldestillate – Diesel, Heizöl, Kerosin – ausgerichtet, weil wir dort Wachstumsmöglichkeiten gesehen haben. Und die Marktentwicklung der letzten Jahrzehnte hat uns Recht gegeben. Zudem wird der gewerbliche Güterverkehr, der einen großen Teil des Diesel-Verbrauchs jetzt schon ausmacht, weiter wachsen. Insofern ist mir um die Zukunft der Raffinerie nicht bange.

Ihr Vorstandsvorsitzender Ben van Beurden wurde jüngst mit den Worten zitiert, er halte das in verschiedenen Ländern angekündigte Verbot von Benzin- und Dieselmotoren für „sehr willkommen und notwendig“.

Natürlich werden politische Rahmenbedingungen immer eine entscheidende Rolle spielen. Wir werden ja sehen, wie sich die Debatte jetzt unter einer neuen Bundesregierung entwickelt. Zum einen schafft es Klarheit, wenn man so ein generelles Verbot ausspricht. Zum anderen muss man sich aber auch überlegen, ob es sinnvoll ist, wenn die Politik Technologieentscheidungen für den Konsumenten trifft. Soll man das nicht lieber dem Markt überlassen und mit Anreizen verbinden?

Der Markt hat es aber doch bis jetzt geregelt und das Ergebnis ist, dass gepfuscht wurde.

Jetzt mit der Automobilindustrie den Buhmann ausgemacht zu haben, halte ich nicht für förderlich. Um die Weichen für die Mobilität der Zukunft zu stellen, sind wir alle in der Pflicht: Automobilindustrie und Regierungen ebenso wie etwa Kunden und Verbände. In der Debatte um Luftverschmutzung werden nicht selten auch Schiffe als große Umweltsünder bezeichnet, die Sie ebenfalls mit Treibstoff beliefern. Bei der Hochseeschifffahrt werden zurzeit noch schwere Brennstoffe verwendet mit 3,5 Prozent Schwefelgehalt. Das soll ab dem Jahr 2020 durch einen internationalen Standard auf 0,5 Prozent reduziert werden. Darauf bereiten wir uns unter anderem vor, indem wir in Wesseling eine Entschwefelungsanlage errichten wollen.

Und wie schaut es auf dem Rhein aus?

Für den Rhein versuchen wir, die Schifffahrt davon zu überzeugen, dass es auch andere Brennstoffe für sie gibt, zum Beispiel LNG, also Flüssigerdgas. Das ist ein sehr sauberer Kraftstoff. Dafür eröffnen wir mit einem Partner voraussichtlich Anfang 2018 eine Tankstelle am Niehler Hafen, an der Schiffe auch mit LNG betankt werden können.

Sie haben kürzlich zudem die Investition in eine Anlage zur Elektrolyse bekanntgegeben, in der vereinfacht gesagt aus Wasser durch Zugabe von Strom Wasserstoff erzeugt wird. Ist das die Zukunft?

Wir glauben, dass Wasserstoff eine Zukunft hat, auch für Pkw mit Brennstoffzellen. Die Technologie ist verfügbar und ermöglicht komfortable Reichweiten.

Über welche Reichweiten reden wir da?

Rund 500 bis 700 Kilometer pro Tankfüllung sind möglich. Innerhalb von drei Minuten kann ich volltanken. Und Wasserstoff ist etwas, womit wir uns gut auskennen. Daher streben wir auch eine Wasserstofftankstelle vor der Raffinerie in Wesseling oder Godorf an.

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Kunden, die von einer solchen Tankstelle profitieren, gibt es bislang nur wenige.

Es gibt mit Toyota und Hyundai derzeit erst zwei Hersteller, die mit den Modellen „Mirai“ und „ix35“ Brennstoffzellen-Fahrzeuge serienmäßig anbieten. Aber Daimler hat ja bereits angekündigt, dass es in den nächsten Monaten mit dem GLC F-Cell auf den Markt kommt.

Wie viele Ihrer Mitarbeiter hier vor Ort beschäftigen sich denn mit solchen Zukunftsthemen wie Wasserstoff-Antrieben?

Als Teil eines globalen Shell-Netzwerks profitieren wir vom Know-how unserer Kollegen etwa im Bereich Wasserstoff. Hier vor Ort dürfen wir über die Zukunftsentwicklungen aber nicht das Geschäft von heute vergessen. Es gibt schließlich Kunden, die mit den Produkten von heute versorgt werden wollen, und wir haben hier am Standort zudem noch einiges zu verbessern. Unsere Innovationsmannschaft vor Ort besteht aus vier, fünf Leuten, die sich hauptsächlich mit Zukunftsfragen beschäftigen.

Womit konkret?

Mit dem Einsatz von Drohnen beispielsweise oder auch Big Data. Wie gesagt, sie sind Teil eines globalen Shell-Netzwerks, in dem sie sich regelmäßig mit Mitarbeitern von anderen Werken auf der Welt zu verschiedenen Themen austauschen.

Wie nutzen sie Big Data?

Wir haben 60.000 Rohrleitungen auf 8000 Kilometer Länge, durch die verschiedene Stoffe transportiert werden. Ständig wird dort der Druck, die Temperatur oder die Fließgeschwindigkeit gemessen. Wenn wir die Möglichkeit hätten, dies alles mit Algorithmen zu bearbeiten, um auf beispielsweise Energiekosten und damit unsere CO2-Emissionen weiter zu senken, würden wir wirklich etwas gewinnen.

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