Kriegsverbrecher und Israel-HeldWie der Ruhr-Baron eine Ikone der Wirtschaft wurde

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Berthold Beitz im Alter von 98 Jahren in der Villa Hügel, dem Stammsitz der Familie Krupp von Bohlen und Halbach in Essen.

  • Berthold Beitz, der über Jahrzehnte die Geschicke des Krupp-Konzerns leitete, ist eine der interessantesten Persönlichkeiten in Nordrhein-Westfalen.
  • Als Kriegsverbrecher kehrt er aus dem Krieg zurück, wird jahrelang inhaftiert. Erst viele Jahre später kommt heraus: Beitz war während des Kriegs auch ein Held.
  • Wie Beitz schon zu Lebzeiten eine Ikone der Wirtschaft werden konnte?
  • Ein Porträt.

Man kann Düsseldorf mögen, oder nicht, aber genau dort, unweit der noblen Einkaufsmeile Königsallee lag bis vor wenigen Jahren das Sterne-Restaurant Victorian. Im Frühjahr 1997 wird dort immer wieder ein Tisch reserviert für zwei Männer, die ihr Berufsleben eigentlich schon seit Jahrzehnten hinter sich gelassen haben. Der eine heißt Günter Vogelsang, Jahrgang 1920, viele Jahre war er Vorsitzender des Aufsichtsrates des Stahlkonzerns Thyssen. Der andere ist Berthold Beitz, geboren 1913, langjähriger Lenker des Krupp-Konzerns und der wohl einflussreichste Nachkriegsmanager der deutschen Schwerindustrie.

Beide sind zu diesem Zeitpunkt im Victorian die Ehrenvorsitzenden ihrer Konzerne. Eigentlich ein Amt ohne Macht. Und doch entscheiden die beiden Grauhäupter über Zehntausende Arbeitsplätze. Sie verhandeln über die Fusion der Erzrivalen Thyssen und Krupp zu einem Stahlgiganten. Seit den 1950er Jahren sind die Manager Rivalen, erst jetzt werden sie Freunde. Einzeln sind die beiden deutschen Stahlkonzerne im weltweiten Vergleich kleine Fische. Doch das Unterfangen ist gewagt. Denn Krupp, der kleinere von beiden, hatte nur ein Jahr vorher versucht, Thyssen feindlich zu übernehmen, also ohne Zustimmung der Vorstände. Beitz ist gegen den Fusionsplan, und hat gleichzeitig als Chef der Krupp-Stiftung, dem größten Aktionär von Krupp, ein gewaltiges Wort mitzureden.

Und so finden schließlich die beiden alten Herren bei einem ihrer Mittagessen die Lösung: Erst wird das Stahlgeschäft fusioniert, dann gibt es eine Gesamtfusion mit einer Doppelspitze. Es ist die wirtschaftlich wohl bedeutendste Tat Berthold Beitz’ für das Ruhrgebiet und die Jobs dort. Und für die Rettung der Stahlkonzerne. Beitz ist eigentlich ein Familienfremder, und doch führt er das Familienunternehmen Krupp in diversen Funktionen, als würde jede Schraube, jedes Werkstor, jeder Ofen und jede Fabrik ihm selbst gehören.

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Der Essener Krupp-Betrieb wird am 1. September 1939 vom Oberkommando der Wehrmacht zum Wehrmachtsbetrieb erklärt. Alfried Krupp übernimmt die Konzernleitung von seinem Vater Gustav Krupp von Bohlen und Halbach 1943. Die Produktion des Krupp-Konzerns wird in starkem Maße durch die kriegswirtschaftlichen Anforderungen bestimmt. Entsprechend wird Alfried Krupp unmittelbar nach dem Krieg von US-Truppen verhaftet und interniert. Drei Jahre später wird er von den Alliierten als Kriegsverbrecher schuldig gesprochen. Neben der Beschlagnahmung seines Vermögens wird er zu zwölf Jahren Haft im Kriegsverbrechergefängnis Landsberg verurteilt. 1951 erst wird er begnadigt, erhält später sein Vermögen zurück. Im März 1953 kann Krupp von Bohlen und Halbach wieder die Leitung des Unternehmens übernehmen, dessen Essener Produktionsstätten zu diesem Zeitpunkt größtenteils zerstört oder demontiert sind.

Doch die Verurteilung belastet ihn im Nachkriegsdeutschland schwer. Er braucht einen verlässlichen Vertreter. 

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Berthold Beitz galt schon zu Lebzeiten als Ikone der Wirtschaft.  

Im Sommer 1952 treffen sich Krupp und Berthold Beitz zufällig im Essener Atelier des Bildhauers Jean Sprenger, bei dem Beitz eine repräsentative Plastik für die Eingangshalle des von ihm in Auftrag gegebenen, neuen Gebäudes der Iduna-Germania-Versicherung in Hamburg bestellt hat, dessen Chef Beitz ist. Einige Wochen später, am 26. September 1952, kommen Alfried Krupp und Berthold Beitz erneut zusammen und der Industrielle bietet dem gebürtigen Vorpommern die Position eines Generalbevollmächtigten des Konzerns an. Beitz willigt ein. Per Handschlag besiegeln die Männer ihren Vertrag. Dieses Amt ist einmalig, und es ist auf Beitz zugeschnitten wie ein teurer Maßanzug. „Sie bekommen Generalvollmacht. Sie können handeln wie ein Eigentümer und machen, was Sie wollen“, soll Krupp zu Beitz gesagt haben.

Und Beitz versteht darunter vor allem, ein Leben lang so zu handeln, wie Krupp selbst gehandelt hätte, das ist sein Lebensmotto. Ab 1970 wird Beitz Aufsichtsratsvorsitzender im Krupp-Konzern, ab 1989 Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrates, später auch in der Thyssenkrupp AG. Kurz vor dem Tod Alfried Krupps 1967 gelingt es Beitz, das Kruppsche Privatvermögen in eine Stiftung zu überführen. Beitz wird Vorsitzender des Kuratoriums der Krupp-Stiftung und damit Testamentsvollstrecker und Sachwalter des Kruppschen Vermögens. In Beitz’ Zeit bei Krupp fallen auch die Stahlkrisen, die Idee, die Iraner als Miteigentümer ins Boot zu holen, um die von Beitz skeptisch betrachtete Deutsche Bank außen vor zu halten, und auch die Fusion mit der Hoesch AG im Jahr 1991. Und obwohl unter seiner Ägide auch etliche Stellen wegfallen, ist Beitz bei den Kruppianern hoch geachtet.

Erst spät wird öffentlich bekannt, was Beitz im Zweiten Weltkrieg getan hat. Zu Beginn des Krieges war er als kaufmännischer Leiter der Karpathen-Öl AG im polnischen und von der Wehrmacht besetzten Boryslaw. Zwischen 1942 und 1943 rettete Beitz mit seiner Frau Else rund 150 Juden, die als Zwangsarbeiter beschäftigt waren, das Leben. Er bezeichnete, ähnlich wie Oscar Schindler, die betroffenen Juden als unabkömmlich für seinen Betrieb. Mit Glück, Mut und sicherem Auftreten entging Beitz den Nachstellungen der Nazi-Behörden, als diese seine humanitäre Grundhaltung durchschauten. Beitz versteht es dank dieser Phase in seinem Leben, den Namen Krupp vom gröbsten historischen Ballast zu befreien. Vor allem wendet er die durch den Nürnberger Kriegsverbrecherprozess verdunkelte Erinnerung an Krupp ins Positive. Beitz wird 1973 als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt, seine Frau Else im Jahr 2006. Es ist der offizielle Titel, den die Gedenkstätte Yad Vashem im Auftrag des Staates Israel an Nichtjuden verleiht, die während des Holocaust ihr Leben aufs Spiel setzten, um Juden zu retten.

Ulrich Lehner, bis 2018 Aufsichtsratschef bei Thyssenkrupp (und heute noch bei der Telekom) lernte Beitz 1982 kennen, als er sich bei Krupp auf eine Stelle bewarb. „Er war ein Gestalter, der gerne über den Tellerrand schaute. Und er hat wie kein anderer das Erbe der Familie Krupp aufrechterhalten“, sagt Lehner. Am 30. Juli 2013 stirbt Beitz im Alter von 99 Jahren, erst damit endet seine Zeit an der Spitze der mächtigen Krupp-Stiftung. Die Trauerfeier findet in der Villa Hügel statt – dem Stammsitz der Familie Krupp.  

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