Nachfolger für 9-Euro-TicketDer Finanz-Krimi der Ampel ist in vollem Gange

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No9Euro

Ein Regionalzug verlässt den Kölner Hauptbahnhof. Das beliebte 9-Euro-Ticket im ÖPNV war am 31. August ausgelaufen.

Für Michael M. war das 9-Euro-Ticket vor allem eins: ein Stück Gerechtigkeit im Tarifchaos. Insgesamt 131,90 Euro zahlt M. normalerweise im Monat, um von Köln-Mülheim nach Düsseldorf zu kommen. Für eine Strecke von 34,7 Kilometer. 58,80 Euro kostet das Jobticket des Verkehrsverbundes Rhein-Sieg (VRS). Hinzu kommt ein Aufpreis von 73,10 dafür, dass M. in Langenfeld über die Grenze in den Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) fährt.

Wäre sein Arbeitsplatz in Bonn und nicht in Düsseldorf, führe er von Mülheim sogar 39,8 Kilometer, müsste aber auch nur 58,80 Euro für das Jobticket bezahlen. Keine Grenze, kein Aufpreis. Michael M. wäre mit jeder Nachfolge-Regelung für das 9-Euro-Ticket sofort einverstanden. Zumal er dann mit Regionalzügen sogar bundesweit fahren könnte.

9-Euro-Nachfolger: Vergifteter Vorschlag der Ampel?

Das Nachfolgeticket soll kommen. So steht es im Entlastungspaket 3, das die Ampelkoalition am Sonntag auf den Weg gebracht hat. Sogar die FDP-Minister Christian Lindner (Finanzen) und Volker Wissing (Verkehr) sind plötzlich dafür. Klingt gut. Doch ob das nicht ein vergifteter Vorschlag der Ampel ist, der Finanz-Krimi gut ausgeht, wird sich am 19. September zeigen, wenn die Verkehrsminister und Ministerinnen der 16 Bundesländer mit Wissing darüber verhandeln müssen, wer den 9-Euro-Nachfolger am Ende bezahlt.

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Länder bleiben beim Nachfolger für 9-Euro-Ticket skeptisch 

Wissings Angebot scheint fair. 1,5 Milliarden gibt der Bund, 1,5 Milliarden geben die Länder. Doch die sind noch skeptisch, ob das alles so läuft. Beim traditionellen politischen Frühschoppen des Gillamoos-Volksfests im bayerischen Abensberg am Montag wurde NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst beim Stichwort 9-Euro-Ticket ungewöhnlich laut: „Die Länder sollen mitbezahlen, was Herr Scholz alles versprochen hat. Markus Söder und ich haben nichts gehört. Mit uns hat vorher keiner gesprochen.“

Um mehr Klarheit in die aktuellen Vorgänge zu bringen, beantworten wir hier die wichtigsten Fragen:

Wie ist die Haltung der Landesregierung?

NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) hat schon vor Wochen mit der grünen Bundestagabgeordneten Katrin Göring-Eckardt eine Nachfolgelösung ins Gespräch gebracht: 29 Euro für NRW, 49 Euro bundesweit. Er schlägt vor, sie durch eine Reform des Dienstwagenprivilegs zu finanzieren. Dass die Länder die Hälfte der Kosten des Tickets übernehmen sollen, ist aus seiner Sicht „nur ein erstes Verhandlungsangebot. Diese Potenziale existieren bei den Ländern nicht“, sagte Krischer am Dienstag im WDR.

Warum nicht?

Weil das Geld schon jetzt nicht reicht, um das bestehende Angebot im ÖPNV aufrecht zu erhalten, geschweige denn auszubauen. Deshalb geht es für die NRW-Landesregierung und die anderen Bundesländer darum, in den Gesprächen mit dem Bund ein Gesamtpaket zu schüren, das auch die längst zugesagte Erhöhung der Regionalisierungsmittel beinhaltet. Das sind Gelder für die Modernisierung und den Ausbau des ÖPNV in den Ländern, die der Bund bereitstellen muss, weil er dazu gesetzlich verpflichtet ist.

Diese Mittel müssten eigentlich erhöht werden. Doch jetzt befürchten die Länder, dass Bundesverkehrsminister Wissing ihnen bei der gemeinsamen Konferenz im September das aus ihrer Sicht vergiftete Angebot machen könnte: Wir übernehmen zwar euren Anteil am 9-Euro-Nachfolger, kürzen dafür aber 1,5 Milliarden bei den Regionalisierungsmitteln.

Wie steht der Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) zu einer Nachfolge-Lösung für das 9-Euro-Ticket? Welche Variante wäre die beste?

Der VRS steht wie die anderen Verkehrsverbünde in NRW bereit, „im Sinne der Attraktivitätssteigerung des Nahverkehrs und des Klimaschutzes eine Nachfolgeregelung umzusetzen“, sagt ein Sprecher auf Anfrage. „Wir unterstützen die Einführung mit allen Kräften.“ Zuvor müsse aber die Finanzierung geklärt sein. Deshalb werde man die politische Diskussion abwarten und habe keine Präferenz zu den vorgeschlagenen Ticket-Modellen, die preislich zwischen 29 und 69 Euro pro Monat liegen.

Das 9-Euro-Ticket habe gezeigt, dass ein einfach nutzbares Pauschalticket ohne Abstufungen „am ehesten dem Wunsch des Fahrgasts“ entspricht. Es sei daher nur logisch, „dass die Einführung solch eines Tickets einen großen Einfluss auf das bestehende Tarifsystem des VRS hat“.

Wie könnte die Finanzierung aus Sicht des VRS aussehen?

Die Einnahmeverluste müssten vollständig vom Bund allein oder in Kombination mit den Ländern ausgeglichen werden. Ausgleichszahlungen aus den kommunalen Kassen oder Querfinanzierungen aus anderen Ticketangeboten seien für den VRS nicht denkbar.

Wie schnell könnte ein Nachfolgeticket eingeführt werden?

Sobald die Finanzierung steht, kann das aus Sicht des VRS sehr schnell gehen, schließlich habe das auch beim 9-Euro-Ticket nur wenige Wochen gedauert. Die Verkehrsbranche in NRW habe unter Beweis gestellt, „dass sie selbst ein solch noch nie da gewesenes Ticket-Experiment schnell und zielorientiert umsetzen und in den Vertriebssystemen etablieren kann.“

Wie hoch wären die Einnahmeverluste für die Verkehrsunternehmen, wenn es ein Nachfolgeticket gibt?

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hat mal grob ausgerechnet, dass diese jährlichen Verluste zwischen 1,8 und drei Milliarden Euro liegen werden, wenn das Nachfolgeticket zwischen 49 und 69 Euro kostet. Die steigenden Ausgaben für Strom, Diesel und Personalkosten sind dabei noch nicht eingerechnet.

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Das klingt schwer nach höheren Fahrpreisen ab Januar, falls das Nachfolgemodell für das 9-Euro-Ticket scheitern sollte.

Der Tarifbeirat des VRS, der am kommenden Freitag über Preiserhöhungen berät, wird wohl zunächst abwarten, ob das 49-Euro-Ticket kommt. „Wenn es kommt – und davon gehen wir mal aus – wird die gesamte Tarifstruktur des VRS in großen Teilen hinfällig“, sagt Ingo Steiner, Fraktionschef der Grünen in der Verbandsversammlung des VRS.

Derzeit gibt es beim VRS 22 verschiedene Ticketarten. Mögliche Erhöhungen müssten am 30. September beschlossen werden. Das 49-Euro-Ticket würde dann pauschal wie der Corona-Schutzschirm mit dem Bund und eventuell mit dem Land abgerechnet. Vorsichtshalber habe man aber ausgerechnet, wie hoch die Fahrpreise steigen müssten, wenn die Kunden alle Kostensteigerungen auffangen müssen. „Dann lägen wir bei knapp 30 Prozent“, sagt Steiner.

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