Nachhaltige Wirtschaft in NRWRheinisches Revier ist Versuchsstätte für Bioökonomie

Lesezeit 4 Minuten
Noch wird im Tagebau Garzweiler bei Erkelenz Braunkohle abgebaggert.

Noch wird im Tagebau Garzweiler bei Erkelenz Braunkohle abgebaggert.

  • Bioökonomie ist die Transformation einer auf fossilen Energien basierenden Wirtschaft, hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft, die auf nachwachsenden Ressourcen fußt.
  • NRW treibt das Thema voran wie kaum ein anderes Bundesland. Aus gutem Grund: Schon heute ist die Bioökonomie ein Wirtschaftsfaktor, an der ein Umsatz in Milliardenhöhe und Arbeitsplätze hängen.
  • Im Rheinischen Revier entsteht seit Ende 2019 das "Bioökonomierevier". Welche Projekte gibt es noch in NRW - und wo liegen die Herausforderungen?

Köln – NRW krempelt seine Wirtschaft um. Die Bioökonomie, in der mit nachwachsenden Ressourcen statt fossilen Energieträgern gearbeitet wird, soll im Rheinland modellhaft vorangetrieben werden. Als eines der ersten Bundesländer verabschiedete Nordrhein-Westfalen bereits 2018 eine Bioökonomiestrategie. Die Kompetenz und Entwicklung in diesem Feld ist ein Wirtschaftsfaktor: In Deutschland waren 2017 rund 3,6 Millionen Menschen in der Bioökonomie beschäftigt. Etwa fünf bis sechs Prozent oder 174 Milliarden Euro der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland hingen an der Bioökonomie. Das geht aus einem Pilotbericht der Universität Kassel in Kooperation mit dem Thünen-Institut zum Monitoring der deutschen Bioökonomie aus dem Juni diesen Jahres hervor. Und: Das ist erst der Anfang.

Viele Projekte stecken noch in Pilotphasen. Ende 2019 startete in NRW die Initiative „Bioökonomierevier“. Im Rheinischen Revier soll nach dem Ausstieg aus der Braunkohle eine Modellregion für Bioökonomie entstehen. Die Laufzeit des Projektes endet Mitte 2021. Gefördert wird das Vorhaben mit Mitteln aus dem Sofortprogramm für den Strukturwandel.

Biologisches Prinzip von Kreisläufen für die Wirtschaft nutzen

Ulrich Schurr leitet am Forschungszentrum Jülich das Institut für Pflanzenwissenschaften. Er ist der Kopf des Bioökonomiereviers. Seit 20 Jahren begleitet er die Entwicklung der Bioökonomie in NRW. „Wir nutzen das biologische Prinzip von Kreisläufen, um eine Wirtschaftsweise aufzubauen, die nicht mit fossilen Stoffen zusammenhängt“, erklärt er. NRW habe einen entscheidenden Vorteil, um bioökonomische Projekte zu realisieren, erklärt Schurr: „Es ist Ballungsraum und Flächenland zugleich. Die Land- und Forstwirtschaft vor Ort können nachhaltige Rohstoffe liefern.“ Dazu kommt die Dichte an Universitäten und Forschungsinstituten.

Das könnte Sie auch interessieren:

Der Mittelständler ILCO Chemie ist einer der Projektpartner im Bioökonomierevier. In Erkelenz produziert das Unternehmen Schmierstoffe für die Industrie. Die brauche man für „alles, was sich bewegt“, sagt Geschäftsführer Corvin Volkholz. Von der Festplatte über das Windgetriebe bis zum Hydraulikmotor. ILCO Chemie beliefert beispielsweise Shell. Seit dem vergangenen Jahr arbeitet Volkholz gemeinsam mit dem Forschungszentrum Jülich und der Reinartz Maschinenfabrik in Neuss daran, die Schmierstoffe in einen lokalen Kreislauf einzubinden.

Lokaler Rohstoff, statt umweltschädliches Palmöl

Bisher verwendet ILCO Palmöl, bezogen von Herstellern aus aller Welt. Inklusive langer Transportwege und Abholzung von Regenwäldern für den Anbau. Volkholz möchte das Öl, das er für sein Produkt braucht, künftig lokal gewinnen. Die Idee: Auf den Tagebau-Flächen im Rheinischen Revier sollen Disteln angepflanzt werden. Aus den Samen wird in der Neusser Maschinenfabrik Reinartz, die darauf spezialisiert ist, dann das Öl gepresst. Auch die Stängel, der Stamm, Blüten und Blätter der Pflanze sollen verwendet werden. Volkholz kann sich vorstellen, dass daraus Fasern oder Dämmstoffe entstehen. „Die Idee, einen eigenen Zugriff auf Rohstoffe zu haben, eigene Ressourcen, die ich variieren kann, ist für mich attraktiv“, erklärt er die Vorteile. Das Projekt steckt gerade in einer Vorphase. Im März 2021 sollen die Disteln angepflanzt werden. Sechs bis acht Monate später wird sich zeigen, ob die Pflanzen die richtige Beschaffenheit für die weitere Verwendung haben.

Ein anderer Klein- und Mittelständler in der Bioökonomie ist Creapaper mit Sitz in Hennef. In Düren produziert die Firma Papier aus Gras. Die Gründer haben ein Verfahren entwickelt, mit dem Papierfabriken ihre Produkte aus Heu herstellen können. Und das ohne technische Anpassungen und zusätzliche Investitionen. „Wir versuchen, den Rohstoff für unsere Papierprodukte aus der Region um unseren Produktionsstandort Düren zu gewinnen“, erklärt der Leiter von Creapaper, Michael Krohek, auf der Webseite des Bioökonomiereviers. Er wendet sich an Kommunen und Landwirte, ob sie Creapaper Gras verkaufen, mit dem sie sonst kein Geld verdienen.

Klein- und Mittelständler sind "Treiber der Innovation"

Die vielen Klein- und Mittelständler seien „die Treiber der Innovation“, betont Ulrich Schurr. Die Hindernisse bei der Entwicklung von Projekten der Bioökonomie seien oft noch die gleichen wie vor 20 Jahren, so Schurr. Was sich aber geändert habe, sei die Vernetzung. Früher habe man oft in „isolierten Projekten“ gearbeitet. Heute verzahnen sich Forschung, Industrie und die Politik. Als Dialogforum und Netzwerk für Wissenschaft und Wirtschaft fungiert im Auftrag des NRW-Wirtschaftsministeriums „Bio NRW“. Der führende wissenschaftliche Akteur zur Bioökonomie in NRW ist das Bioeconomy Science Center, angesiedelt in Jülich. 2017 investierte das Land sieben Millionen Euro in das Kompetenzzentrum. NRW habe die Basis geschaffen, um in der Bioökonomie Vorreiter zu sein, sagt Ulrich Schurr. Die Aufbruchsstimmung müsse jetzt genutzt werden.

KStA abonnieren