Das EU-Parlament will Begriffe wie „Wurst“ oder „Schnitzel“ für Fleischersatz verbieten lassen. Viele wundern sich – auch in Köln.
Namens-Aus fürs Veggie-Schnitzel„Was ist denn mit Begriffen wie Babyöl, Kinderriegeln oder Leberkäse?“

In der Gaststätte „Bei Oma Kleinmann“ gibt es Schnitzel aus echtem Fleisch, aus Käse und Sellerie.
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Wurst ist nicht vegan, findet Bundeskanzler Friedrich Merz. So hat er es zumindest am Sonntagabend im Polit-Talk mit Caren Miosga ausgedrückt. Mit dieser Meinung ist er nicht alleine. Einer Yougov-Umfrage zufolge sagt jeder zweite Erwachsene hierzulande, dass Bezeichnungen wie Schnitzel oder Wurst ausschließlich für tierische Produkte verwendet werden sollten und pflanzliche Alternativen andere Namen tragen müssten. Auch das EU-Parlament hat sich am Mittwoch mit der Begrifflichkeit befasst und entschieden: Wurst darf nur Wurst heißen, wenn sie aus Fleisch besteht. Gleiches gilt für Schnitzel, Steak und anderes. Die Begründung der Regulatoren: Verbraucher sollten klar erkennen können, worum es sich bei dem Produkt, das sie verzehren, handelt.
Kölner Gastronomen wundern sich
„Wir Gastronomen haben diese Debatte immer eher belächelt. Wir nehmen unsere Gäste als kompetente Wesen wahr, die durchaus imstande sind zu merken, dass eine vegane Wurst eben nicht aus Fleisch besteht“, sagt Maike Block, Kölner Gastronomin und Geschäftsführerin der Interessengemeinschaft Gastro. „Was ist denn mit Begriffen wie Babyöl, Kinderriegeln, Leberkäse oder Scheuermilch? Ich verstehe nicht, warum nun gerade bei veganen Produkten das Verständnis aufhört.“ Die Bezeichnung „Wurst“ sei in Blocks Verständnis eher eine Zweckbeschreibung: eine runde Scheibe, die aufs Brot kommt. Ob die vom Schwein oder aus Soja sei, kriege man ja mit, wenn man liest, was auf der Verpackung steht.
In Köln sind vegane Alternativen beliebt. In Ehrenfeld hat im Sommer eine vegane Fleischerei eröffnet, die pflanzliche Frikadellen, Hack und Salami an der Frischetheke anbietet. Beliebt sind auch die Schnitzel-Alternativen der Kult-Gaststätte „Bei Oma Kleinmann“ aus Käse oder Sellerie. „Der Name ist Teil einer appetitanregenden Präsentation“, sagt Gastronomin Block. „Wenn wir jetzt sagen, du kriegst ein paniertes Stück Sellerie - das klingt nicht lecker.“

Maike Block von der IG Gastro in Köln sagt: „Der Name ist Teil einer appetitanregenden Präsentation.“
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Bislang dürfen Begriffe wie Wurst, Schnitzel oder Namen anderer typischer Fleischlebensmittel auch für pflanzliche Alternativen verwendet werden. Für vegane und vegetarische Lebensmittel gibt es keine rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnungen. Das stößt unter anderem beim Verband der Fleischwirtschaft auf Kritik. „Fleisch sollte als wertvolles tierisches Lebensmittel klar von anderen Artikeln unterschieden werden können, ohne dass man dadurch einen Kulturkampf entfacht“, sagt Geschäftsführer Steffen Reiter. Ein einfacher Weg wäre es, die Bezeichnung Fleisch klar zu schützen.
Industrie und Handel sprechen sich gegen das Verbot aus
Darum bemüht sich die EU nun. Doch der Widerstand ist groß. Mehrere Handelsunternehmen - darunter die Discounter Aldi Süd und Lidl, die Burgerkette Burger King sowie Hersteller wie Beyond Meat - haben sich in einem gemeinsamen Brief dagegen ausgesprochen. Die vertrauten Begriffe böten Orientierung und ermöglichten bewusste Kaufentscheidungen, heißt es darin. Ein Verbot würde den Verkauf erschweren. „Von dem drohenden wirtschaftlichen Schaden wäre Deutschland besonders betroffen.“ Dies sei der größte Markt für pflanzliche Alternativprodukte in Europa.
Ein Verbot würde die Transparenz im Regal mindern und die Innovationskraft eines wachsenden Marktsegments bremsen
In der Tat ist der Fleischersatz-Markt mit Produkte wie veganen Schnitzeln, Hack, Bratwurst und Wurst hierzulande in den vergangenen Jahren stark gewachsen. 2024 wurden laut Statistischem Bundesamt rund 121.600 Tonnen solcher Produkte hergestellt - vier Prozent mehr als im Vorjahr. Seit 2019 hat sich die Menge verdoppelt. Im Vergleich zur konventionellen Fleischproduktion ist der Markt für Fleischersatz aber noch relativ klein. Der Pro-Kopf-Konsum von Produkten wie Veggie-Burgern oder Tofuwurst lag 2024 bei 1,5 Kilogramm, bei echtem Fleisch waren es 53,2 Kilo. Der Fleischkonsum hierzulande war jahrelang rückläufig, ist zuletzt aber leicht gestiegen, vor allem durch Geflügel.
Münsterland ist wichtigste Fleischersatz-Region in NRW
Auch in Nordrhein-Westfalen werden immer mehr vegane Fleischersatzprodukte produziert, 2024 waren es 31.600 Tonnen. Das entspricht laut dem Landesstatistikamt IT.NRW einem Anstieg von knapp 250 Prozent gegenüber 2019. Führend bei der Herstellung ist die Region Münster, sie steht für fast zwei Drittel der Absatzmenge für die Produktion von Tofu und ähnlichen Erzeugnissen. FZM Vegan aus Lüdinghausen beispielsweise stellt sogar Döner-Drehspieße aus Erbsenprotein her.
Obwohl die Fleischalternativen nur einen Bruchteil des Marktes ausmachen, sind sie in der Lebensmittelindustrie fest verankert. In Köln ist gerade die größte Lebensmittelfachmesse zu Ende gegangen, die Anuga. In diesem Jahr gab es erstmals ein eigenes Segment für alternative Proteinquellen. Auf der „Anuga Alternatives“ wurden etwa Algen- und Insektenproteine gezeigt, pilzbasierte Proteine und sogar Fleisch aus Zellkulturen. Damit reagierte der Veranstalter Kölnmesse auf die wachsende Tendenz des Handels, das Sortiment an pflanzenbasierten Eigenmarken zu erweitern.
Haferdrink ist beliebtestes veganes Produkt bei Rewe
Die Kölner Rewe-Gruppe bietet in ihren Vollsortimentsmärkten durchschnittlich 1800 vegane Marken- und Eigenmarkenprodukte an. Das vegane Sortiment sei in den vergangenen Jahren stark ausgebaut worden, berichtet eine Sprecherin auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Rewe sei hierzulande die beliebteste Einkaufsstätte für pflanzenbasierte Ernährung, kein anderer Händler biete eine breitere Vielfalt, größere Verfügbarkeit oder verkaufe mehr pflanzliche Alternativen.
Bundesweit verkauft sich bei Rewe dem Konzern zufolge mit Abstand am besten der Haferdrink der Eigenmarke „Rewe Bio“ sowie der Tofu von „Rewe Bio+vegan“. Beste Markenartikel seien die Haferdrinks von Oatly und das vegane Schnitzel Cordon Bleu von Rügenwalder gefolgt von deren veganen Würstchen.
Rügenwalder Mühle macht mehr Umsatz mit Fleischalternativen als mit echter Wurst
Die Rügenwalder Mühle ist vom drohenden Verbot besonders betroffen. Seit 2014 bietet das Unternehmen neben Wurst und Schinken auch vegane und vegetarische Produkte an, ist eigenen Angaben zufolge deutscher Marktführer in diesem Segment. Das Sortiment umfasst 25 klassischen Fleisch- und Wurstwaren - und eben fast 60 vegetarische und vegane Alternativen. 2021 hat die Rügenwalder Mühle zum ersten Mal auf das gesamte Geschäftsjahr gesehen mehr Umsatz mit Fleischalternativen gemacht als mit echter Wurst.
Die kurzfristigen Umstellungskosten schätze man auf einen einstelligen, mittleren Millionenbetrag. Betroffen wären rund 60 Produkte, deren Namen und Verpackungen neu gestaltet werden müssten. Nach Einschätzung des Unternehmens könnten durch eine entsprechende EU-Regelung auch zweistellige Millionenbeträge im Jahr verloren gehen, weil bis zu 20 Prozent der Neukäufer abspringen könnten.
Auch andere Handelsketten wie Aldi Nord sowie der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels und der Lebensmittelverband Deutschland lehnen ein Verbot ab. Die Kölner Rewe-Gruppe sagt auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“: Die Verwendung etablierter Begriffe wie „Wurst“, „Schnitzel“ oder „Burger“ für pflanzliche Alternativen gebe Kunden eine klare Orientierung zu Geschmack, Konsistenz und Verwendung – ohne Irreführung. „Zahlreiche Studien und Marktdaten zeigen: Kundinnen und Kunden können tierische und pflanzliche Produkte eindeutig unterscheiden. Ein Verbot würde die Transparenz im Regal mindern und die Innovationskraft eines wachsenden Marktsegments bremsen“, sagt eine Sprecherin.
Die Rügenwalder Mühle nimmt das Urteil indes mit Humor. Auf der Social-Media-Plattform Instagram fragt das Unternehmen nach dem EU-Entscheid seiner Follower: Wie sollen denn jetzt die veganen Mühlen-Bratwürste heißen? Bratdings? Grillrolle? Die Kommentare unter dem Post sind durchaus kreativ. Einige Ideen: Vurst, Börga, Güros, Grillstange oder, ganz innovativ, vegane Mühlen-Söderchen. (mit dpa)