Weinbauern an der AhrFinanzamt verhinderte unbürokratische Hilfe

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Wein Weingarten

Im Angebot ist es auch „Flutwein“.

Ahrweiler – Wenn Daniel Koller über die deutsche Abgabenordnung (AO) referiert, wirkt er wie ein Steuerberater. Dabei musste der 32-jährige Marketing-Experte sich mühsam als Autodidakt in die Untiefen des elementaren Regelwerks der deutschen Finanzverwaltung einarbeiten. Koller hat nach dem tödlichen Hochwasser an der Ahr mit dem Winzer Peter Kriechel und einigen anderen die Flutwein-Spendenaktion ins Leben gerufen.

Die Katastrophe vom 14. auf den 15. Juli 2021 hat nicht nur 134 Menschen das Leben gekostet, sondern auch das wirtschaftliche Rückgrat der Region zerschmettert: zahlreiche Winzer standen vor dem Nichts, aus ihren Lagern konnten meist nur noch schlammverschmierte Flaschen geborgen werden. Mit der Weinwirtschaft soff die Gastronomie samt Tourismus ab. Die Hauptlebensader im Ahrtal drohte zu versiegen.

Flutwein sollte für unbürokratische Hilfe sorgen 

Durch die Flutwein-Kampagne wollten Koller und seine Mitstreiter den Ahr-Winzern unbürokratisch wieder auf die Beine helfen. Die Idee war simpel: Über eine Crowdfunding-Plattform verschickten die Initiatoren die Flutwein-Flaschen der betroffenen Betriebe. Die Spenden, so der Plan, sollten dann an die geschädigten Weinbauern gehen. Bis zum September 2021 hatte das Hilfsprojekt zirka 200.000 Flaschen bei fast 50.000 Spendern abgesetzt. 4,5 Millionen Euro schlugen letztlich zu Buche.

Ferner hatten Winzer aus anderen Regionen „Solidaritätsweine“ aufgelegt, die zusätzlich rund 1,5 Millionen Euro einbrachten. Eine weitere Million an Spenden erhöhte das Gesamtergebnis der Flutwein-Initiative auf rund sieben Millionen Euro. „Das war ein Riesenerfolg“, erzählt Koller. Doch dann trat der Fiskus auf den Plan. Das Wort „Problem“ will der Spendenorganisator möglichst vermeiden. Er spricht lieber von „Herausforderung“.

Denn so einfach, wie gedacht, durften die Flutwein-Hilfen nicht fließen. Das zuständige Finanzamt meldete Bedenken an. Die Aktion falle nicht unter den Gemeinnützigkeitsparagrafen der Abgabenordnung.

Während die Hilfswerke private Flutopfer etwa beim Wiederaufbau ihres Hauses problemlos mit Spenden unterstützen dürfen, gehen Unternehmen nach dem geltenden Steuerrecht weitestgehend leer aus. Das sieht selbst der Katastrophenerlass der Landesregierung von Rheinland-Pfalz vor. Demnach sind Unterstützungsleistungen zugunsten geschädigter Unternehmer „ausgeschlossen, als sie nicht den privaten, sondern den betrieblichen Schaden betreffen“. Einzig eine Soforthilfe von 5000 Euro je Flutopfer ist zulässig.

Regelrechtes Dilemma bei Flutwein-Kampagne

Der Flutwein-Verein stand nun vor einem regelrechten Dilemma: „Entweder wären die Spenden trotzdem ausgezahlt worden, dann hätten wir uns strafbar gemacht“, berichtet Koller. Oder aber 1,5 Millionen Euro an Steuern wären fällig geworden. Ein Unding, befindet der Mitorganisator. „Wie hätten wir denn all den Spendern erklären sollen, dass ein Drittel ihrer Zuwendungen in die Staatskasse fließen würden?“

Also bearbeiteten die Initiatoren monatelang die zuständige Finanzverwaltung nebst der Landesregierung in Mainz bis hin zu Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) in Berlin. „Die Crux ist doch, dass viele selbstproduzierende Weinbauern quasi ihre Lebensgrundlage verloren haben. Diese Menschen brauchten schnelle Hilfen, sonst müssen sie ihre Betriebe dicht machen“, erklärt Koller. Da stelle sich doch die Frage: „Welchen Tod will man sterben ?“

Seit Ostern fließt Geld an Ahr-Winzer

Die Verhandlungen mit den staatlichen Stellen zogen sich. Ein halbes Jahr ging ins Land, ehe im März 2022 der Fiskus den Beteiligten eine steuerliche Sondergenehmigung erteilte. „Billigkeitsmaßnahme“, nennt sich das im Bürokratendeutsch. Seit Ostern fließt das Geld an die betroffenen Winzer. Geprüft werden die Anträge schnell und unbürokratisch. Anscheinend wussten die politischen Ansprechpartner der Flutwein-Kampagne die Zeichen der Zeit noch nicht so recht zu deuten, meint Koller. „Viele erkannten das Problem, aber niemand fühlte sich wirklich verantwortlich.“

Aus seiner Sicht ist ein Umdenken in der Finanz-Politik dringend nötig. Der Klimawandel werde mehr Naturkatastrophen in kürzeren Zeitabständen nach sich ziehen. Die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg mit allen negativen Auswirkungen „machen es dringend nötig, die Not- und Katastrophenhilfe in jeder Hinsicht als gemeinnützigen Akt in die steuerliche Abgabenordnung aufzunehmen, so dass es eine Rechtssicherheit gibt und die Spenden-Initiativen nicht mehr auf Einzelerlasse oder Verordnungen hoffen müssen.“

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In dem Zusammenhang sieht Martin Georgi, Vorsitzender des Deutschen Fundraising Verbandes, insbesondere Bundesfinanzminister Lindner in der Pflicht, die Spendenparagraphen zu modernisieren. Der FDP-Politiker müsse sich fragen lassen, so Georgi, „ob er als Liberaler, der für mehr Eigeninitiative und privates Engagement steht, das Engagement wie seine untätigen Vorgänger weiter ausbremsen möchte, oder mit einer Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts das volle Potenzial der Zivilgesellschaft erschließen möchte. Angesichts der Klimakatastrophe und unruhiger Zeiten werden wir in Zukunft noch mehr auf schnelle und flexible Hilfsmöglichkeiten angewiesen sein.”

Verbesserungsvorschläge

Folgende Schritte sind aus Sicht des Deutschen Fundraising Verbands dringend notwendig:

1. Eine sofortige Ergänzung der Zwecke in der Abgabenordnung um den Zweck „Not- und Katastrophenhilfe“ – statt befristeter Ausnahmeregelungen bei jeder Katastrophe.

2. Eine grundsätzliche Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrecht, das stärker auf Vertrauen in die Organisationen setzt, den Kreis der Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen bei Katastrophen erweitert und Prüfungen auf einige wenige Negativkriterien beschränkt.

3. Eine stärkere Zusammenarbeit nicht nur zwischen Organisationen in der Krise, die schon sehr gut funktioniert, sondern auch eine bessere Transparenz und Absprache durch staatliche Geldgeber und Versicherungen, zum Beispiel Dokumentation von Leistungen in einer gemeinsamen Datenbank, um Organisationen zu ermöglichen, schneller Hilfe zu leisten (etwa durch Vorschüsse und Vorabzahlungen).

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