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Ein Jahr nach der FlutWo wurde gehandelt, was waren leere Versprechungen?

Lesezeit 4 Minuten
Blessem

Ein Foto zeigt, wie dramatisch die Lage in Erftstadt-Blessem war.

Düsseldorf – Die Sommer-Flut im Juli 2021 war die schlimmste Naturkatastrophe in der Geschichte des Landes NRW. 49 Menschen kamen uns Leben, in den verwüsteten Orten an den Flussläufen gab es Schäden in Milliardenhöhe. Unter dem Schock der Tragödie kündigten zahlreiche Vertreter der damaligen schwarz-gelben Landesregierung von NRW umfangreiche Aufarbeitung an. Welche Konsequenzen wurden gezogen? Was waren leere Versprechungen? Eine Analyse.

Fehler eins: Warnungen wurden nicht ernst genommen

Während renommierte Meteorologen wie der Schweizer Jörg Kachelmann schon ab dem 11. Juli vor den drohenden Niederschlägen gewarnt hatten, wechselte das Land nicht in den Alarm-Modus. Wie sich im Untersuchungsausschuss des Landtags zur Aufarbeitung der Flut-Katastrophe herausstellte, war der einzige Mitarbeiter, der im Umweltministerium das Modell zur Hochwasser-Vorhersage bedienen konnte, im Urlaub. Eine weitere Panne: Der hydrologische Lagebericht, der die Kommunen vor Überflutungen hätte warnen können, wurde nicht weitergeleitet.

Alles zum Thema Herbert Reul

Konsequenz:  Das Umweltministerium gelobt Besserung. So wurden in einem Workshop mit dem Deutschen Wetterdienst neue Meldewege vereinbart. Schwer verständliche hydrologische Fachausdrücke sollen künftig so übersetzt werden, dass auch Laien sie verstehen. Die Daten der Hochwassermeldepegel sollen künftig für alle Bürger über die App „MeinePegel“ abrufbar sein.

Fehler zwei: Menschen wurden zu spät informiert

Weil Sirenen nicht vorhanden waren oder nicht funktionierten, wurden viele Flussanlieger von dem Hochwasser in den Abendstunden überrascht. Lautsprecherdurchsagen der Feuerwehr gab es nur sporadisch oder kamen zu spät. Der öffentlich-rechtliche WDR sah sich nicht veranlasst, das Programm zu unterbrechen.

Die Konsequenz: Innenminister Herbert Reul (CDU) berief ein Kompetenzteam, das ein 15-Punkte-Programm vorlegte. Die wichtigsten Eckpunkte: Das Land soll per Knopfdruck Zugriff auf das Radioprogramm bekommen – dafür muss allerdings erst noch das Landesmediengesetz geändert werden. Positiv: Die Zahl der Sirenen wurde von 5184 auf 5577 erhöht. Der Probealarm zu festgelegten Uhrzeiten wurde abgeschafft, der  Dauerwarnton soll „zum Weckruf“ für die Bevölkerung bei drohender Gefahr werden. Auch der Katastrophenschutz soll besser aufgestellt werden. Wenn Schwarz-Grün das Katastrophenschutzgesetz novelliert, soll das Land mehr Zuständigkeiten bekommen. Ob das der richtige Weg ist, ist bei Experten aber umstritten. 

Fehler Drei: Die Gewalt von kleinen Flüssen und Bächen wurde massiv unterschätzt, Talsperren boten keinen Hochwasserschutz

Während es am Rhein ein Hochwasserwarnsystem gibt, das hohe Pegelstände auf Tage im Voraus präzise vorhersagen kann, waren die kleinen Flüsse und Bäche in den Flusstälern der Mittelgebirge nicht auf dem Radar der Hochwasserschutz-Planung. Auch die Wasserverbände gerieten in die Kritik. So entstanden im Unterlauf der Wupper Millionen-Schäden, weil der Hochwasserschutz der Talsperren versagte.

Konsequenz: Ex-NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) erhöhte den Etat für den Hochwasserschutz. 2022 sollen 35 Millionen Euro zusätzlich für den Bereich ausgegeben werden. Ihr 10-Punkte-Plan lässt aber vieles im Vagen. So befinden sich die neuen Hochwasservorhersagesysteme des Landesamts für Natur-, Umwelt- und Verbraucherschutz „derzeit noch im Aufbau“. Für die Gewässer Rur, Ruhr, Sieg, Erft, Lippe, Ems, Werre, Nethe und Emmer sowie Issel, Dinkel und Berkel soll ein „Testbetrieb“ eingeführt und der Bereich Eifel-Rur zur Modellregion für ein „Hochwasserwarnsystem für die Mittelgebirgsflüsse Nordrhein-Westfalen“ werden. Das ist gut, nützt vielen anderen Flussanliegern in Risikogebieten allerdings nur wenig.

Bei den Wasserverbänden hält sich die Reue in Grenzen. So sieht zum Beispiel der Wupperverband bei sich keinerlei Mitschuld am Ausmaß der Schäden in Wuppertal und Leichlingen. Eine Expertise kommt zu dem Ergebnis, in der  Talsperren-Steuerung habe es keine Fehler gegeben. Das Gutachten war allerdings vom Wupperverband selbst beauftragt worden.

U-Ausschuss setzt Arbeit fort 

Der Untersuchungsausschuss zur Jahrhundert-Flut wird seine Arbeit auch in der kommenden Legislaturperiode fortsetzen. Bislang fehlt ein Abschlussbericht, Schlussfolgerungen für den künftigen Katastrophenschutz sollen später von einer Enquete-Kommission erarbeitet werden.

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Nicht nur die Flut selbst, sondern auch der politische Umgang mit der Katastrophe sorgte für Verwerfungen. So geriet die schwarz-gelbe Landesregierung kurz vor der Landtagswahl in eine schwere Krise, als die so genannte „Mallorca-Affäre“ ans Licht kam.

Durch Recherchen unserer Zeitung hatte sich herausgestellt, dass sich drei Landesminister in der Hochphase der Flut getroffen hatten, um auf der Balearen-Insel an einer Geburtstagsfeier teilzunehmen, die Heinen-Esser für ihren Ehemann organisiert hatte. Dass die Zusammenkunft stattgefunden hatte, hatte die Ministerin bei ihrer Aussage vor dem Untersuchungsausschuss für sich behalten. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst nahm ihr Rücktrittsangebot an. Nachdem in der Folge der Landtagswahl ein schwarz-grünes Regierungsbündnis gebildet wurden, wird das Umweltressort künftig von den Grünen geleitet.  

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