Was früher Werkswohnung hieß und zuletzt keinen allzu guten Ruf hatte, wird angesichts der Wohnungsnot wieder attraktiv. In Köln wird schon für Mitarbeiter gebaut.
Wohnen beim ChefDie Werkswohnung feiert in Köln ihr Comeback

Ralf Chroscinski vor seiner zukünftigen WSK-Wohnung in der Weinsbergstraße am Melatengürtel.
Copyright: WSK
Für Ralf Chroscinski ist sein Arbeitgeber seine Heimat. Das war schon immer so. Denn der kleine Ralf kam 1967 in Köln-Ehrenfeld zur Welt, in einer Wohnung der Kölner Stadtwerke, genauer gesagt der Wohnungsgesellschaft der Stadtwerke Köln (WSK). Die Quartiere waren gerade frisch gebaut und in den späten Wirtschaftswunderjahren heiß begehrt. Nicht nur wegen der günstigen Mieten, sondern wegen der guten Ausstattung, dem durchdachten Schnitt, dem Spielplatz hinterm Haus. Der Papa arbeitete bei der KVB. Die Nachbarn auch. „Klar, ist hier jedes Gespräch nach dem FC und den Haien auf die KVB gekommen“, erinnert sich Chroscinski. Gestört hat ihn das nie.
Im Gegenteil. Er spielte gerne in den KVB-Betriebsmannschaften Fußball. Am liebsten die firmeninternen Derbys. „Betriebshof gegen Busbahnhof“, erinnert sich Chroscinski. Und als der Berufswunsch aufkam, Elektriker zu werden, sagte der Vater: „Das kannst du auch bei der KVB machen.“
Werkswohnungen: In den 2000er-Jahren aus der Mode gekommen
Ja, warum denn nicht? Zwei weitere Azubis im Ausbildungsjahrgang stammen aus der direkten Nachbarschaft. Ralf Chroscinski wird also KVBler, auch sein Sohn kommt 1995 in eben der WSK-Wohnung in Köln-Ehrenfeld zur Welt, in der er aufgewachsen ist und die er später von den Eltern übernahm.
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Zu dieser Zeit sind Werkswohnungen vielerorts aus der Mode gekommen. In die Konzernlogik passen die kapitalintensiven Immobilienportfolios nicht mehr. Bayer schlägt seine 9500 Werkswohnungen im Jahr 2002 los, auch die Fordsiedlung in Köln-Niehl wechselt Anfang der 2000er-Jahre den Besitzer. Viele Siedlungen sind zudem in die Jahre gekommen. Auch bei der WSK. „Es wurde zu wenig investiert, die Qualität der Wohnungen war schlecht, teilweise entstanden dort soziale Brennpunkte“, gibt Bernd Preuss, Leiter der Wohnungsgesellschaft, unumwunden zu.

Bernd Preuss, Leiter der Wohnungsgesellschaft der Stadtwerke Köln (WSK)
Copyright: Oliver Tjaden/WSK
Damals stand man auch bei den Stadtwerken vor der Frage, ob man die Mitarbeiterwohnungen aus der Hand geben soll. „Statt zu verkaufen, sind wir einen anderen Weg gegangen und haben dreistellige Millionenbeträge investiert“, erinnert sich Preuss.
Ein unschlagbares Kombi-Angebot
Jetzt zahlt sich das aus. Für die Mitarbeiter, aber auch für die Stadtwerke. „Den demografischen Wandel gibt es ja nicht erst seit gestern“, sagt Preuss. Der war damals schon absehbar. Und natürlich müssten auch die Stadtwerke deutschlandweit nach Nachwuchs suchen. Da sei es von Vorteil, wenn der potenzielle neue Mitarbeiter beim zweiten Bewerbungsgespräch auch gleich seine künftige Wohnung besichtigen könne und die passende Kita noch dazu. „Und wenn dann alles klappt, unterschreibt er bei uns gleich zwei Verträge: einen Arbeitsvertrag und einen Mietvertrag“, so Preuss. Jeder Zweite, der neu bei den Stadtwerken anfängt, nimmt das Angebot an und bezieht zum Start eine WSK-Wohnung. Das Kombi-Angebot sei „unschlagbar“, ist Bernd Preuss überzeugt.
Jeder zehnte Stadtwerker wohnt in Firmenwohnungen
Das macht nicht nur den Ortswechsel leichter, es bindet die Mitarbeiter auch. „Wir haben nicht nur Wohnungen für Azubis, sondern für jede Lebenslage“, sagt der WSK-Chef. Insgesamt knapp 2000 Wohnungen betreibt die Gesellschaft, jeder zehnte Angestellte der Stadtwerke lebt in einer von ihnen, allein oder mit Familie, vorübergehend oder auf Dauer. „Und die Nachfrage ist noch viel größer“, so Preuss. Rund 800 weitere Wohnungen werden laut Personalplanung in den kommenden Jahren gebraucht. 400 hat die WSK als Neubauten bereits vorgesehen, rund die Hälfte des Bestands soll außerdem sukzessive umfassend saniert werden.
So wie die neue Wohnung von Ralf Chroscinski. Denn mittlerweile lebt die vierte Generation der Chroscinskis bei der WSK in Ehrenfeld. Auch der Sohn arbeitet für die KVB, auch er hat die elterliche Wohnung gerne übernommen. Der Enkel ist noch keine drei Monate alt. Da möchte auch der frisch gebackene Opa wieder zurück in die Siedlung seiner Kindheit. „Wegen der Nähe zum Enkel und aus Verbundenheit zum Viertel“, erzählt Ralf Chroscinski: „Da fühle ich mich zu Hause.“ Keine zwei Monate hat es gedauert, bis ihm über das Mitarbeiterportal eine passende Wohnung am Melatengürtel angeboten wurde. Bis zum Jahresende muss Chroscinski allerdings noch warten, so lange dauert die Generalsanierung. Doch das Warten lohnt sich.
Miete bei der WSK liegt rund ein Drittel unter dem ortsüblichen Schnitt
Die Erneuerung senkt dann die sogenannte „zweite Miete“, die Kosten für Heizung, Wasser, Strom. Über die erste Miete haben die Stadtwerker sowieso nicht zu klagen. Die liegt rund ein Drittel unter der ortsüblichen Vergleichsmiete. Im Neubau kann das schon einmal eine Ersparnis von sechs Euro je Quadratmeter ausmachen. Wer den Arbeitgeber Stadtwerke verlässt, kann seine Wohnung behalten, muss dann in den meisten Fällen aber die marktübliche Miete zahlen.
Möglich werden die guten Konditionen, weil die WSK keine Gewinne erwirtschaften muss. „Wir schreiben eine schwarze Null und geben jeden wirtschaftlichen Vorteil darüber hinaus weiter“, verspricht Geschäftsführer Preuss. Das funktioniert auch, weil die einzelnen Gesellschaften der Stadtwerke sich sogenannte Belegungsrechte sichern, also Ansprüche auf Wohnungen der WSK. Die KVB hält mit rund 700 Einheiten die meisten, 500 Wohnungen stehen für Rheinenergie-Mitarbeiter zur Verfügung, der Rest verteilt sich auf die kleineren Gesellschaften. Das schafft Planungssicherheit.
„Heute muss man sich nicht mehr schämen, wenn man bei der WSK wohnt“
Die WSK profitiert zudem davon, dass sie häufig innerstädtische Flächen der Stadtwerke zum Bau nutzen kann. So entstand etwa auf dem Gelände der ehemaligen Wendeschleife an der Endhaltestelle der Stadtbahn-Linie 9 am Hermeskeiler Platz ein schicker Neubau, der sogar die Architektur-Auszeichnung „Wohnbauten des Jahres“ eingeheimst hat. Mit der grauen Mietskaserne von einst haben diese Wohnungen nichts mehr zu tun. „Heute muss man sich nicht mehr schämen, wenn man bei der WSK wohnt“, sagt Bernd Preuss, die Mitarbeiterwohnungen seien ganz im Gegenteil „die Visitenkarte des Unternehmens“ geworden.

So schön wohnen Angestellte der Stadtwerke im WSK-Neubau am Hermeskeiler Platz.
Copyright: Annika Feuss/WSK
So sieht man das längst nicht nur bei den Kölner Stadtwerken. Auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) hat erst vor wenigen Jahren neue Mitarbeiterwohnungen gebaut. An der Oscar-Jäger-Straße im Übergang von Ehrenfeld nach Braunsfeld stehen 29 Wohnungen für insgesamt 35 Mieter zur Verfügung. DRK-Sprecher Ismail Bulut nennt sie „unseren Joker bei der Mitarbeiter-Akquise“. Die Apartments und WG-Zimmer sollen vor allem Neulingen den Umzug in die Domstadt ermöglichen. Der Anreiz hat sich längst herumgesprochen. „Viele Bewerber erkundigen sich schon im Vorstellungsgespräch, ob eine Wohnung frei ist“, sagt Bulut. Pflegefachkräfte und Notfallsanitäter haben gute Chancen. Für Neuankömmlinge in diesen besonders gefragten Mangelberufen hält das Kölner DRK immer Wohn-Plätze frei.
Mietnachlässe müssen nicht als geldwerter Vorteil versteuert werden
Mittlerweile hat auch die Politik das Thema für sich entdeckt. Industrie- und Handelskammern werben in Veranstaltungsreihen für das Konzept Mitarbeiterwohnen, eine IW-Studie im Auftrag des Bundesbauministeriums kommt Ende 2024 zu dem Schluss: „Der Bedarf ist da und erste gute Beispiele zeigen, wie derartige Projekte erfolgreich realisiert werden können.“ Ein Beispiel, das die Experten lobend erwähnen: die Kölner WSK.
Dort freut man sich über den Rückenwind aus der Politik. Geholfen hat vor allem, dass die preiswerte Überlassung von Wohnraum bis zu einem Drittel unter der ortsüblichen Miete seit 2019 nicht mehr als geldwerter Vorteil versteuert werden muss. Bedeutet: Die Mitarbeiterwohnung lohnt sich deutlich mehr als ein pauschaler Wohnungszuschuss, der versteuert werden muss.
Nur fünf Prozent der Unternehmen in Deutschland bieten ihren Mitarbeitern Wohnraum an
Ganz richtig, findet Bernd Preuss. Der Arbeitgeberzuschuss baut keine Wohnung. „Er verschärft nur den Konflikt auf dem Wohnungsmarkt und heizt die Mieten weiter an.“ Unternehmenseigene Wohnungsbaugesellschaften schaffen dagegen Wohnraum, wo er besonders gebraucht wird. Nämlich zwischen dem öffentlich geförderten Sozialbau und dem Luxussegment, das die Immobilienentwickler so gerne bedienen. Trotzdem bieten nur gut fünf Prozent der Unternehmen in Deutschland ihren Angestellten direkt Wohnraum an. Warum eigentlich? „Ein Mentalitätsthema“, glaubt Preuss. Die Macher-Typen in den kleinen und mittleren Betrieben ließen sich eher darauf ein. Konzerne seien häufig zu schwerfällig.
Und Ralf Chroscinski, will der in seiner neuen WSK-Bleibe am Melatengürtel auch in die Rente gehen? Finanziell attraktiv wäre das. Denn von den günstigen Mietkonditionen profitieren auch ehemalige Mitarbeiter der Stadtwerke. Chroscinski lächelt, bis dahin sei es noch eine Weile hin. „Ja, das ist mein Plan“, sagt er. „Allerdings kann im Leben viel passieren, da will ich keine Prognose geben.“