Viele Nutzer haben sich von der Plattform X zurückgezogen. Der Meta-Dienst Threads kommt dem Musk-Netzwerk inzwischen erstaunlich nahe. Über den Zerfall der „Internet-Öffentlichkeit“.
X, Bluesky, ThreadsWarum Kurznachrichtendienste immer langweiliger werden

Die Kurznachrichtendienste Mastodon, Threads, Bluesky und X (im Uhrzeigersinn). Patricia
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Früher einmal war die Social-Media-Welt noch ziemlich übersichtlich. Jede Art von Inhalt und Austausch hatte ihren festen Platz: Influencer tummelten sich auf Instagram, TikTok oder Twitch, Freunde auf Facebook - und auf dem Kurznachrichtendienst Twitter wurden die großen politischen Themen debattiert.
Ein Massenphänomen war das Netzwerk in Deutschland zwar nie. Aber Staatsoberhäupter aller Welt nutzten den Dienst seit jeher als Sprachrohr für ihre eigenen Belange, ebenso wie Journalisten, Unternehmer oder Netzaktivisten. Diskussionen und selbst die steilsten Thesen, die auf Twitter veröffentlicht wurden, schafften es nicht selten in die politische Debatte.
Heute ist die Lage weitaus komplizierter: Seit dem Kauf der Plattform durch den Tech-Milliardär Elon Musk im Herbst 2022 hat Twitter (das heute X heißt) einen Großteil seiner Nutzerschaft verloren. Und: Zahlreiche Alternativen ringen seither um die Gunst der Nutzerinnen und Nutzer. Aktuelle Untersuchungen geben Aufschluss darüber, wie erfolgreich das ist – und wie das die Online-Debattenkultur verändert.
Deutsche Unternehmen ziehen sich von X zurück
Der Branchenverband Bitkom hat die aktuelle Stimmung rund um Elon Musks Dienst X kürzlich in einer repräsentativen Befragung aus Unternehmenssicht unter die Lupe genommen. Laut der Umfrage unter 602 Unternehmen aller Branchen ab 20 Mitarbeitenden wird deutlich: Viele meiden die Plattform inzwischen – und Musk selbst hat daran großen Anteil.
58 Prozent der befragten Unternehmen veröffentlichen laut der Umfrage auf X inzwischen weniger Beiträge oder haben das Posten gänzlich eingestellt. 32 Prozent posten im gleichen Umfang wie zuvor, nur drei Prozent posteten mehr oder haben erst nach Musks Übernahme damit begonnen. Insgesamt nutzen laut Bitkom nur noch 27 Prozent der befragten Unternehmen X – im Oktober 2023 waren es noch 32 Prozent.
Auch ihr finanzielles Engagement haben viele deutsche Unternehmen reduziert: 51 Prozent schalten auf X inzwischen weniger oder gar keine kostenpflichtigen Anzeigen mehr (2023: 26 Prozent). 63 Prozent halten Musk, der zeitweise als Trump-Berater aktiv war, gar für gefährlich. 74 Prozent meinen, dass Personen mit so viel Einfluss auf soziale Medien wie Musk keine politischen Ämter übernehmen sollten. „Viele Unternehmen gehen auf Abstand, wenn jemand gleichzeitig massive wirtschaftliche, politische und mediale Macht auf sich vereint“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder zu den Ergebnissen.
Threads ist X auf den Fersen
Zu beobachten ist, dass das fehlende Engagement bei X inzwischen von anderen Plattformen aufgefangen wird. Laut einer aktuellen Analyse des Webanalyse-Unternehmens Similarweb hat X zwar noch immer 132 Millionen täglich aktive Nutzerinnen und Nutzer und bleibt damit weiterhin der beliebteste Kurznachrichtendienst. Allerdings ging das Wachstum im Jahresvergleich um 15,2 Prozent zurück.
Das freut insbesondere den X-Klon Threads des Meta-Konzerns. Dieser verzeichnete im Juni 2025 über seine mobile App für iOS und Android 115 Millionen täglich aktive Nutzerinnen und Nutzer, was einem Wachstum von 127,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Damit ist Threads nur noch knapp hinter X. Der Dienst hatte im Sommer 2023 das Licht der Welt erblickt, seit Dezember 2023 ist das Netzwerk auch in der EU verfügbar.
Die zunehmende Aktivität lässt sich auch bei einem Blick ins Netzwerk beobachten. Auf Threads hat sich auch im deutschsprachigen Raum eine kleine, aber aktive Community gebildet, die sich jedoch von der früheren Twitter-Nutzerschaft unterscheidet. Beiträge, die im Netzwerk erfolgreich werden, sind häufig weniger politisch – auch Politiker und Medien sind noch nicht vollzählig auf der Plattform vertreten. Dafür verbreiten sich häufig Memes und Kurzvideos – und auch Influencerinnen und Influencer, die zuvor womöglich gar nichts mit Twitter zu tun hatten, haben die Plattform als Ausspielweg entdeckt.
Bluesky schwächelt nach anfänglichem Hype
Die Meta-Plattform Threads ist aber nicht der einzige Kurznachrichtendienst, der sich als X-Alternative positioniert. Auch die Plattform Bluesky erlebte zeitweise rekordverdächtige Anmeldezahlen. Bei dem Dienst handelt es sich um ein Netzwerk mit dezentraler Infrastruktur, das aus einem Nebenprojekt von Twitter entstanden war und dann in ein eigenes Unternehmen überführt wurde. Das zugrunde liegende AT Protocoll kann auch von anderen Entwicklerinnen und Entwicklern genutzt werden, um eigene Netzwerke zu entwickeln, die dann untereinander kommunizieren können.
Nach einem kurzzeitigen Hype lässt sich allerdings auch feststellen: Die große Euphorie für die dezentrale X-Alternative ist ein wenig abgeflaut. Im Juni wuchs das Netzwerk laut den Zahlen von Similarweb zwar im Jahresvergleich um beachtliche 372,5 Prozent, die Zahl der weltweiten täglichen aktiven Nutzer liegt aber bei nur 4,1 Millionen – ein Bruchteil der Zahlen von X und Threads. Insgesamt hat Bluesky zu diesem Zeitpunkt nach eigenen Angaben 37 Millionen registrierte Nutzerinnen und Nutzer. Auch andere Statistiken spiegeln den Trend wider: Laut Jaz‘ Bluesky-Index, der Statistiken zu Bluesky-Aktivitäten und -Engagement liefert, sind die Beiträge und Interaktionen auf der Website häufig geringer als noch zur Hochphase der Plattform im November vergangenen Jahres, als Bluesky nach dem Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen großen Zulauf erfuhr.
Eine noch kleinere Rolle spielt das deutsche Netzwerk Mastodon, das Teil des dezentralen Fediverse ist und auf dem Activitypub-Protokoll basiert. Zur Plattform gibt es zwar keine vergleichbaren Wachstumszahlen, im vergangenen Herbst hatte das Netzwerk jedoch eine Gesamtnutzerzahl von 15 Millionen – und ist damit im Vergleich zu den anderen Diensten ein Zwerg.
Tech-Milliardäre haben weiter das Sagen
Interessant sind die Zahlen durchaus, denn sie zeigen: Internetnutzerinnen und -nutzer weltweit setzen weiterhin lieber auf die Plattformen der Tech-Milliardäre – weniger auf dezentrale Alternativen. Daran haben auch die Ereignisse der vergangenen Monate offenbar nichts geändert.
Elon Musk hatte Twitter nach seiner Übernahme im Herbst 2022 zu einem Netzwerk umgebaut, auf dem neben Desinformationen und Verschwörungserzählungen auch hasserfüllte Inhalte grassieren. Mithilfe der Plattform hatte sich der Milliardär schließlich gar zum Berater des neuen US-Präsidenten hochgearbeitet. Dennoch scheint X weiter eine wichtige Kommunikationsplattform zu bleiben, insbesondere auch im internationalen politischen Austausch: Bundeskanzler Friedrich Merz hat bis heute einen aktiv geführten Account auf X, ebenso wie sein Außenminister Johann Wadephul und viele Bundesministerien.
Dass ausgerechnet der neue Meta-Konkurrent Threads boomt, ist auch mindestens bemerkenswert: Zwar hatte sich Meta-Chef Mark Zuckerberg anfangs als Gegenpol zum unberechenbaren Tech-Milliardär Musk positioniert, zeitweise sogar einen möglichen Käfigkampf mit seinem Konkurrenten ins Spiel gebracht. Inzwischen jedoch hat sich der Meta-Chef ebenfalls deutlich auf die Seite Donald Trumps geschlagen. Ein politisches Engagement, das Nutzerinnen und Nutzer jedoch wenig zu stören scheint.
Bluesky mit homogener Nutzerschaft
Der Grund, dass Alternativen wie Bluesky oder Mastodon noch nicht richtig durchstarten, könnte an ihrer homogenen Nutzerschaft liegen. Auf Bluesky und Mastodon versammeln sich viele Nutzerinnen und Nutzer, denen der nicht-kommerzielle, dezentrale Gedanke wichtig ist. Auch posten dort Politiker, Journalisten oder Aktivisten, die den Kurs von Musk und seiner Plattform X nicht weiter unterstützen wollen. Auf Mastodon sind derweil viele Netzaktivisten und Vertreter der IT-Branche vertreten. Die jeweiligen Nutzerschaften sind sich in ihrer Haltung also sehr einig.
Viele Stimmen aus dem konservativen und rechten Lager sind hingegen nicht mitgezogen und posten bis heute weiter auf der Plattform X. Debatten auf den Netzwerken bewegen sich also häufig in ihrem ganz eigenen Dunstkreis, was sie für ein breites Publikum weniger interessant machen dürfte.
Die Studie „Politik und Polarisierung auf Bluesky“ der Universität Zürich und der finnischen Aalto-Universität hatte kürzlich den Stand des politischen Diskurses und der Polarisierung auf Bluesky untersucht. Auch sie kam zu dem Ergebnis, dass Diskussionen auf der Plattform typischerweise von einer politisch homogenen Nutzerbasis dominiert werden. Laut den Forscherinnen und Forschern könnte die Entwicklung auch symbolisch für die Zersplitterung des Online-Raums stehen.
Die Online-Debattenkultur zersplittert
„Anstatt, dass sich tief gespaltenen Gruppen auf einer einzigen Plattform begegnen, erleben wir möglicherweise die Entstehung eigenständiger Online-Räume wie Truth Social oder (...) Twitter/X, in denen die Nutzer in politischen Fragen weitgehend übereinstimmen. In diesem Szenario werden die digitalen Plattformen selbst politisch homogener und bedienen jeweils relativ gleich gesinnte Communitys“, schreiben die Autorinnen und Autoren.
Infolgedessen nehme der Konflikt zwischen gegensätzlichen Ansichten ab – nicht etwa, weil die umgebende Polarisierung abgenommen hätte, sondern weil Menschen mit unterschiedlichen politischen Einstellungen zunehmend in getrennte, sich selbst verstärkende digitale Umgebungen abgeschottet würden.
Das bedeutet: Alternativen zu Musks Plattform X gibt es zwar inzwischen, und sie erfreuen sich immer größer Beliebtheit. Mit dem „alten Twitter“, auf dem teils breit diskutierte Debatten angestoßen wurden, haben sie allerdings wenig zu tun.