„Wir sind verwöhnt“

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Christoph Schepers wohnt seit neun Jahren in Brauweiler.

Christoph Schepers wohnt seit neun Jahren in Brauweiler.

Die Brauweiler reagieren unterschiedlich auf die geplante Neugestaltung des Guidelplatzes in der Ortsmitte.

Pulheim-Brauweiler - „Nicht schon wieder die Abtei!“, werden einige nun denken. Doch ob man will oder nicht: Brauweiler ist ohne sie nicht denkbar. Nun hat das historische Gebäude dem Ort nicht nur Glanz beschert. Vor allem in den 30er Jahren war das Dorf fast schon gebrandmarkt. Wer den Satz „Ab nach Brauweiler“ zu hören bekam, der hatte denn auch nichts Gutes zu erwarten. Unfreiwillig traten die mit den drei Worten abgestempelten Kleinkriminellen, Alkoholiker und Obdachlose den Weg an, um für kurz oder lang weggesperrt zu werden.

Das Kapitel ist abgeschlossen, doch die Erinnerung ist haften geblieben. „Es war eine schreckliche Zeit. Alle Freunde und Verwandten haben gefragt, warum wir denn ausgerechnet nach Brauweiler ziehen müssten. Tatsächlich war mit dem Namen Brauweiler etwas Negatives verbunden“, sagt Peter Schreiner.

Der Vorsitzende des Pulheimer Geschichtsvereins vertritt sich im idyllischen, ruhig gelegenen Abteipark die Beine. Nicht weit vom sagenumwobenen Maulbeerbaum erinnert sich der pensionierte Lehrer, der 1969 eine Stelle in der alten Hauptschule (heute Richeza-Grundschule) antrat und für sein Leben gern in Brauweiler lebt, an die verbalen Pöbeleien, die bei den Führungen durch die Arbeitsanstalt in den 60- und 70-er Jahren aus dem längst verschwundenen Zellenanbau schallten. „Die Gruppen erlebten live, was ein Landeskrankenhaus war.“

Dreifacher Mörder

Noch lebhafter erinnert sich Schreiner an die Szene, die sich bei einer Führung in der Abteikirche St. Nikolaus abgespielt hat: Plötzlich habe ein recht junger Mann ein Streichholz gezückt, es blitzschnell angezündet und an die Altardecke gehalten. Im letzten Moment habe man den Mann zurückhalten können. Der habe gedroht, er werde seinen „Ballermann holen“ und alle erschießen. Schreiner: „Das war ein dreifacher Mörder, der seine Frau und die beiden Kinder getötet hatte.“

An der Ehrenfriedstraße und der Kaiser-Otto-Straße herrscht reges Treiben. Hier und da bilden sich kleine Grüppchen. Die Frauen und Männer tauschen Neuigkeiten aus Familie und Nachbarschaft aus. Nach einem kurzen Plausch gehen sie ihrer Wege und verschwinden in einem der Geschäfte. Anders Lothar Weinmiller. Der 69-Jährige ist nach einem Abstecher in den Computerladen auf dem Weg zu seinem Auto, das auf dem Parkplatz zwischen Kaiser-Otto-Straße und Guidelplatz steht.

Altes Gasthaus

1974 hat es Weinmiller aus beruflichen Gründen nach Brauweiler verschlagen, in die Siedlung Am Bergerhof, die gerade im Bau war. Weinmiller erinnert sich an einen kleinen, überschaubaren Ort mit dem alten Gasthaus „Haus Vogel“ und der ein oder anderen Wohnsiedlung, etwa die Siedlung am Mühlenacker. Auch für Weinmiller spielt die Abtei eine zentrale Rolle als Zentrum eines gewachsenen Ortes, wie er betont. „Ich habe mich im Freundeskreis Abtei Brauweiler engagiert, weil ich gesagt habe: Es ist ein Glück, dass wir diese wunderschöne Abtei haben, und ich möchte helfen, kulturelles Leben dorthin zu bringen.“ Doch das historische Gemäuer ist längst nicht alles, was Weinmiller für Brauweiler einnimmt. „Der Ort ist facettenreich. Es ist die Kombination aus Stadtnähe und Landleben. Wir haben noch einen alten Bauernhof mitten im Ort an der Bernhardstraße, ein kulturelles Zentrum, den Wald bei Dansweiler, den ich intensiv nutze. Wir wohnen hier wirklich ruhig, wir sind wirklich verwöhnt.“

Sichtlich angetan von Brauweiler, wo sie sich fühlt wie in einer Familie, ist auch Gabriele Rey-Balcerzak. Die 54-Jährige ist gerade auf dem Weg in die Ortsmitte. Still ist es am Rosenhügel mit seinen alten Häusern. Genau diese Ruhe schätzt die Frau, die vor 18 Jahren mit ihrem Mann nach Brauweiler gezogen ist - in ein Haus mit Garten, wegen der drei Kinder. „Es gibt eigentlich nichts, was ich vermisse“, sagt sie. Es gebe verschiedene Kindergärten, eine Grundschule, eine Realschule und ein Gymnasium im Ort, mehrere Ärzte, eine Sparkasse, eine Buchhandlung, schöne Geschäfte und donnerstags den Wochenmarkt an der Abtei. „Es ist alles nah beieinander, man kann alles zu Fuß erledigen. Die Geschäftsleute kennen einen.“ Pluspunkte gibt Gabriele Rey-Balcerzak auch für das kulturelle Angebot, etwa den Nikolaus- und den Weihnachtsmarkt, die Aufführungen der 1996 gegründeten Laientheatergruppe „Klosterspieler“ und die Konzertreihe „Classic Nights“.

Neue Geschäfte

Eines lässt sich nach Ansicht der Brauweilerin allemal aufwerten - der Guidelplatz. Gerade weil ihr der Ort so am Herzen liegt, begrüßt sie die geplante Neugestaltung des Areals, die auf Wunsch von Stadt und Investor eine Vielzahl neuer Geschäfte mit sich bringen soll. „Je mehr Geschäfte in Brauweiler sind, umso weniger zieht es die Leute zum Einkaufen in andere Orte. „Neue Geschäfte wären ein Aufschwung. Brauweiler soll ja nicht im Dornröschenschlaf versinken.“

Auch Christoph Schepers, Vorsitzender der Brauweiler Interessengemeinschaft der Unternehmer (BIG), verspricht sich einiges von der geplanten Neugestaltung. „Ich finde es gut, dass etwas passiert und der Platz neu gestaltet wird. Der Schwebezustand war ein Hemmnis“, sagt der 40-Jährige, der gerade einen Abstecher in die Abtei-Passage macht. Vor neun Jahren ist der Jurist von Dansweiler nach Brauweiler, in die Nähe des Friedhofs, gezogen. „Ich wohne sehr gern hier. Für den täglichen Bedarf ist gesorgt, es ist ruhig, aber der Ort ist nah an der Stadt.“ Gut finde er, dass er nur fünf Minuten vom Büro entfernt wohne. Allerdings: „Der Abteipark könnte belebt werden, er liegt so verlassen da. Schön wäre es, wenn es dort Gastronomie gäbe.“ Mit gemischten Gefühlen reagiert Toni Hartmann auf die Guidelplatz-Pläne. „Es würde mir gefallen, wenn ein schöner Platz entstünde. Doch fürchte ich, dass sich die Ladenlokale nicht vermieten lassen“, sagt der Mann, der 41 Jahre für Ford-Motoren entwickelt hat. Er hofft aber, dass die Pläne doch Gutes nach sich ziehen für den Ort, in dem er vor 58 Jahren geboren wurde und den er nie verlassen hat. Hartmann, der in seinem Elternhaus an der Bernhardstraße wohnt, hat miterlebt, wie die freien Felder zwischen Brauweiler und Dansweiler bebaut wurden, ebenso wie freie Grundstücke im Ort.

Trecker gefahren

„Auf dem Acker an der Klottener Straße bin ich mit sechs Jahren das erste Mal Trecker gefahren“, erinnert sich Hartmann. All das ist vergangen: Der Milchmann gab sein Geschäft an der Straße Rosenhügel auf, das Kino an der Ehrenfriedstraße, die für Vereinsfeiern gern genutzte Gaststätte Vogel, der Schrotthändler und auch der Bauernhof an der Bernhardstraße (dort steht heute die Wohnanlage Lindenhof) verschwanden. Zu den drei Häusern an der Von-Werth-Straße sind viele hinzugekommen. „Im Lauf der Zeit hat Brauweiler das Dörfliche verloren“, sagt Hartmann. So wohl sich Hartmann in Brauweiler fühlt, ein Wermutstropfen fällt in den Wein. „Der Verkehr an der Bernhardstraße ist in den vergangenen 15 Jahren stetig gestiegen. Jetzt ist er ein ausgewachsenes Problem.“ Doch Hartmann ist Brauweiler treu: „Brauweiler ist mein Ort. Es hat mich nie weggezogen.“

Viel für Jugendliche

Gute Noten für Brauweiler vergibt auch Christopher Rengier. Der 20 Jahre alte Gymnasiast hat zwölf Jahre ganz in der Nähe des Schulzentrums gewohnt, bevor es ihn im vergangenen Jahr nach Dansweiler verschlagen hat. Er kennt sich aus. „Brauweiler bietet Kindern und Jugendlichen viel. Im Jugendzentrum Zahnrad kann man sich nachmittags treffen. Das haben wir viel genutzt, vor allem im Sommer, um dort Volleyball, Baseball oder Fußball zu spielen.“

Mit Brauweiler sehr verwurzelt ist Margot Rose-Wingerath. Die 45-Jährige ist vor 13 Jahren mit ihrer Familie von Hürth-Gleuel hierher gezogen. Sie hat in Kooperation mit dem Kultour-Verein die Cafeteria im Schulzentrum ins Leben gerufen. Nun rennen die Schüler ihr in den großen Pausen regelrecht die Bude ein, und Margot Rose-Wingerath ist zusätzlich so etwas wie die Sozialstation des Schulzentrums. „Ja, ich wohne sehr gerne in Brauweiler“, sagt sie in einer kurzen Verschnaufpause.

Nicht so anonym

Alles in allem fühlt sich die Brauweilerin in puncto Lebensmittel und Ärzte gut versorgt. „Doch eigentlich reicht das Einzelhandelsangebot nicht aus.“ So fehlten im Ort ein Stoffgeschäft und Läden, in denen es günstige Kleidung gebe, „also mal keine Boutique“. Auch die Busverbindungen könnten besser sein. In den Stoßzeiten sollten mehr Busse fahren. Überlegenswert sei auch eine Verbindung nach Weiden-West. Wie viele andere schätzt sie die Stadtnähe und den dörflichen Charakter. Auch das Miteinander gefällt Margot Rose-Wingerath. „Es ist nicht so anonym wie in der Großstadt. Der Ort ist optimal - vor allem für junge Familien.“

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