Wim Wenders„Amerikaner haben mit Trump einen Rattenfänger zum Präsidenten gewählt“

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Wim Wenders

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Köln – Wim Wenders über seine Liebe zur Literatur, die Tragik von Trumps Amerika und seinen Film über Papst Franziskus.

Herr Wenders, Sie haben auf der lit.Cologne ausnahmsweise nicht über Filme und Fotografien, sondern über Literatur gesprochen. Erinnern Sie sich noch an frühe prägende Lektüreerlebnisse?

Ich konnte ziemlich früh lesen. Das habe ich in Ansätzen schon vor der Schule gelernt, von meiner Großmutter, die mir unglaublich viel vorlesen musste, weil ich so ein unersättlicher Zuhörer war. Sie ist mit dem Finger über die Zeilen hingegangen, und weil ich dem Finger immer zugeguckt habe, habe ich dabei irgendwie halbwegs lesen gelernt. Ich las dann echt viel, einiges zu früh, wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Beide Bücher haben sich tief in den kleinen Leser eingegraben. Bald folgten dann sämtliche Karl Mays. Das hat nun ausgerechnet alles in Amerika gespielt – obwohl der May natürlich nie da war. Aber das wusste ich damals noch nicht und habe alles für bare Münze genommen.

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Waren Sie sehr enttäuscht, als Sie Karl May draufgekommen sind?

Nein, es kamen dann später genug andere Bücher, die Amerika wahrhaftiger darstellten. Ich habe als Junge tatsächlich jeden Tag ein Buch gelesen. Meistens unter der Decke. Ich hatte einen unglaublichen Verbrauch an Batterien. Bis ich dann auf eine preiswertere Version gestoßen bin. In meinem Chemiebaukasten gab es ein Phosphorplättchen, und wenn ich das nur kurz angestrahlt habe, konnte ich wieder ein paar Seiten lesen, dafür war es hell genug. Irgendwann hab ich dann gehört, dass Phosphor überhaupt nicht gut für die Augen wäre. Lange Jahre hatte ich dann Angst davor, zu erblinden.

Es scheint gut ausgegangen zu sein.

Ich bin dann nur kurzsichtig geworden. Aber das wäre wahrscheinlich sowieso passiert.

Zur Person

Wim Wenders (72) gehört zu den bedeutendsten deutschen Filmemachern der Nachkriegszeit. Er wurde 1974 „Alice in den Städten bekannt“, erhielt 1984 für „Paris, Texas“ die Goldene Palme des Filmfestivals in Cannes und löste 1999 mit dem Dokumentarfilm „Buena Vista Social Club“ einen kleinen Boom kubanischer Musik aus.

Auf der lit.Cologne sprach Wenders über sein Verhältnis zur Literatur und die unterschiedlichen Erlebniswelten von Büchern und Filmen. Am 14. Juni kommt sein jüngster Film „Ein Mann seines Wortes“ über Papst Franziskus in die deutschen Kinos. (KoM)

Wie wurde aus der Leseratte der Filmemacher? Es ist doch eine ganz andere Art des Erzählens.

Zum Filmemachen bin ich über die Bilder gekommen, über den Umweg der Malerei. Ich wollte Maler werden und nicht Filmemacher – in den 60er Jahren war „Filmregisseur“ ein völlig abwegiger, eigentlich unbekannter Berufswunsch. In der Pariser Cinématheque habe ich dann eine Art privaten Crashkurs in Filmgeschichte gemacht, mit über tausend Filmen. Außerdem begannen damals von mir verehrte Künstler wie Andy Warhol oder Michael Snow Filme zu drehen. Daraufhin kaufte ich mir eine 16mm Filmkamera und drehte meine ersten Kurzfilme, die durchweg alle nicht „narrativ“ waren. Das waren alles Ortsbeschreibungen: Landschaftsaufnahmen, Städtebilder. Dass Filmemachen weniger malerisch und vielmehr erzählend ist und etwas mit Literatur zu tun haben könnte, das habe ich erst ganz allmählich gecheckt.

Sie haben sich rasch an große Literatur gewagt.

Meine erste Literaturverfilmung war Peter Handkes „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“, gleich nach der Filmhochschule. Ich war mit Handke befreundet, und Peter sah, dass es nicht einfach war, als Hochschulabsolvent einen Film zu drehen. Deshalb schlug er mir vor, doch sein Buch zu verfilmen. Das war nämlich gerade ein Bestseller. Ich habe sein Buch dann in ein „Drehbuch“ verwandelt, indem ich viele Striche hineinmachte. Eine Linie bedeutete eine neue Einstellung, eine doppelte Linie bezeichnete eine neue Szene. Bis man mir dann zeigte, wie ein richtiges Drehbuch auszusehen hätte.

Wie übersetzt man Literatur so in einen Film, dass sie als Film funktioniert?

Das entscheidende Stichwort ist „übersetzen“. Literatur und Film sind völlig andere Welten, von einem muss man zum anderen übersetzen, wie mit einer Fähre. Wenn man die Charakter und die Orte bildlich vor sich hat, ergibt sich daraus ein ganz anderes „Lesen“. Wobei mir zu Gute kam, dass ich sowieso davon überzeugt war, dass man in den Romanen alles zwischen den Zeilen liest. Das kam noch von meiner Großmutter und ihrem Finger, der auf den Buchseiten unter den Zeilen her fuhr.

Was ich mir dabei vorstellte, während mir vorgelesen wurde, stand im wahrsten Sinne des Wortes „zwischen den Zeilen“. In den Leerstellen konnte ich sehen, was die Worte erzählten. Das ist auch bis heute meine Idee vom Filmemachen. Auch da gilt es, zwischen den Zeilen zu lesen. Oder besser gesagt: zwischen den Bildern. Die sollten so vieldeutig sein, dass man auch dazwischen „mehr sieht“, als tatsächlich auf der Leinwand zu sehen ist. Ich mag Filme, bei denen man selbst etwas dazu tun muss, aus der eigenen Erfahrung oder Erinnerung, Filme, die man sich gewissermaßen mit erträumt.

Schreiben Sie deswegen viele ihrer Drehbücher selbst?

Das habe ich nie gerne gemacht. Ich arbeite aber lieber mit Schriftstellern als mit Drehbuchautoren zusammen. Mit Peter Handke mehrfach, mit Peter Carey und mit Sam Shepard, lauter Leute, die nicht „vom Fach“ sind. Auch mit Paul Auster habe ich mal an einem Drehbuch gearbeitet. Aber dann merkte ich, wie gut ihm die Geschichte gefiel. Er hatte so viele Ideen für die Umsetzung, dass ich ihm schließlich gesagt habe: Paul, das musst du jetzt selber drehen! So sind wir dann gute Freunde geblieben.

Hatten Sie nie den Ehrgeiz, einen Roman zu schreiben?

Ich habe eine Menge Essays geschrieben und auch ein paar Kurzgeschichten. Aber um einen Roman anzugehen, fehlte mir bislang der Mut. Vielleicht auch, weil ich zu viele Freunde habe, die genau das machen, und bei denen man gut sieht, was für eine Last das ist, wie lange das dauert und wie einsam die dabei sind.

Sie hatten immer ein zwiespältiges Verhältnis zu Ihrem Sehnsuchtsland Amerika. 1984 schrieben Sie: „Ein Land, an seinen eigenen Traum verraten und verkauft.“ Kommt Ihnen das heute prophetisch vor?

Erst als ich in den USA gelebt und gearbeitet habe, wurde aus dem Traum eine Realität, und die Kluft zwischen dem, was ich mir als Kind von Amerika erträumt hatte, und dem, was ich dort erlebt habe, wurde immer tiefer. Mit ein paar Filmen habe ich diesen Traum regelrecht ausgetrieben. „Land of Plenty“ oder „Million Dollar Hotel“ sind sehr explizite Filme über das Ende des Amerikanischen Traums.

Viele ihrer amerikanischen Filme spielen in Gegenden, die man heute Trump-Land nennt. Verstehen Sie, warum die Menschen dort Trump zum Präsidenten wählten?

Das Traurige ist: Trump wurde nicht wegen der Armut oder der sozialen Missstände gewählt. Sondern, weil die Menschen in weiten Teilen des Landes so verheerend desinformiert sind. Außerhalb der großen Städte ist Amerika unvorstellbar provinziell. Der Mangel an Kontakt mit der Welt ist so frappierend, dass das für mich die einzige Erklärung ist. Irgendwann werden die Menschen merken, dass alles Betrug war und dass es ihnen nichts gebracht hat, einen Rattenfänger zum Präsidenten zu wählen. Irgendwann werden sie merken, dass nur die Reichen noch reicher werden. Aber dann ist es wieder einmal zu spät.

Würde es Sie reizen, einen Film über das aktuelle Amerika zu drehen?

Ich würde lieber noch mal in den USA fotografieren.

Welche Art Fotografien wären das?

Vielleicht Bilder auf den Spuren Edward Hoppers. Er war ein Seismograph der Städte und der Vereinsamung in den Städten – und die Vereinsamung ist gerade ein großes Thema in den USA. Trump beschwört ein primitives Wir-sind-wer-Gefühl, für seine Wähler sind seine Wahlveranstaltungen wie Hochämter – auch wenn es Hochämter an Zynismus und Unwissenheit sind. Aus diesem Grund steckt er als Präsident auch immer weiter im permanenten Wahlkampf: Um das Drittel der Amerikaner, die seine Basis sind, bei Laune zu halten.

Sie haben gerade einen Dokumentarfilm über Papst Franziskus fertiggestellt. Ist Franziskus für Sie eine Gegenfigur zu Trump?

Er ist eine Gegenfigur zu fast allen Politikern heute. Ein Mensch, der tatsächlich das Gemeinwohl und nicht nur seine eigenen Interessen, also die der eigenen Kirche vertritt, wie etwa sein bedingungsloser Einsatz in der Frage des Klimawandels zeigt. Franziskus ist unglaublich offen gegenüber allen Menschen, jeder Konfession oder Religion. Insofern ist er heute beinahe eine utopische Figur. Er tritt für die 80 Prozent der Menschen ein, die immer weiter abdriften von den privilegierten 20 Prozent.

Wie nah sind Sie Franziskus bei den Dreharbeiten gekommen?

Es ist kein biografischer Film über ihn, sondern ein Film mit ihm. Ich wollte auch keinen Interviewfilm machen, obwohl wir viele lange Gespräche geführt haben. Stattdessen wollte ich den Papst so zu Wort kommen lassen, dass er jeden Zuschauer direkt anspricht.

Haben Sie zur Vorbereitung noch mal die Bibel gelesen?

Die kenne ich gut. Ich habe zur Vorbereitung vor allem mein Spanisch soweit aufgefrischt, damit wir auf Spanisch miteinander reden konnten. Ich wollte, dass er sich gut ausdrücken kann, schließlich lautet der Filmtitel „Ein Mann seines Wortes“. Außerdem habe ich tausende Stunden Filmmaterial gesichtet. Wenn Franziskus reist, geht er an Orte, wo sonst kein Politiker hingeht: in Gefängnisse, Krankenhäuser oder Flüchtlingslager. Franziskus ist ein unglaublich mutiger Mensch, um nicht zu sagen: furchtlos.

Der Vatikan hat sie für den Franziskus-Film angefragt. Mussten Sie lange überlegen?

Ich musste schon eine Weile überlegen, vor allem weil ich Carte blanche hatte und es keinerlei vorgegebenes Konzept gab. Also musste ich erst einmal selber eine Idee entwickeln. Ein bisschen Schiss hatte ich durchaus. Das ist ja eine ziemliche Verantwortung.

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