InterviewMit Geige ins Bett

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Frau Decker, Sie wollen Ihre Musikschüler ganzheitlich sehen. Was bedeutet das genau?

Wir haben nicht nur die Kinder im Blick, sondern die gesamte Familie. Denn es sind die Eltern, die zuhause mit den Kindern üben. Es ist ein Kreis, ein System. Wenn ein Kind zu uns kommt, prüfen wir als erstes: Will das Kind das Instrument wirklich lernen? Oder ist es nur der Auftrag der Eltern? Wir fühlen da sehr genau hin.

Antje Decker (45) ist Musikpädagogin und systemische Familientherapeutin. Decker leitet die Kölner „Musikschule für Musik und mehr“.

Wie oft passiert es, dass Eltern ihre eigenen Träume durch ihr Kind erfüllen wollen?

Das passiert bei jedem zweiten oder dritten Kind.

Sind Eltern denn dann bereit, davon abzulassen?

Deswegen sind wir da, wir sind die Ratgeber. Manchmal lässt sich beides kombinieren. In einem Probemonat kann das Kind bei uns austesten: Mag ich den Lehrer, den Raum, die Schule? Es kann auch das Instrument wechseln, so oft es will – und sich von Mamas oder Papas Favoriten weiterhangeln.

Was können Eltern selbst tun, um Kinder an Musik heranzuführen?

Ich empfehle immer: Lassen Sie Ihr Kind die Geige mit ins Bett nehmen. Oder in die Schule. Oder beim Ausflug im Puppenwagen herumkutschieren. Ein ungezwungener Umgang mit Instrumenten ist wichtig, weil Kinder sich in ihre Instrumente verlieben. Das ist eine besondere Verbindung. Wir nennen das den Strahlende-Augen-Effekt. Wenn er eintritt, weiß man: Das passt.

Gibt es Instrumente, die sich für den Einstieg empfehlen?

Nein. Es bringt nichts, Kindern eine Blockflöte aufzudrängen, weil die vermeintlich einfach zu erlernen ist. Der Wunsch des Kindes ist entscheidend. In unserer Schule gibt es einen Vierjährigen, der schon jetzt sehr komplizierte Rhythmen auf dem Schlagzeug spielt. Wir haben keine Ahnung, wie – aber er tut's einfach!

Antje Decker erklärt – mithilfe der Musikzwerge, der Mini-Band und der musikalischen Wirbelwinde – in Theorie und Praxis, was frühkindliche Musikerziehung kann. Eltern und Kinder sind eingeladen, mitzumachen.

Moderation: Wolfgang Oelsner und – zum letzten Mal – Prof. Gerd Lehmkuhl

Zeit: Mittwoch, 3. Dezember, 19 Uhr

Ort: studio dumont, Breite Str. 72, Köln

Der Eintritt ist frei!

Ändert sich die Vorliebe für ein Instrument mit dem Alter?

Absolut. In der Zeit vor der Pubertät, ab einem Alter von etwa neun Jahren, muss das Instrument plötzlich cool sein. Der Wechsel von der Grund- in die weiterführende Schule verändert das System des Kindes. Und damit entwickelt sich auch sein Verständnis und die Ansprüche an sein Instrument.

Sie arbeiten oft mit verhaltensoriginellen Kindern. Was bedeutet das genau?

Das können Kinder von der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Köln sein; Flüchtlingskinder oder der Nachwuchs jeder anderen Familie, der emotional vernachlässigt wird. Eigentlich ist so gut wie jedes Kind verhaltensoriginell und besonders.

Warum ist Musik ein geeignetes Mittel, um Kinder zu erreichen?

Weil es dem Zeitgeist entspricht. Wer kennt nicht Clueso, wer hat nicht „The Voice of Germany“ gesehen? Diese Wirkung beschränkt sich aber nicht auf die Musik. Sport besitzt dieselbe magnetische Anziehungskraft. Ob Michael Schumacher oder die Nationalelf – auch hier können die Kinder mitfiebern und Vorbilder finden.

Kinder, Eltern und Großeltern sind eingeladen, gemeinsam Weihnachtslieder zu singen. Kantorin Brigitte Rauscher aus Troisdorf gibt mit ihren Kinder- und Erwachsenen-Chören die professionelle Anleitung.

Zeit: Sonntag, 7. Dezember,

15 Uhr (Einlass 14.30 Uhr)

Ort: studio dumont (im Dumont-Carré), Breite Straße 72, 50667 Köln

Preis: 7,50 Euro, Anti-Diät-Club-Mitglieder zahlen 5 Euro,

Karten gibt es nur vor Ort

Was genau bewirkt Musik noch?

Kinder lernen, einen Zugang zu sich selbst zu finden, sich emotional auszudrücken und sich selbst zu regulieren. Musik steigert ihr Selbstbewusstsein. Sie erleben Erfolge, die negative Erlebnisse in anderen Lebensbereichen ausgleichen können. Speziell Eltern können ihnen das gute Gefühl geben: Du kannst schon was, das ich nicht kann. Du bist viel größer als ich!

Sie bieten aber auch an, dass Eltern und Kinder zusammen lernen.

Wir öffnen unseren Unterricht zum Mitmachen: Beispielsweise können Mama und Sohn zusammen Stunden nehmen. Oder das Elternteil lernt zur selben Zeit bei einem anderen Lehrer. Oder es darf einfach beim Unterricht dabei sein. Die Autonomie des Kindes muss dabei aber immer gewahrt bleiben. Spätestens in der Pubertät bedeutet das: Eltern sollten sich aus dem Unterricht lieber ganz raushalten.

Das Gespräch führte Annika Leister

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