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Optimistin
Schenken Sie sich selbst ein Jahr voller Menschen

Ein Kommentar von
4 min
Geschenke liegen unter einem Christbaum in einer Wohnung.

Die besten Geschenke kann man meist gar nicht einpacken.

Sind Sie auch einer gewissen Jahresend-Raffgier erlegen? Atmen Sie durch und erinnern Sie sich daran, dass die besten Geschenke gar keine Dinge sind.

Eine Nähmaschine. Teure Schuhe. Eine Stereoanlage. Kindlers Neues Literaturlexikon in 21 Bänden. Eine Lederjacke. Ein Barbiepferd. Ein Fahrrad. Ein Saxophon. Es ist natürlich nicht so, dass mein Leben, erzählt in Weihnachtswünschen, frei wäre von Materialismus. Oft saß ich unter einem Baum und stapelte Dinge. Nach jedem Weihnachtsfest hatte sich mein Besitz vermehrt. Einige der oben aufgeführten Konsumgüter begleiten mich noch immer. Erst kürzlich habe ich das Lexikon abgestaubt und darüber nachgedacht, ob es sich noch lohnt, die 30 Jahre alte Nähmaschine, die den Unterfaden knotend nachzieht, reparieren zu lassen. Und auch heute geschieht es manchmal, dass der Dezember mich in eine regelrechte Raffgier treibt. Bayblade-Arena, Zauberwürfel, Kinder-Werkzeugkiste, den Hubschrauber von Paw-Patrols Mädchen-Hund Skye, Marken-Hoodies, Mikrowelle, Indoor-Klettergerüst, Boxsack – was man nicht alles zusammenkauft, um Wunschzettel abzuarbeiten. Vielleicht noch einen Kalender für die Eltern, Cremes und Bücher für Schwester und Schwägerin? Je näher das Fest rückt, umso mehr steigert sich das Gefühl, in diesem Jahr sei der Gabentisch reichlich mickrig belegt und man müsste da dringend nochmal nachkaufen. Das Gefühl lügt natürlich. Am besten, man hält sich also bis zum 24.12. gegen 14 Uhr die Ohren zu.

Denn in Wahrheit kennen wir die Weihnachtsbotschaft ja alle: Die wertvollsten Geschenke lassen sich nicht in Tetris-Manier unter den Baum stapeln. Sie kosten manchmal nicht mal Geld, dafür eine andere Ressource, die selbst einen mageren Kontostand oft noch unterbietet: Zeit.

Wenn ich ChatGPT nach einem passenden Geschenk für eine 47 Jahre alte Frau frage, dann schlägt er unter „klassisch und elegant“ feinen Schmuck, schöne Uhr und edle Duftkerzen vor, es folgen Wellness-Sets, Bademäntel, Pralinen, Bestseller-Romane, Pflanzen, Kaffee und eine Yoga-Matte. Ich hoffe also, niemand, der mir etwas schenken will, lässt sich von der KI inspirieren. Aber natürlich auch nicht von Amazon. Wer sich dort auf die Suche nach Geschenken für Frauen, die alles haben macht, der bekommt als Tipp den „original 7 Chakra Lebensbaum“ ebenso wie das Buch „Die Kunst, deinen Mann nicht umzubringen“, außerdem die Couchbar-Snackbox, den „Duschdampfer Aromatherapie“ sowie eine tragbare Decke zum Anziehen.

Fragen Sie Ihren Vater nach seiner liebsten Kindheitserinnerung

Aber selbst wenn sich der Schenker mehr Gedanken macht, mutiert doch ein großer Teil aller materiellen Geschenke kurz nach dem Auspacken zum Staubfänger, man lagert den Ballast aus Dankbarkeit, ehe man ihn bei einem der kommenden Frühjahrsputze zum Abfallwirtschaftsbetrieb karrt. 

Also sparen Sie sich das hektische Geschenkezusammenraffen in den Tagen vor dem Fest. Ignorieren Sie letzte Erinnerungen, dass Sie dringend noch ein „Shakti-Stirnband“ mit zwanzig Prozent Rabatt oder zwei „Cyro-Glow Infrarot-Gesichtsmasken“ zum Preis von einer sowie das Generationen-Kartenspiel für „anregende und friedliche Festtage“ erwerben müssen. Holen Sie lieber mal wieder das alte Fahrrad raus und fahren mit den Kindern am Rhein entlang und dann setzen Sie sich im frühen Sonnenuntergang auf eine Bank und hören zu, was die Jugend so zu erzählen hat. Gehen Sie mit einer Freundin ins Schwimmbad. Rufen Sie Ihren Vater an und fragen Sie ihn nach seiner liebsten Kindheitserinnerung. Nehmen Sie sich Zeit und erklimmen Sie mit dem Partner oder der Partnerin einen der Gipfel im nahen Siebengebirge. Unterhalten Sie sich derweil über Mut oder Hoffnungen.

Und wenn Sie partout glauben, dass Sie noch was unter den Christbaum stopfen müssen, dann verschenken Sie auch da einfach Ihre Zeit. Allerdings keinesfalls in Gutscheinform, denn der vergammelt gleich neben dem Chakra-Lebensbaum. Kaufen Sie für ein fixes Datum Tickets fürs Theater, ein Konzert, buchen Sie einen Kochkurs, eine Lesung oder einen Kurzurlaub, laden Sie die Eltern schon jetzt zum Osterbrunch ein, die Nachbarn zum Mittsommer-Grillabend. Verteilen Sie die Unternehmungen für verschiedene Beschenkte über das ganze Jahr. Und dann freuen Sie sich. Darüber, dass für Sie 2026 nicht im Zeichen der Dinge stehen wird. Sondern der Menschen, die Ihnen am Herzen liegen.