KeupstrasseEin Außenminister im Friseursalon

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Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu (2.v.l.) mit dem Kölner OB Jürgen Roters (Mitte).

Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu (2.v.l.) mit dem Kölner OB Jürgen Roters (Mitte).

Mülheim – Einen großen verbogenen Nagel hatte Metin Jilbay mitgebracht. Einen von den vielen, die am 9. Juni 2004 beim Bombenattentat durch die Keupstraße geflogen waren und 22 Menschen verletzt hatten. Am Sonntag zeigte Jilbay, der ein Schmuckgeschäft betreibt, im Restaurant Kervansarey dem türkischen Außenminister den aufbewahrten Zimmermannsnagel. Ahmet Davutoglu war bereits am Donnerstag in Deutschland eingetroffen und hatte in Städten wie Hamburg, Wiesbaden und dem hessischen Friedberg Angehörige der Opfer besucht, die von rechtsextremen Terroristen umgebracht worden sind. Zum Programm gehörte ein Besuch an dem Ort in Mülheim, wo sich seit den Enthüllungen zur Neonazi-Gruppe schon manch Politiker hat sehen lassen.

„Ihr seid nicht allein, wir sind immer an eurer Seite“, sagte Davutoglu zu den Geschäftsleuten und Anwohnern, die in die „Kervansarey“ gekommen waren. Die Anschläge, die der Zwickauer Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ zugeschrieben werden, seien „nicht nur ein rechtsradikaler Akt gegen die Türken, sondern auch gegen die deutsche und die europäische Kultur“. Der Außenminister schlug vor, am 9. Juni des kommenden Jahres in der Keupstraße ein Fest des friedlichen Zusammenlebens zu feiern.

Oberbürgermeister Jürgen Roters griff die Anregung auf und sagte, er werde seinen Amtskollegen Kadir Topbas, Oberhaupt von Kölns Partnerstadt Istanbul, dazu einladen. Davutoglu dankte er für seinen Besuch als „Zeichen der Solidarität“. Und er entschuldigte sich erneut „im Namen der Kölnerinnen und Kölner – wir bedauern sehr, dass wir unmittelbar nach dem schlimmen Ereignis die Opfer zu Tätern gemacht haben“. Damit meinte er den Umstand, dass die ermittelnden Behörden lange Zeit von einem kriminellen Milieu als Hintegrund der Anschläge ausgegangen waren. Nun gelte es, „nach vorne zu schauen und deutlich zu machen, dass wir alles unternehmen, um den entstandenen Schaden so weit wie möglich wieder gutzumachen“, betonte Roters. Mitat Özdemir, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Keupstraße, sagte, der Anschlag habe den Anwohnern nicht nur körperlich und materiell, sondern auch „emotional“ geschadet. Die rechtsradikalen Angriffe bezeichnete er als „Krankheit“, die von einer Minderheit ausgehe.

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Nach dem Anschlag in der Rolle des Verdächtigen

In Köln hatte Davutoglu zuvor die griechisch-orthodoxe St. Dimitrius Kirche in Seeberg und die syrisch-orthodoxe Kirche von Antiochien „Mor Petrus und Mor Paulus“ in Lindenthal besucht. In Mülheimbegleiteten ihn der Medientross und die Sicherheitsleute zunächst in den Friseursalon Özcan. Das Ladenlokal war 2004 von der Wucht der Detonation völlig verwüstet worden. Inhaber Özcan Yildirim schilderte, wie er nach dem Attentat „stundenlang“ von der Polizei verhört wurde; dabei habe er sich in die Rolle des Verdächtigen gedrängt gesehen. „Es ist unglaublich, in welche Richtung die Ermittlungen gelaufen sind.“ In den Wiederaufbau des Friseursalons haben er und seine Frau 45.000 Euro investiert. Der Antrag auf Entschädigung aus dem Hilfsfonds „zur Entschädigung von Opfern extremistischer Übergriffe“ ist gestellt.

Vor der Einkehr in der „Kervansarey“ hatte Davutoglu auch anderen Geschäften in der Straße einen Besuch abgestattet. Am Abend war er zu Gast beim Fastenbrechen im „Haci Bektas Veli Alevi Cem Haus“ in Mülheim, bevor er nach Bonn fuhr. Dort nimmt er an der Afghanistan-Konferenz teil. Am Samstag hatte der türkische Innenminister Idris Naim Sahin die Baustelle der Kölner Zentralmoschee in Ehrenfeld besucht.

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