Fotobuch „1111 Augenblicke“Der Kölner Pandemie-Alltag in Bildern

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Die leere Severinstraße in der Kölner Südstadt, aufgenommen während der Corona-Pandemie.

Die leere Severinstraße in der Kölner Südstadt, aufgenommen während der Corona-Pandemie.

Die Bilder des Kölner Musikers Richard Bargel aus der Corona-Zeit stecken voller Melancholie.

Vor der Eckkneipe, wo sonst die Außengastronomie floriert, ragt einsam ein zusammengefalteter Sonnenschirm in den Himmel. Leergefegt ist die Severinstraße. Eine maskierte Frau, die vom Einkaufen kommt, trägt eine Großpackung Toilettenpapier. Eine andere betritt einen Eros-Club, der, ausgekleidet mit weißen Planen, zur Corona-Teststation umgewandelt ist. Auf eine Hausmauer hat jemand in Großbuchstaben geschrieben: „Triage? Leckens am Arsch!“ Nur eine kleine Auswahl von Motiven aus Richard Bargels Schwarz-Weiß-Fotobuch „1111 Augenblicke“, das den Untertitel trägt: „Pandämonische Szenenbilder aus Köln“.

Eine Frau in Köln mit einer Packung Klopapier.

Eine Frau in Köln mit einer Packung Klopapier.

Als der erste Lockdown begann, sah sich der Musiker, Schauspieler und Autor „ausgebremst“ und „leer“, wie es in der Einleitung heißt. Konzerte, Theateraufführungen – alles war weggebrochen. Zugleich tat Bargel die erzwungene Auszeit gut, denn er hatte kurz vor einem Burnout gestanden. So begann er, ausgedehnte Spaziergänge in der Südstadt zu unternehmen, wo er seit langem lebt. Zunächst wahllos fotografierte er mit dem Mobiltelefon, was ihm auffiel. Mit der Zeit schärfte sich sein Blick; er registrierte mehr Details, beobachtete Menschen genauer als früher. Unverhofft hatte er ein Ventil für seine Kreativität gefunden.

Auswahl aus rund 4500 Fotos

Erst im Nachhinein, als er eine Bestandsaufnahme seiner Fotos machte, sei ihm klar geworden, dass er „unbewusst den Pandemie-Alltag in meinem Veedel dokumentiert“ hatte. Auch weil die Resonanz auf Bilder, die er auf Facebook gepostet hatte, positiv gewesen war, entstand die Idee, ein Buch daraus zu machen. Aus rund 4500 Fotos galt es auszuwählen. 1111 davon haben ihren Platz in dem 332 Seiten starken Hardcover-Buch mit Fadenheftung gefunden. Hinzu kommt eine umfangreiche Bildergalerie, die namentlich Menschen vorstellt, die auf den vorherigen Seiten auftauchen, unbekannte und bekannte, darunter Wilfried Schmickler, Marion Radtke, Gerd Köster, Bömmel Lückerath und Ralf Richter.

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Das Cover der Fotobuches „1111 Augenblicke“ von Richard Bargel.

Das Cover der Fotobuches „1111 Augenblicke“ von Richard Bargel.

„Mitunter liegt ein Hauch von Melancholie über den Bildern“, schreibt Peter Pauls, Vorsitzender des Kölner Presseclubs, im Vorwort. Es ist  mehr als ein Hauch, wenn Stillstand und Isolierung ins Bild rücken. Andere Fotos zeugen von ungebrochener Lebensfreude und Geselligkeit, etwa diejenigen aus der Zeit, als die Außengastronomie wieder aufblühte. Manche Bildfolgen wirken wie kurze Filmsequenzen – hier Passanten, die im Regen, vorbeieilen, da ein Mann mit Mantel und Hut, der einen Waschsalon besucht.

Köln exemplarisch für alle von der Pandemie heimgesuchten Städte

Wer die festgehaltene Zeit, die mit dem ersten Lockdown einsetzt und mit dem zur Friedensdemonstration umdeklarierten Rosenmontagszug 2022 endet, genauer rekapitulieren möchte, ist mit der einleitenden Chronologie gut bedient. In Bargels Text wird vieles wieder gegenwärtig, ob es die Existenzängste in der Kulturbranche sind, die Pflicht, in Lokalen Kontaktdaten zu hinterlassen, „Glühwein-Wanderwege“ oder die sehnlich erwartete erste Lieferung von Impfstoff.

Verkleidete Frauen halten ein Schild mit der Aufschrift „Fuck Putin“ hoch.

Verkleidete Frauen halten ein Schild mit der Aufschrift „Fuck Putin“ hoch.

Eingestreute Textbeiträge anderer Autoren ergänzen den Band, zum Beispiel von Rolly Brings, Lale Akgün, Cornel Wachter und Rich Schwab. Hans Mörtter, ehemaliger Pfarrer der Lutherkirche, schreibt: „Kollateralgewinn nenne ich die Freundschaften, die neu entstanden sind mit Menschen, die anriefen und mailten, um zu helfen.“ Auch Hülya und Martin Wolf, Inhaber der Blues-Kneipe „Torburg“, konnten der Krise etwas abgewinnen: „Die erste Zeit wird immer in unserer Erinnerung bleiben als eine Zeit der Selbstreflexion, des Zusammenhalts und der Entdeckung neuer Seiten an uns selbst.“

Bargel versteht sein Buch gleichermaßen als Kunst, das heißt als Werk der Straßenfotografie, und als zeithistorisches Dokument. Dabei steht ihm Köln exemplarisch für alle von der Pandemie heimgesuchten Städte. Mit Blick auf den Eros-Club, der zum Testzentrum wurde, schränkt er allerdings ein: „In den Augen der Kölner ist und bleibt Köln natürlich einzigartig. In welch anderer Stadt hätte auch nur ein Mensch sagen können: „Ich wor hück em Puff mich teste losse!““

Am Freitag, 24. November, 16 Uhr, präsentiert Bargel sein Buch im Foyer des Comedia Theaters, Vondelstraße 4 -8. Gleichzeitig wird eine Ausstellung mit 32 ausgewählten Fotografien eröffnet, die bis zum 30. Dezember in der Comedia Wagenhalle zu sehen ist. „1111 Augenblicke. Pandämonische Szenenbilder aus Köln“ ist zum Preis von 39 Euro erhältlich.

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